Close up einer erweiterten Pupille
Getty Images/ScantyNebula
LSD, Folter und Sex

Als die CIA die Gedankenkontrolle „erfand“

Der US-Chemiker und Psychiater Sidney Gottlieb ist als Meistergiftmischer des US-Auslandsgeheimdienstes CIA in die US-Geschichte eingegangen. Er gilt heute als skrupelloser, pseudowissenschaftliche Experimente durchführender Folterer von Geist und Körper – eine Art Mad Scientist im echten Leben, wie er popkulturell durch diverse Hollywood-Filme und -Serien bis heute wie etwa bei „Stranger Things“ herumgeistert.

Die damaligen Geheimprogramme der Nachkriegszeit geben Einblick in das Denken und die Möglichkeiten einer Großmacht während des Kalten Krieges. Sie sind somit ein Stück Zeitgeschichte. Was heute – bei allem Grauen – äußerst bizarr und skurril wirkt, war damals ernst gemeinte Forschung, die heute als pseudowissenschaftlich und ohne wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn gilt. Doch sie zeigt, wie weit die Furcht der USA vor einer Niederlage gegen die kommunistische Sowjetunion ging und die Zeit davon geprägt war.

Für die Führung der CIA war wie auch für das Militär und andere US-Institutionen der Kalte Krieg nur eine Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs mit anderen Mitteln. So glaubte man aufgrund von Gerüchten und Spekulationen, dass die Sowjetunion das Wissen habe, Menschen zu programmieren und etwa als Auftragskiller zu verwenden.

Der US-Chemiker und Psychiater Sidney Gottlieb 1977
AP
Gottlieb in den 70er Jahren bei einer Anhörung

Die Suche nach dem „Manchurian Candidate“

Schnell musste daraufhin ein eigenes Programm her. Auch dieses Motiv wurde in der Popkultur verarbeitet, etwa in dem Roman „The Manchurian Candidate“ von Richard Condon aus dem Jahr 1962 und dem gleichnamigen Film, prominent besetzt mit Frank Sinatra. Im Roman wie im Film unterläuft ein „Manchurian Candidat“ als kommunistisch Gehirngewaschener das US-System und schafft es fast, US-Präsident zu werden.

Filmszene aus „The Manchurian Candidate“
AP/Anthony Camerano
Laurence Harvey und Sinatra in einer Szene aus „Manchurian Candidate“, der auf Deutsch „Botschafter der Angst“ heißt

Der Verweis auf die Mandschurei in China leitet sich von US-Gefangenen im Korea-Krieg ab. Sie kehrten nicht direkt von Korea aus, sondern eben über die Mandschurei in die USA zurück. Einige weigerten sich nach ihrer Freilassung allerdings, in die USA zurückzukehren.

Die Geburt des Mythos Gehirnwäsche

Ein „echter“ Amerikaner, noch dazu ein Soldat, tut so etwas nicht, außer sein Gehirn wurde „gewaschen“ und um- bzw. neu programmiert, so die einzig möglich Erklärung während der US-Paranoia im Kalten Krieg. Der Mythos der Gehirnwäsche und der Gedankenkontrolle war geboren, und die Sowjetunion musste laut dieser Logik natürlich das dazugehörige Wissen besitzen. Um diesen Nachteil für die USA wettzumachen und die „geistigen Magazine“ aufzurüsten wurde, das Programm „MK-Ultra“ geboren.

Und Gottlieb spielte als Leiter und Mastermind dabei einen sehr wichtigen, aber lange verdeckt gebliebenen Part. Der 1918 geborene Gottlieb war von 1951 bis zu seiner Pensionierung 1972 bei der CIA in unterschiedlichen, stets verschleierten und nur wenigen Personen bekannten Positionen tätig. Das nun bekannteste von Gottlieb geleitete Geheimprogramm war eben „MK-Ultra“ und beschäftigte sich mit der Gedankenkontrolle. Die von Gottlieb geleiteten Experimente fanden vor allem in den 1950er und 60er Jahren statt.

CIA-Direktor  Allen W. Dulles 1954
AP
CIA-Chef Allen Dulles auf einem Archivbild

Ohne Wissen LSD in hohen Dosen verabreicht

Den Opfern wurde oftmals ohne ihr Wissen und ihr Einverständnis LSD in recht großen Mengen verabreicht. Teils fanden die geheimen Experimente in Krankenhäusern, aber auch in Gefängnissen statt. In San Francisco in Kalifornien wurde eigens eine verwanzte Wohnung eingerichtet, in die die Opfer von einem CIA-Trinkkumpanen mitgenommen wurden, um ihnen heimlich Psychopharmaka zu verabreichen. Interessiert war die CIA auch daran, wie sich die Droge auf das Sexerlebnis auswirkte bzw. ob die Opfer nach dem Sex anschließend gesprächiger wurden. All das wurde von der Nachbarwohnung aus beobachtet und aufgenommen.

Möglich gemacht wurden diese heute mit Kopfschütteln und Grauen betrachteten Experimente durch die im Kalten Krieg vorherrschende Paranoia in den USA und eben auch in den US-Geheimdiensten. Laut dem Buch „Poisoner in Chief: Sidney Gottlieb and the CIA Search for Mind Control“ von Stephen Kinzer starben dabei auch zahlreiche Menschen, andere spürten ihr Leben lang die Nachwirkungen der Überdosierungen. Genaue Zahlen liegen bis heute nicht vor, da zahlreiche Dokumente und Unterlagen des Projekts vernichtet wurden, so Kinzer in seinem akribisch recherchierten Buch.

Eine Killermaschine im Auftrag des Staates

Mit Hilfe von Drogen, darunter vor allem psychoaktive wie eben LSD, sollte die bisherige Persönlichkeit der oft nicht freiwilligen Versuchsperson gelöscht und der ideale willfährige Agent bzw. die Agentin geschaffen werden – eine Killermaschine im Auftrag des Staates. Der Clou dabei: Die betroffene Person sollte von ihrem Auftrag nichts bewusst wissen und ihn erst etwa auf ein Codewort oder einen anderen sinnlichen Reiz hin wie ein Roboter auch ohne Bewusstsein für die eigene Gefährdung durchführen.

Dadurch sollte auch die Möglichkeit des bewussten oder unbewussten Verrats der Aufgabe ausgeschlossen werden. So weit die Vorstellung Gottliebs und seines Vorgesetzen, des legendären CIA-Chefs und Kalten Kriegers Dulles.

Zwischen Volkstanz, LSD und Ziegenzucht

Gottlieb selbst wird in dem Buch von Kinzer als recht umgänglich, karrierebegeistert und sich ganz seinen Aufgaben widmend geschildert. Kinzer bezieht sich dabei auf Aussagen und Tagebucheinträge. Obwohl er einen Klumpfuß hatte und daher nicht wie von ihm selbst patriotisch gewünscht Soldat im Zweiten Weltkrieg werden konnte, war Gottlieb Zeit seines Lebens ein begeisterter Tänzer von Volkstänzen, die er auch über Kurse im Ausland lernte.

Gottliebs Lebensstil wird als für die Zeit sehr atypisch beschrieben, eine Art Proto-Hippie-Lifestyle. Statt in der Stadt wohnte Gottlieb auf einem Bauernhof weit von seinem CIA-Labor entfernt und züchtete in seiner Freizeit Ziegen. Auch LSD nahm er Hunderte Male selbst zu sich, wie Kinzer schreibt. Allerdings nicht in den hohen Dosen, die seinen „Patienten“ verabreicht wurden.

Ein Zauberkünstler hilft mit

In Gottliebs Arbeitsgruppe herrschte auch die Furcht, unfreiwillig LSD etwa im Kaffee oder auch in Softdrinks verabreicht zu bekommen. Für diese Versuche mit dem eigenen Personal mussten später allerdings auch Einverständniserklärungen unterzeichnet werden.

Gottlieb beschäftigte sich auch mit der geheimen Verabreichung von LSD etwa in Bars und Restaurants. Dazu überredete er den damals bekannten Magier und ehemaligen Schüler des Magiers und Zauberkünstlers Harry Houdini, John Mulholland, ein Lehrbuch zu schreiben, das Eingang in die CIA-Schulungen fand. Mulhollands Buch wurde erst unlängst wieder aufgelegt.

Nach dem Ende seiner „MK-Ultra“-Zeit widmete sich Gottlieb der Erforschung von Giften. So sollte unter seiner Regie etwa dem kubanischen Revolutionsführer und Staatspräsidenten Fidel Castro eine Zigarre mit Gift untergejubelt werden. Auch hier wurde Mulhollands Wissen für die CIA-Agenten verwendet. Erst in den 70er Jahren rückte die Arbeit Gottliebs und der CIA durch einen Unterschuchungsausschuss ins Licht der Öffentlichkeit. Allerdings waren bereits damals viele Akten, die Details über die Experimente und auch die Opfer enthielten, vernichtet.