Israelischer Regierungschef Netanjahu und Ex-Armeechef Ganz im TV
Reuters/Amir Cohen
Patt in Israel

Schwierige Regierungssuche zeichnet sich ab

Die Parlamentswahl in Israel am Dienstag hat bisher keine klare Entscheidung gebracht. Weder das Lager von Regierungschef Benjamin Netanjahu noch das seines Herausforderers, Ex-Armeechef Benni Ganz, konnte sich eine deutliche Mehrheit sichern. Für Netanjahu geht es nicht nur ums politische Überleben, sondern auch darum, einer Anklage zu entgehen.

Sowohl Netanjahus Likud als auch Ganz’ Mitte-Bündnis Blau-Weiß kommt laut Prognosen von Mittwochfrüh auf 32 Mandate. Offizielle Angaben auf der Website des israelischen Wahlausschusses gab es um 6.00 Uhr MESZ erst auf der Basis von rund 35 Prozent der ausgezählten Stimmen. Laut den Angaben kam der Likud auf 28,1 Prozent der Stimmen, Blau-Weiß auf 26,6 Prozent. Der Wahlausschuss teilt die Ergebnisse stets in Prozent mit, während die Medien die Ergebnisse direkt auf Mandate umrechnen.

Israels politische Landschaft ist – nicht zuletzt aufgrund der vergleichsweise niedrigen Sperrklausel für den Einzug in die Knesset von 3,25 Prozent – traditionell in viele, oft kleine Parteien zersplittert. Diese schließen in der Regel vor Wahlen Bündnisse, die generell dem linken oder rechten Lager zuzuordnen sind.

Kleinparteien könnten entscheidende Rolle spielen

Das Mitte-rechts-Lager wird von Netanjahus Likud angeführt, es kam laut Prognosen insgesamt auf 53 bis 55 Mandate. Das Mitte-links-Lager, das von Blau-Weiß unter Ganz angeführt wird, erreichte 56 bis 59 Mandate. Für eine Mehrheit sind 61 Sitze nötig. Die ultrarechte Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) von Netanjahus Rivalen Avigdor Lieberman erhielt acht bis zehn Mandate. Die arabischen Parteien können laut den Prognosen mit elf bis 13 Sitzen rechnen. Damit könnte auch ihnen eine entscheidende Rolle zukommen.

Israels Premier Benjamin Netanjahu
APA/AFP/Menahem Kahana
Netanjahu will eine „gefährliche, antizionistische Regierung“ verhindern

Netanjahu gibt sich siegesgewiss

Netanjahu wandte sich in der Nacht in der Tel Aviver Likud-Wahlzentrale an seine Anhängerinnen und Anhänger. Trotz Prognosen über ein Patt gab er sich siegesgewiss. Er wolle in den kommenden Tagen Verhandlungen über die Bildung einer „starken Regierung“ aufnehmen. Ziel sei es, eine „gefährliche, antizionistische Regierung“ zu verhindern. Israel befinde sich an einem „historischen Punkt“ mit riesigen Chancen und Herausforderungen, „allen voran die existenzielle Bedrohung Israels durch den Iran und seine Ableger“.

In Kürze werde außerdem der Nahost-Friedensplan von US-Präsident Donald Trump veröffentlicht, sagte Netanjahu. „Und die Art, wie die Verhandlungen Trump gegenüber geführt werden, wird die Zukunft des Staates Israel für die kommenden Generationen bestimmen.“ Deshalb brauche Israel eine „starke, stabile und zionistische Regierung“.

Tim Cupal zur Parlamentswahl in Israel

ORF-Korrespondent Tim Cupal analysiert, was das Wahlergebnis in Israel nun für Folgen haben kann.

Ganz und Lieberman für Große Koalition

Netanjahus Kontrahent Ganz sprach sich hingegen in der Wahlnacht für die Bildung einer Großen Koalition aus. „Wir werden uns dafür einsetzen, eine breite Regierung der nationalen Einheit zu bilden, die den Willen des Volkes zum Ausdruck bringt“, so Ganz. Man müsse aber geduldig auf die endgültigen Ergebnisse der Wahl warten. In den kommenden Tagen wolle er mit Lieberman und weiteren möglichen Partnern sprechen. Sein Ziel sei es, die israelische Gesellschaft wieder zu einen.

Israelischer Ex-Armeechef Benni Ganz
APA/AFP/Emmanuel Dunand
Ganz will eine „breite Regierung der nationalen Einheit“

Auch Lieberman forderte in der Nacht eine „nationale, liberale, breite Regierung“. Diese müsse aus seiner eigenen Partei, dem Likud und Ganz’ Bündnis bestehen, das sei „die einzige Option“. Ganz war schon im Vorfeld theoretisch bereit dazu, aber nur, wenn Netanjahu nicht wieder Regierungschef wird. Als Grund nannte er die Korruptionsvorwürfe gegen den 69-Jährigen.


Sitzverteilung Knesset – Tortengrafik
GRafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Channel 12

Nach einer Anhörung im Oktober droht Netanjahu eine Anklage in drei Korruptionsfällen. Für ihn geht es daher nicht nur ums politische Überleben, ihm droht im äußersten Fall sogar Haft. Mit Unterstützung einer rechtsreligiösen Koalition könnte Netanjahu versuchen, sich im Parlament Immunität vor Strafverfolgung zu sichern. Netanjahu dürfte also alles tun, um Premier zu bleiben.

Schon bei erster Neuwahl keine Mehrheit

Es war bereits die zweite Wahl heuer. Schon der Urnengang im April war eine vorgezogene Wahl – ausgelöst durch den Koalitionsaustritt von Liebermans Partei Ende 2018. Aus der darauffolgenden Wahl ging Netanjahu, der mittlerweile den legendären Staatsgründer David Ben-Gurion als längstdienenden Regierungschef abgelöst hat, mit seiner Likud-Partei zwar als stärkste Kraft hervor. Es gelang ihm allerdings trotz Mehrheit im nationalen, rechtsreligiösen Lager nicht, eine Koalition zu bilden. Streitpunkt war der Wehrdienst für Ultraorthodoxe, dem sich die religiösen Parteien vehement widersetzen.

Wahl zwischen 31 Listen

Israels Regierungschef wird nicht direkt gewählt. 31 Listen traten an. Der Chef der stärksten Partei erhält traditionell den Regierungsbildungsauftrag. Nötig ist eine Mehrheit von 61 der 120 Sitze im Parlament, der Knesset.

Alle Augen auf Präsident Rivlin gerichtet

Präsident Reuven Rivlin dürfte nun eine zentrale Rolle einnehmen. Er bestimmt, wer den Auftrag zur Regierungsbildung erhält. Das ist üblicherweise der Vorsitzende der größten politischen Kraft. Um eine weitere Wahl zu verhindern, könnte es aber auch zu ungewöhnlichen Maßnahmen kommen. Wer den Auftrag erhält, hat danach vier Wochen Zeit, eine Koalition zu bilden. Zwei Wochen Verlängerung sind möglich.

Befürchtungen, in Israel habe sich angesichts der zweiten Abstimmung binnen fünf Monaten Wahlmüdigkeit breitgemacht, bestätigten sich nicht. Die Wahlbeteiligung lag mit 69,4 Prozent etwas höher als bei der Abstimmung im April.