Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu
APA/AFP/Menahem Kahana
Patt in Israel

Netanjahu schwenkt um

Das endgültige Wahlergebnis steht zwei Tage nach der israelischen Parlamentswahl noch nicht fest – doch der Koalitionspoker ist bereits voll im Gange. Langzeitregierungschef Benjamin Netanjahu startete am Donnerstag mit einem Schwenk in den wohl wochenlangen Poker.

Netanjahu änderte am Donnerstag seine bisherige Richtung und sprach sich für die Bildung einer Großen Koalition aus, etwas, was er und seine Partei noch am Wahlabend abgelehnt hatten. Er rief seinen Herausforderer Benni Ganz von Kachol-Lavan (Blau-Weiß) dazu auf, sich einer möglichst breiten Koalition aller Parteien, „denen der Staat Israel am Herzen liegt“, anzuschließen. Diese Formulierung schließt jedenfalls das gestärkte Bündnis der arabischen Parteien aus – und meint wohl vor allem rechte und religiöse Parteien.

Netanjahu ließ außerdem offen, wer eine solche Koalition anführen solle. Er deutete aber eine mögliche Rotation an, die es bereits einmal in den 1980er Jahren gab. Ganz hatte seinerseits im Wahlkampf ausgeschlossen, als Nummer zwei hinter Netanjahu in die Regierung zu gehen. Staatspräsident Reuven Rivlin, der einen weiteren Wahlgang unbedingt vermeiden will, begrüßte umgehend Netanjahus Aufruf.

Ganz reagierte am frühen Nachmittag: Er sagte, er wolle eine breite, liberal ausgerichtet Einheitsregierung unter seiner Führung. Die Entscheidung der Israelis sei eindeutig: „Das Volk wählte Einheit.“ Er werde sich aber keinen Ultimaten beugen, so Ganz warnend in Richtung Netanjahu. Netanjahu, der Druck zu machen versucht, reagierte prompt enttäuscht auf „die Absage an eine Einheitsregierung“. Ganz hatte freilich nur Netanjahu als Regierungschef ausgeschlossen – so wie im gesamten Wahlkampf. Netanjahu aus dem Amt zu drängen war Ganz’ zentrales Wahlversprechen.

Israels Ex-Militärchef  Benny Ganz
AP/Oded Balilty
Ganz rief noch am Wahlabend zu einer Großen Koalition auf

Vom einen Patt zum nächsten

Die Wahl – sie wurde nötig, weil Netanjahu nach der Wahl im April keine Koalition bilden konnte – hat erneut eine Pattsituation geschaffen. Allerdings veränderte sich diese zuungunsten Netanjahus: Ganz und das Wahlbündnis Kachol-Lavan (Blau-Weiß) erhielten bei der Wahl am Dienstag zwei Mandate (33) mehr als Netanjahus Likud (31). Vor allem aber hat der Mitte-links-Block, der von Kachol-Lavan angeführt wird, laut derzeitigen Hochrechnungen 57 und damit zwei Sitze mehr in der Knesset, dem israelischen Parlament, als der Mitte-rechts-Block von Netanjahu. Beiden fehlt aber die nötige Mehrheit von mindestens 61 Sitzen.

Netanjahu will Immunität

Bestätigen sich die Hochrechnungen, so wird diesmal nicht Netanjahu, sondern Ganz den Regierungsbildungsauftrag von Staatspräsident Rivlin erhalten. Netanjahu hat damit weniger Spielraum – und erstmals seit vielen Jahren scheint auch eine Regierung ohne einen Ministerpräsidenten Netanjahu möglich. Für Netanjahu geht es nicht nur ums politische Überleben. In den nächsten Wochen dürften Korruptionsanklagen gegen ihn erhoben werden. Netanjahu will unbedingt noch ein Gesetz durch die Knesset bringen, das ihm Immunität vor Strafverfolgung zusichert. Das hat Ganz freilich stets kategorisch ausgeschlossen.

„Gibt keine andere Wahl“

„Es gibt keine andere Wahl, als eine breite Einheitsregierung zu bilden“, so Netanjahu in Richtung Ganz. Dieser hatte alles getan, um die Wahl zu einem Votum gegen Netanjahu zu machen. Dass Netanjahu trotz der seit Langem laufenden Ermittlungen im Amt blieb, sorgt beim liberalen Teil der israelischen Gesellschaft seit Jahren für Empörung. Diese wirft Netanjahu zudem vor, im Stile des ungarischen Premiers Viktor Orban die Demokratie nachhaltig zu beschädigen, um sich selbst an der Macht zu halten und zu bereichern.

Bereits am Tag nach der Wahl sorgte Netanjahu, der eine Koalition mit teils weit rechts stehenden Parteien bilden wollte, dafür, dass sein Block nicht zerbröselt, sondern geeint in die Koalitionsverhandlungen geht. Das soll Netanjahus Karten verbessern, der von den anderen Rechtsparteien als alleiniger Koalitionsverhandler nominiert wurde. Ob diese Abmachung bis zum Schluss hält, bleibt abzuwarten.

Spins und Gegenspins

Spekuliert wird in israelischen Medien auch, dass Netanjahu es darauf anlegt, das Wahlbündnis von Ganz zu spalten. In Ganz’ Lager wiederum wurde Netanjahus Vorstoß als Spin abgetan. Dieser wolle gar keine Koalition, sondern Neuwahlen, den Schwarzen Peter solle aber Ganz bekommen. Andere Vertreter raten Ganz laut Medienberichten, den Ball zurückzuspielen und den Vorschlag anzunehmen, allerdings mit der Bedingung, dass er, Ganz, die erste Halbzeit Regierungschef ist.

57:55

Nach Medienberichten kommt das Mitte-links-Lager mit Blau-Weiß, der Arbeitspartei, der Demokratischen Union und der Vereinigten Arabischen Liste auf 57 Mandate. Der rechts-religiöse Block mit Netanjahus konservativem Likud, dem Jamina-Parteienblock unter Führung von Ex-Justizministerin Ajelet Schaked und den strengreligiösen Parteien erhält 55 Mandate. Die Vereinigte Arabische Liste wird mit 13 Sitzen drittstärkste Kraft im Parlament. Sie gilt aber auch für Ganz nicht als Koalitionspartner.

Spekuliert wird aber auch über eine mögliche Minderheitsregierung von Ganz – die für eine gewisse Zeit von außen von der arabischen Liste unterstützt werden könnte. Die arabischen Parteien stehen seit der Staatsgründung am Rande der Politik – teils aus eigenem Agieren, teils aus Ablehnung durch die jüdischen Parteien. Teile der jüdischen Bevölkerung hegen Zweifel an der Loyalität der israelischen Araber oder Palästinenser gegenüber dem Staat.

Königsmacher Lieberman?

Sollte Ganz oder Netanjahu versuchen, abseits einer Großen Koalition eine Mehrheit zu finden, wird Avigdor Lieberman mit seiner Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) zum Königsmacher. Er hat sich im Wahlkampf bewusst vom rechten Lager abgesetzt und um die Stimmen säkularer Israelis auch abseits seiner Stammwählerschaft, der Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, gebuhlt. Ein Zerwürfnis mit Netanjahu hatte die Neuwahl im April ausgelöst. Und ohne Lieberman scheiterte Netanjahu auch nach der Wahl im Frühjahr mit der Regierungsbildung.