Branrodung im Amazonas
Getty Images/LeoFFreitas
Kompletter Kurswechsel

Die größten Hürden vor dem Klimaziel

Die designierte EU-Energiekommissarin, die Estin Kadri Simson, hat sich bei ihrer Anhörung vor dem EU-Parlament am Donnerstag klar zum Ziel einer klimaneutralen Europäischen Union bis 2050 bekannt. Sie erwarte, dass einstimmiger Rückhalt aller EU-Staaten für das Ziel der Klimaneutralität möglich sei. Doch für das Ziel gibt es große Hürden, wie neue Studien zeigen. Fachleute fordern einen kompletten Kurswechsel in Sachen Klimaschutz.

Mit der von Simson angesprochenen Klimaneutralität ist gemeint, dass keine zusätzlichen Treibhausgase aus Europa in die Atmosphäre gelangen. Das bedeutet eine komplette Abkehr von Energie aus Kohle, Öl und Gas. Unvermeidbare Klimagase müssen ausgeglichen werden, zum Beispiel durch Aufforstung und Einlagerung. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen mahnte die künftige Bundesregierung am Dienstag zum Einsatz gegen den Klimawandel. Sie werde sich um die globale Klimakrise kümmern müssen.

Die bisher gesteckten Klimaziele gingen sich noch aus, sind internationale Experten in einem neuen umfassenden Bericht vom September überzeugt. Sie untersuchten die Möglichkeit, die bis 2030 gesteckten Klimaziele zu erreichen: Die Zeit sei mehr als knapp – und radikale Veränderungen in mehrfacher Hinsicht müssten her. Vor allem reiche es nicht, Impulse von oben zu setzen. Der Wille zur Veränderung müsse auch von unten kommen.

Großes Sorgenkind Energie

Die Emissionen an klimaschädlichen Treibhausgasen, allen voran Kohlendioxid (CO2), könnten in den nächsten zehn Jahren um 50 Prozent reduziert werden, so die ambitionierte Aussage. Dafür müssten „nur“ einige wenige (vorhandene) Technologien forciert und Verhaltensweisen geändert werden – allerdings hat es das Wörtchen „nur“ in sich. Der Sektor erneuerbare Energien müsse stark ausgebaut, Kohlekraftwerke stillgelegt werden, heißt es in dem Bericht. Allein das würde die Emissionen aus der Stromerzeugung bis 2030 halbieren.

Deutlich höher liegt die Latte beim Thema Mobilität: Der Bericht geht davon aus, dass es möglich ist, den Anteil von Elektroantrieben bei Fahrzeugen in den nächsten Jahren auf 90 Prozent zu erhöhen. Zur aktuellen Größenordnung: In Österreich waren mit Stand 31. August rund fünf Millionen Pkws zugelassen. Der Anteil der (reinen) E-Fahrzeuge betrug knapp 27.000 bzw. 0,5 Prozent. Dazu kamen noch rund 45.000 Hybridfahrzeuge.

Ganze 36 Punkte

Allerdings stieg die Zahl von einem niedrigen Niveau aus durch Neuzulassungen sehr stark an: Um 42,5 Prozent von 14.618 Stück im Jahr 2017 auf 20.831 ein Jahr später. Im ersten Halbjahr 2019 wurden laut Statistik Austria rund 12.000 E-Pkws neu zugelassen. Dieser „rapide“ Trend müsse generell anhalten, um einen merkbaren Effekt zu erzielen, räumen die Experten ein.

Farmland in Brasilien
AP/Victor Caivano
Farmland in Brasilien: Nur ein Baum übrig

Insgesamt führen sie 36 Punkte oder Zwischenziele auf ihrer „Roadmap“, einem Strategieplan zur Erreichung der Pariser Klimaziele (Begrenzung der menschengemachten Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius), an, wobei 2030 eine Zwischenetappe auf dem Weg zum Ziel Nullemission im Jahr 2050 ist: Zum Beispiel einen weltweiten Stopp der Abholzung von Wäldern, da sie CO2 binden können, genauso wie von naturbelassenen Landschaften generell. Deshalb fordern die Klimaexperten auch ein besseres Landmanagement.

Containerschiffe CO2-neutral

Weiters müssten Städte Substanz und Gesicht verändern. Alte Gebäude müssten neu genutzt werden, um Ressourcen zu sparen, es müsste CO2-neutral gebaut werden, insgesamt brauche es auf dem Bausektor „tiefgreifende Veränderungen“. Ein weiterer Punkt: die Schifffahrt.

Auch sie könne ihr Emissionsvolumen um die Hälfte reduzieren, heißt es in dem Bericht, wenn an Routen, Geschwindigkeit und Treibstoffen gearbeitet werde. Der Bericht verweist auf die dänische Reederei Maersk, die bis 2050, vor allem durch die Verwendung von Biotreibstoffen, klimaneutral fahren will.

Große Veränderungen brauche es nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Nutzung ihrer Produkte. Die Landwirtschaft müsse nachhaltig werden, sowohl was den Verbrauch natürlicher Ressourcen als auch den Einsatz von Düngemitteln und die Treibhausgasemissionen betrifft. Die Konsumentinnen und Konsumenten müssten ihre Ernährungsgewohnheiten ändern – weg von zu viel Fleisch hin zu mehr Obst und Gemüse. Nicht zu Unrecht nennt einer der Studienautoren, Brent Loken, Experte für Ressourcenmanagement, diese beiden Punkte – Landwirtschaft und Ernährung – die großen Unbekannten und den Sektor, der wohl am schwierigsten rasch zu verändern ist.

Rush Hour in Peking, China
AP/Bian Zhengfeng
Stoßzeit in Chinas Hauptstadt Peking

Beinahe illusorisch

Genau deshalb, weil einige Ziele fast schon illusorisch klingen, betonen die Autoren in Stockholm erschienenen Berichts: Grundbedingung für ihr Erreichen sei eine starke Zivilgesellschaft, die die Veränderungen mitträgt und den Druck auf die politischen und wirtschaftlichen Verantwortungsträger aufrechterhält – wie es aktuell etwa die „Fridays for Future“-Bewegung tut. Zivilgesellschaftliche Bewegungen seien eine „Toppriorität“, schrieb der britische „Guardian“, denn Konsumenten könnten Druck auf die Unternehmen, deren Produkte sie kaufen, ausüben.

Waldbrand im Amazonas
Reuters/Bruno Kelly
Am Amazonas brennt seit Wochen der Regenwald

Nicht ohne öffentliche Unterstützung

Gleichzeitig mache die Unterstützung der Öffentlichkeit es der Politik möglich, mutige Maßnahmen zu setzen. Das Ziel 2030 sei, so viele Variablen die Rechnung auch beinhaltet, erreichbar, klingt in dem Bericht durch. Das Ausmaß der Veränderung, die es brauche, sei noch nie dagewesen, wurde Studienautor Johan Rockström zitiert, aber das Tempo schon. „Das ist jetzt ein Wettlauf gegen die Zeit, aber Unternehmen und ganze Industrien haben in weniger als zehn Jahren beachtliche Veränderungen erreicht.“

Rollende Landstraße und viel mehr E-Autos

Damit die Klimaschutzziele doch noch erreicht würden, müsste in Österreich bis 2030 ein Drittel weniger fossile Treibstoffe verwendet werden, sagte Verkehrsminister Andreas Reichhardt anlässlich der „energy2050“-Tagung, einer Veranstaltung des Verbund-Konzerns, Ende September im Salzburger Fuschl. In den nächsten Jahren müssten die Gesamtemissionen des Verkehrssektors von 23,6 auf rund 15 Millionen Tonnen im Jahr sinken. Die Herausforderung sei groß, denn die Mobilität sowohl bei Privaten als auch im Gütertransport werde weiter zunehmen.

Windpark in Deutschland
APA/dpa/Patrick Pleul
Mehr alternative Energie: Windpark im nordostdeutschen Brandenburg

Bis 2050 soll sie aber CO2-neutral sein, so Reichhardt. Der Anteil des Verkehrs an den gesamten heimischen Treibhausgasemissionen hat 2017 rund 29 Prozent betragen (inklusive der dem CO2-Zertifikatehandel unterworfenen Sektoren und 46 Prozent ohne diese), erinnerte er.

Es müsse in den öffentlichen Verkehr investiert und der Gütertransport von der Straße auf die Schiene verlagert werden – „dafür investieren wir pro Jahr zwei Milliarden Euro, wir werden das auf 2,5 Milliarden im Jahr steigern“, so der Minister. Im Individualverkehr sehe er zwei Stoßrichtungen, nämlich in der Weiterentwicklung der Antriebstechnologien und Treibstoffe, also E-Antriebe, Wasserstoff und Biokraftstoffe.