Angela Merkel und Olaf Scholz
Reuters/Michael Hanschke
Von Protesten „wachgerüttelt“

Deutsche Koalition segnet Klimapaket ab

Mit einem milliardenschweren Maßnahmenpaket will die Große Koalition in Deutschland Bürger und Unternehmen zu klimafreundlichem Verhalten ermuntern. In einem gut 19-stündigen Sitzungsmarathon einigten sich die Spitzen der Koalition in Berlin am Freitag auf das Klimaschutzprogramm 2030.

Seine Kernelemente: Große Investitionen in den Klimaschutz, die Einführung eines nationalen Emissionshandels auch für Verkehr und Gebäude und die Einberufung eines Expertenrats, der jährlich die Umsetzung der Klimaziele überprüfen soll.

Kernstück des Klimapakets ist eine Abgabe für das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2), die beim Tanken und Heizen mit fossilen Brennstoffen spürbar sein wird. Es soll ein Festpreis auf den CO2-Ausstoß pro Tonne gelten, der 2021 mit zehn Euro pro Tonne CO2 beginnt und bis 2025 auf 35 Euro steigt. Benzin oder Diesel werden so an der Tankstelle inklusive Mehrwertsteuer um bis zu zwölf Cent teurer.

Bahn wird billiger, Fliegen teurer

Klimafreundliches Verhalten wird auf der anderen Seite etwa mit Zuschüssen zum Kauf von E-Autos oder modernen Heizungen belohnt werden. So soll der Austausch von Ölheizungen mit bis zu 40 Prozent der Kosten gefördert werden. Ab 2026 soll der Einbau von Ölheizungen komplett verboten werden. Die Bahn wird umfangreich unterstützt: Sie erhält zudem vom Staat jährlich eine Milliarde Euro mehr, was sich dann bis 2030 auf zehn Milliarden Euro summiert.

Zudem wird sie über die Senkung der Mehrwertsteuer auf Fernbahntickets gefördert. Die Flugticketsteuer soll ab dem nächsten Jahr in dem Maße steigen, wie Kosten für die Mehrwertsteuersenkung bei der Bahn anfallen.

54 Milliarden Euro bis 2023

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich überzeugt, dass die Koalition damit „die Grundlagen dafür gelegt“ habe, ihre Klimaziele bis 2030 umzusetzen – nämlich eine Verringerung des Ausstoßes an Treibhausgasen um 55 Prozent verglichen mit dem Stand von 1990. Bei ihren Beschlüssen hätten sich die Koalitionsspitzen von der Frage leiten lassen: „Wie kann man aus einem gut gemeinten Ziel eine gut gemachte Zielerfüllung machen?“

Malu Dreyer, Olaf Scholz, German Chancellor, Angela Merkel Annegret Kramp-Karrenbauer
APA/AFP/Axel Schmidt
Die kommissarische SPD-Parteivorsitzende Malu Dreyer, Finanzminister Olaf Scholz (SPD), Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Verteidigungsministerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bei der Bekanntgabe des Klimaschutzprogramms 2030

Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD) bezifferte die Höhe der geplanten Klimainvestitionen auf 54 Milliarden Euro bis 2023. Bis 2030 ist in dem Koalitionspapier ein Investitionsvolumen in dreistelliger Milliardenhöhe vorgesehen. Die Koalition will dennoch nicht von ihrem Ziel abrücken, keine neuen Schulden aufzunehmen. „Wir stehen zur schwarzen Null“, sagte Merkel.

Scholz dankte ausdrücklich den jungen Klimaaktivisten von „Fridays for Future“: Diese hätten „uns alle aufgerüttelt“. Auch am Tag der Einigung kam es erneut – weltweit – zu großangelegten Klimaprotesten. Allein in Berlin gingen mehr als 270.000 und deutschlandweit rund eine Million Menschen auf die Straßen. Der Durchbruch gelang erst am Freitagmittag, nachdem die Partei- und Fraktionsvorsitzenden seit Donnerstagabend mit Merkel und Scholz im Kanzleramt getagt hatten.

Laut Merkel „Paradigmenwechsel“

Die deutsche Kanzlerin hob zwei Instrumente hervor, die das Erreichen der Klimaziele sicherstellen sollen: die Bepreisung des Ausstoßes von CO2 im Verkehrs- und Gebäudebereich und die Einführung eines Mechanismus, mit dem die Umsetzung der Klimaziele jährlich überprüft wird. Die Einführung der CO2-Bepreisung stelle einen „Paradigmenwechsel“ dar, sagte die Kanzlerin. Die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sprach von einem „Neuanfang“ in der deutschen Klimapolitik.

Das von der Koalition vereinbarte System eines Emissionshandels soll 2021 auf sehr niedrigem Niveau starten: Der Preis pro Tonne CO2 soll dann von zehn Euro im Jahr 2021 bis 35 Euro im Jahr 2025 ansteigen. Ab 2026 soll eine Versteigerung der Emissionszertifikate zunächst in einem Preiskorridor zwischen 35 und 60 Euro pro Tonne CO2 erfolgen. Die Preise für den CO2-Ausstoß „fangen tatsächlich sehr niedrig an“, räumte Merkel ein. Ziel sei es, „die Menschen auch mitzunehmen“. Die CO2-Bepreisung war dabei einer der Hauptknackpunkte zwischen Union und SPD.

Kontrollmechanismus als „eine Art Garantie“

Als zweites Instrument des Klimapakets hob die Kanzlerin den geplanten Kontrollmechanismus hervor. „Dieser Mechanismus ist eine Art Garantie dafür, die Ziele zu erreichen“, sagte Merkel. Bei der jährlichen Überprüfung lasse sich die Regierung von Experten unterstützen, sagte sie. Das Klimakabinett der deutschen Regierung soll in den kommenden Jahren zu einer dauerhaften Einrichtung werden. Diese Mechanismen sollten in einem eigenen Klimaschutzgesetz festgeschrieben werde, das Teil des vereinbarten Klimapakets sei, sagte die Kanzlerin.

Das Maßnahmenpaket sieht zahlreiche weitere Punkte in unterschiedlichen Wirtschaftssektoren vor, unter anderem die Förderung von Elektromobilität und die Stärkung öffentlicher Verkehrsmittel sowie ein steuerliches Förderprogramm zur energetischen Gebäudesanierung.

Kritik von NGOs und Opposition

Koalitionsvertreter werteten die Einigung als Beleg für die Arbeitsfähigkeit des rot-schwarzen Bündnisses. CSU-Chef Markus Söder sprach von einem „massiven Zurückmelden der Großen Koalition“. Die Umsetzung der von der Koalition beschlossenen Eckpunkte wird zahlreiche Gesetzesänderungen erfordern. Zum Teil wird die Koalition dabei auch auf die Zustimmung des Bundesrats angewiesen sein, weswegen sie auch bei Grünen und FDP um Akzeptanz werben muss. Diese Gespräche würden „sicherlich nicht einfach“ werde, sagte Merkel.

Umweltverbände und Oppositionspolitiker kritisierten die Klimabeschlüsse. „Fridays for Future“ erklärte zu der geplanten CO2-Bepreisung: „Nochmal zwei Jahre warten ist skandalös.“ Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sprach von einem „Stückwerk mit halbgaren Maßnahmen“. Die Grünen sprachen von einer „historischen Pleite“, die Linken kritisierten die Vereinbarungen als „unsozial und ineffektiv“.