„Flucht“ vor Regierungsbildungsauftrag in Israel

Eine ungewöhnliche Situation gibt es wenige Tage nach der Parlamentswahl in Israel: Während sich normalerweise die Vertreter der stärksten Parteien darum reißen, vom Staatspräsidenten den Auftrag für die Regierungsbildung zu bekommen, ist es diesmal genau umgekehrt. Sowohl der amtierende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als auch sein Herausforderer Benni Ganz „flüchten“ davor, wie die israelische Tageszeitung „Jediot Achronot“ (Onlineausgabe) heute berichtete.

Präsident Reuven Rivlin wird heute vermutlich einem der beiden Parteichefs – Ganz’ Partei erhielt 33, Netanjahus 31 Mandate – den Auftrag erteilen. Dieser hat dann laut Gesetz drei Wochen Zeit, eine Koalition mit der nötigen Mehrheit von mindestens 61 Mandaten zusammenzustellen.

Beide setzen auf Runde zwei

Die Wahl in der Vorwoche endete allerdings in einem Patt des Mitte-links- und des Mitte-rechts-Blocks. Beiden fehlt die erforderliche Mehrheit. In der Rolle des Königsmachers ist Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman mit seiner Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel). Während sich alle anderen Parteien bei Rivlin jeweils für Ganz oder Netanjahu aussprachen, gab Lieberman keine Empfehlung ab.

Sowohl Ganz als auch Netanjahu gehen laut israelischen Medienberichten davon aus, dass es in der ersten Phase keinen Kompromiss geben wird. Erst wenn der Druck entsprechend hoch wird, einen dritten Wahlgang binnen Jahresfrist zu vermeiden, wird erwartet, dass sich die Blöcke aufweichen könnten und einzelne Parteien quasi über ihren Schatten springen.

Poker mit Risiko

Ganz risikolos ist das Pokern freilich nicht – denn natürlich könnte es demjenigen, der zuerst den Auftrag erhält, auch gelingen, die nötige Mehrheit zusammenzustellen. Dabei hat allerdings Netanjahu die besseren Karten: Sein Mitte-rechts-Block hält 55 Mandate.

Ganz’ Mitte-links-Block dagegen hat zwar 57 – allerdings will Ganz wie alle anderen jüdischen Parteien die arabisch-israelischen Parteien (13 Mandat) nicht in eine Koalition aufnehmen. Ohne diese hält Ganz bei 44 Mandaten und damit deutlich weniger als Netanjahu.

Eine Unterstützung im Parlament ist für Ganz aber wohl vorstellbar, auch wenn das bisher keine israelische Regierung machte und es als verpönt bis undenkbar gilt. Das wiederum spiegelt wider, wie sehr die große Minderheit der Araber (rund 21 Prozent der Bevölkerung) am Rande der israelischen Gesellschaft und Politik steht.