Gemälde von Caravaggio: „Christi Geburt mit den Heiligen Franziskus und Laurentius“ (1609)
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„Entführter“ Caravaggio

Neue Details zu legendärem Kunstdiebstahl

In der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 1969 haben Unbekannte in Palermo ein großformatiges Altarbild aus dem Oratorio di San Lorenzo gestohlen. Neue Erkenntnisse legen nun nahe, dass es für das 1609 von Michelangelo Merisi da Caravaggio geschaffene Gemälde „Christi Geburt mit den Heiligen Laurentius und Franziskus“ eine an die Kirche gerichtete Lösegeldforderung der Mafia gab.

Konkret veröffentlichte der britische „Guardian“ einen ersten Ausschnitt eines 2001 aufgenommenen und bisher unter Verschluss gehaltenen Videointerviews des Filmemachers Massimo D’Anolfi mit Monsignor Rocco Benedetto, zu dem die mutmaßlichen Caravaggio-Diebe den Angaben zufolge per Brief Kontakt aufgenommen hatten.

Er habe ein Schreiben mit den Worten „Wir haben das Gemälde“ zusammen dem Angebot für einen Deal erhalten, sagte der 2003 verstorbene Priester in der Videoaufnahme. Nach einer ersten, über ein Inserat in der Zeitung „Giornale di Sicilia“ signalisierten Zusage, habe er dann einen zweiten Brief samt einem Stück des gestohlenen Caravaggio erhalten.

Die in die Lösegeldforderung mit einbezogenen Behörden, konkret das in Palermo für die Betreuung des Kultur- und Umwelterbes zuständige Amt, habe dann aber entschieden, keine neuerliche Kontaktaufnahme zu suchen – warum, „weiß ich nicht“, so Benedetto.

Vorgangsweise erinnert an Geiselnahmen der Mafia

D’Anolfi ortet in der von Benedetto beschriebenen Vorgangsweise die Handschrift der Mafia. „Sie hatten ein Stück des Bildes geschickt, genau wie normalerweise einen Finger oder ein Ohr eines entführten Opfers“, sagte der Filmemacher, der im Oktober nun die Veröffentlichung des gesamten Videos plant, gegenüber dem „Guardian“.

Gemälde von Caravaggio: „Christi Geburt mit den Heiligen Franziskus und Laurentius“ (1609)
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Um Caravaggios „Christi Geburt mit den Heiligen Laurentius und Franziskus“ ranken sich etliche Legenden und Mythen

Der Verdacht Richtung Cosa Nostra ist allerdings alles andere als neu – nicht zuletzt legten in der Vergangenheit auch etliche Mafia-Kronzeugen immer wieder eine Beteiligung des organisierten Verbrechens nahe. Ob in einem Stall von Schweinen und Ratten zerfressen oder als Bettvorleger eines Mafia-Bosses in der Cosa-Nostra-Hochburg Corleone verwendet – den Mythen und Legenden rund um das Gemälde, das vom FBI unter den zehn meistgesuchten Kunstwerken gelistet wird, sind dabei offenbar keine Grenzen gesetzt.

Italienischen Medienberichten zufolge erscheint es mittlerweile als erwiesen, dass der gestohlene Caravaggio anfangs zwischen hochrangigen Mafia-Bossen herumgereicht wurde. Das Nachrichtenportal Palermotoday nennt hier etwa den als „Fürst von Villagrazia“ bekannt gewordenen Stefano Bontade und den zeitweise als mächtigsten Mann der Cosa Nostra gehandelten Gaetano Badalamenti. In den 90er Jahren versuchte dann der Mafia-Boss Giovanni Brusca – wenn auch vergeblich –, Hinweise auf den Caravaggio als Faustpfand für eine Straferleichterung ins Spiel zu bringen.

Von Kunsthändler in Stücke geschnitten?

2017 verfestigte die Aussage des Kronzeugen Gaetano Grado schließlich den Verdacht, wonach das Gemälde, das vom FBI mit einem Wert von 20 Millionen Dollar (18 Mio. Euro) beziffert, von anderen Stellen aber weit wertvoller eingeschätzt wird, schon lange ins Ausland gebracht worden sei. Bereits in den 1970er Jahren habe sich die Cosa-Nostra-Führungsriege für einen Verkauf des Gemälde ins Ausland entschieden.

Erst im Vorjahr zeigte sich die damalige Präsidentin der Anti-Mafia-Kommission des italienischen Parlaments, Rosy Bindi, schließlich davon überzeugt, dass das Bild in die Schweiz geschmuggelt worden und von einem inzwischen verstorbenen Kunsthändler in Lugano in Stücke geschnitten worden sei, um es besser verkaufen zu können.

Der ehemalige Scotland-Yard-Ermittler Charles Hill, der 1994 Edvard Munchs gestohlenes Bild „Der Schrei“ aufspürte, sieht den Caravaggio indes nach wie vor eng mit der Cosa Nostra verbunden. Hill sagte im Vorjahr gegenüber dem „Guardian“, er sei zwar sicher, dass der Caravaggio wieder auftauchen werde – allerdings wohl erst, wenn mit Matteo Messina Denaro der letzte der großen flüchtigen Mafia-Bosse gefasst worden sei.