Protstierende in Kairo
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Proteste in Ägypten

Mysteriöser ‚Volksheld‘ rüttelt an Sisis Thron

Am Freitag soll ein „Millionenmarsch“ gegen die Regierung in Ägypten stattfinden. Dazu aufgerufen hat ein mysteriöser, in Spanien lebender Exilägypter: Mohammed Ali, den Experten zufolge viele als „Volkshelden“ ansehen, wirft dem Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi in Dutzenden Videoclips Korruption vor und will dessen Rücktritt. Dass es in dem Land brodelt, zeigten die ersten Proteste seit 2013 am Wochenende.

Mit seinen mit Vorwürfen gespickten Videos, die der schwerreiche 45-jährige Bauunternehmer und Schauspieler regelmäßig auf seiner Facebook-Seite „Mohammed Alis Geheimnisse“ veröffentlicht, avancierte er seit Anfang September offenbar zum ungewöhnlichen Gegenspieler des seit 2013 regierenden ägyptischen Präsidenten. Ali, dessen Videos millionenfach angeklickt wurden, hatte selbst nach eigenen Angaben 15 Jahre mit der ägyptischen Armee zusammengearbeitet.

Und dieser macht er ebenso wie Sisi große Vorwürfe: Die Armee verschwende öffentliche Gelder und schulde ihm 220 Mio. Ägyptische Pfund (rund zwölf Mio. Euro) für den Bau eines Luxushotels. Sisis Frau wiederum habe sündhaft teure Renovierungsarbeiten in einigen Palästen angeordnet. „Du bist ein Unterdrücker und ein Versager“, wettert Ali gegen den Präsidenten. Beweise legte er keine vor.

Mohamed Ali
www.facebook.com/MohamedAliSecrets (Screenshot)

Millionen leben in Armut

Einen Nerv trifft Ali insbesondere mit seinen Vorwürfen, Sisi lebe auf Kosten der Ägypter in Saus und Braus und investiere Milliarden in Prestigeprojekte. Immerhin lebt laut offiziellen Zahlen etwa ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Der Weltbank zufolge leben sogar 60 Prozent in Armut oder gelten als armutsgefährdet. Auch bleiben Reformen im Bildungs- und Gesundheitswesen aus. Sisi wies die Vorwürfe zurück: „Ja, ich habe Paläste gebaut, und ich werde mehr bauen“, hatte er jüngst in einer Rede gesagt. Das tue er aber im Namen aller Ägypter.

Während Ali der Regierung fast täglich Korruption und Geldverschwendung vorwirft, gibt er sich als Mann vom Volk: „Gut aussehend und fit – Herr Ali ist Beobachtern zufolge eine Art Volksheld; ein ungebildeter Mann, der Millionen verdient und nun der Arbeiterklasse zur Rettung eilt. Er spricht nicht wie ein Demokratieaktivist oder Politiker, sondern wie einer von ihnen, oder einfach wie jemand, der sie gerne wären“, schreibt die „New York Times“. „Sie sehen ihn an und sie sehen eine erfolgreiche Version ihrer selbst“, sagte auch die Politologin Rabab el-Mahdi von der American University in Kairo.

Enorme Symbolwirkung

Alis ersten Protestaufruf folgten am Wochenende trotz Demonstrationsverbots bereits Hunderte Menschen in Kairo und anderen größeren Städten. Bei den ersten Protesten gegen die Regierung seit 2013 kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Mehr als 1.900 Personen wurden seither festgenommen. Das vermeldete am Donnerstag die NGO Egyptian Center for Economic and Social Rights. In Sozialen Netzwerken gibt es indes Zehntausende Tweets, die mit Hashtags wie „Raus mit Sisi“ oder „Sisi ist nicht mein Präsident“ versehen sind.

Ägyptens Präsident Al Sisi
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Sisis Amtszeit wurde im April bis 2030 verlängert

Wenngleich die Demos vergleichsweise klein waren, ist ihre Symbolwirkung nicht zu unterschätzen. Denn seit der Machtübernahme des Ex-Armeechefs Sisi nach dem Militärputsch im Jahr 2013, bei dem Mohammed Mursi von der Muslimbruderschaft abgesetzt wurde, gab es kaum noch größere Proteste oder Demonstrationen. Die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit sind seither sehr eingeschränkt.

Aktivisten: Sisi schlimmer als Mubarak

Nach Angaben von Menschenrechtlern wurden in vergangenen Jahren Zehntausende Menschen aus politischen Gründen festgenommen und Hunderte zum Tode verurteilt. Aktivistinnen und Aktivisten, Oppositionelle und Menschenrechtsorganisationen zufolge werde Ägypten unter Sisi autoritärer regiert als zu den schlimmsten Zeiten des langjährigen autokratischen Herrschers Husni Mubarak.

Bei vielen ist Sisi aber nach wie vor beliebt. Unter anderem deshalb, weil er in ihren Augen nach dem Sturz Mubaraks 2011 und dem Militärputsch zwei Jahre später dem Land Stabilität gebracht habe. Auch er selbst gibt sich nach außen hin gerne als Landesvater, der Ägypten in Richtung mehr Demokratie führen will, und rechtfertigt seine harte Politik mit der Terrorgefahr, etwa im Norden des Sinai, wo ein Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aktiv ist.

Trump gibt Sisi Rückendeckung

Anzeichen, dass der ägyptische Präsident Schwäche zeigen könnte, gibt es keineswegs. Erst im April wurde einem weiteren Ausbau seiner Macht zugestimmt. Anstatt bis 2022 darf er Ägypten bis 2030 regieren. Er erhielt damals zudem das Recht, hohe Ämter im Justizwesen zu besetzen. Unterstützung bekam er zuletzt am Rande der UNO-Generaldebatte in New York gar von US-Präsident Donald Trump: Sisi habe in Ägypten für „Ordnung“ gesorgt, sagte dieser.

Im Zuge seines Aufenthalts in New York äußerte sich Sisi auch zu den jüngsten Protesten – und fütterte damit aufgeflammte Spekulationen rund um Alis Person. Der ägyptische Präsident beschuldigte indirekt die in Ägypten verbotene Muslimbruderschaft, als er meinte, der „politische Islam“ sei für die Proteste verantwortlich.

„Das Ganze ist ein bisschen verdächtig“

„Das Ganze ist ein bisschen verdächtig“, sagte der langjährige Journalist und Sprecher einer ägyptischen Oppositionspartei Chaled Dawud gegenüber der „New York Times“ mit Bezug auf Ali. „Er (Ali, Anm.) hat sich nicht als Politiker ins Spiel gebracht. Vielmehr ist er eine Art Whistleblower, der plötzlich entschieden hat, Revolutionsführer zu werden“, sagte Dawud außerdem.

Ob es am Freitag – wie von Ali gewünscht – zu einer „Revolution des Volkes“ kommen wird, ist fraglich. Einem dpa-Reporter zufolge mussten Fußgänger bei Polizeikontrollen teils ihre Handys entsperren und zusehen, wie Ermittler in ihren privaten Nachrichten, Fotos oder in Facebook- und Twitter-Konten nach kritischen Inhalten suchten. Regierungsanhänger kündigten ihrerseits bereits Gegenproteste an.

„Es ist momentan nicht klar, ob die Proteste eskalieren oder ob sie im Sande verlaufen“, sagte Michele Dunne, Vorsitzende des Programms über den Nahen Osten der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden. „Aber wenn nicht diese Woche, dann ist es wahrscheinlich, dass die Proteste in den kommenden Wochen und Monaten zurückkehren.“