SPÖ Tafel und grüne Handtasche
ORF.at/Lukas Krummholz
Nationalratswahl

Das grüne Verhängnis der SPÖ

Neben der FPÖ ist die SPÖ die klare Wahlverliererin bei der Nationalratswahl 2019. Mit weniger als 22 Prozent fuhren die Sozialdemokraten ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundeswahl ein. Als Konsequenz trat am Montag SPÖ-Parteimanager Thomas Drozda von seinem Posten zurück. Doch wie konnte es überhaupt zum Minus von mehr als fünf Prozentpunkten kommen?

Eine „plausible Erklärung“, da sind sich die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle und der Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik einig, sei das Wiedererstarken der Grünen. „2017 hat die SPÖ von vielen ehemaligen Grün-Wählern profitiert, die vermutlich aus taktischen Gründen die SPÖ gewählt haben, um eine Regierung zwischen ÖVP und FPÖ zu verhindern“, sagt Stainer-Hämmerle. Auch Ennser-Jedenastik betont, dass ein Großteil der SPÖ-Wähler von 2017 bei dieser Wahl zu den Grünen abgewandert bzw. zurückgewandert ist.

Denn tatsächlich hat die SPÖ bei der Nationalratswahl 2017 ordentlich im grünen Teich gefischt. Insgesamt haben die Sozialdemokraten laut SORA-Wählerstromanalyse 161.000 Stimmen von den Grünen ergattert, das sind mehr als ein Viertel der ganzen Grün-Wähler von 2013. Bei der diesjährigen Wahl ist es umgekehrt. Die SPÖ verlor 193.000 Stimmen an die Grünen, was 14 Prozent aller SPÖ-Wähler von 2017 entspricht.

„Durch die Bank“ verloren

Überhaupt haben die Sozialdemokraten „durch die Bank“, wie Ennser-Jedenastik es nennt, Stimmen verloren. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen, bei Jung und Alt, und auch bei den Angestellten – nur bei den Arbeitern gab es ein Plus. Ein deutliches Minus gegenüber der Nationalratswahl von 2017 gab es diesmal bei Maturanten und Universitätsabsolventen. Das ist aber ein Ergebnis des Wählerflusses Richtung Grün. „Aus Befragungen wissen wir, dass Personen mit formal höherer Bildung eher dazu neigen, die Grünen zu wählen“, sagt der Politikwissenschaftler der Uni Wien.

Im Jahr 2017 hätten diese potenziellen Grün-Wähler für die SPÖ gestimmt. „Das führte dazu, dass die SPÖ vor zwei Jahren einen enormen Zuwachs in diesem Segment hatte, was nicht ganz dem Wählerprofil der SPÖ entspricht“, so Ennser-Jedenastik im Gespräch mit ORF.at. Während 2013 nur neun Prozent aller Wähler und Wählerinnen mit Uniabschluss die SPÖ wählten, waren es 2017 plötzlich 31 Prozent. Nur zwei Jahre später schrumpfte der Anteil auf 14 Prozent. Das geht aus Daten der SORA-Wahltagsbefragungen hervor.

Stainer-Hämmerle verweist dabei auf eine „uralte These“, die besagt, dass sich die Sozialdemokraten durch ihre eigene Politik selbst obsolet machen. „Die Gruppe der Arbeiter wird immer kleiner, weil sie in die Mittelschicht kommen. Dann wächst der Anteil der Akademiker in der Bevölkerung, und die wählen halt nicht die SPÖ“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Obwohl es offensichtlich sei, dass der Partei seit Jahren die Wählersegmente wegbrechen, habe sie keine Antwort darauf, wie eine „moderne Sozialdemokratie“ heute aussehen soll.

Keine „Wechselstimmung“ im Land

Dass viele Wähler der SPÖ den Rücken gekehrt haben und wieder an ihre politische Heimat andockten, ist aber nur eine von zahlreichen Erklärungen, über die sich Fachleute Gedanken machen. Eine andere wäre, so Politologin Stainer-Hämmerle, dass „keine Wechselstimmung in der Bevölkerung vorhanden war“. Die Wahl fand wegen einer Krise, der „Ibiza-Affäre“, und dem Koalitionsbruch danach statt. „Für eine Oppositionspartei, die sich in dieser Rolle schwergetan hat, ist das eine ungünstige Ausgangslage“, sagt die Expertin. Man sei auf eine Wahl nicht vorbereitet gewesen.

Grafik zum Wahlverhalten der der SPÖ-Wähler
Grafik: ORF.at; Quelle: ORF/ISA/SORA

Hinzu kämen, so Stainer-Hämmerle, weitere Faktoren, die das Ergebnis am Ende mitbeeinflusst hätten: Die Mobilisierung in den Ländern sei quasi ausgeblieben, die Motivation in der Basis hielt sich in Grenzen, öffentlich ausgetragene Querschüsse innerhalb der Partei hätten die Basis verunsichert und „das Vertrauen in die SPÖ-Spitze war, allen Treueschwüren aus den Ländern zum Trotz, nicht wirklich besonders“.

Deshalb glaubt Stainer-Hämmerle auch nicht, dass der Rücktritt von Thomas Drozda als SPÖ-Bundesgeschäftsführer ausreicht, um alle Parteigranden zu besänftigen. Zwar habe er nun viel Druck herausgenommen, aber um eine größere Veränderung in der SPÖ werde man aufgrund der anstehenden Landtagswahlen nicht herumkommen. In der Steiermark und in Vorarlberg wird heuer gewählt, nächstes Jahr in Wien und im Burgenland.

Das Schwitzen in den Ländern beginnt

Allen voran in den letztgenannten Ländern, wo die SPÖ ihre Vormachtstellung verteidigen will, werde man schon „schwitzen“, so die Expertin. „Die strategische Positionierung der Bundes-SPÖ wirkt sich auch auf den Wahlkampf der Landesorganisationen aus“, sagt Stainer-Hämmerle. Wenn Rendi-Wagner in die Opposition geht, könne es den Wiener Genossen und Genossinnen helfen, sofern es wieder zu einer ÖVP-FPÖ-Regierung kommt. „Bei einer Regierung zwischen ÖVP und Grünen sieht das wieder anders aus.“

Auf diese Diskussion scheint sich der steirische SPÖ-Chef Michael Schickhofer gar nicht erst einlassen zu wollen. Er distanzierte sich am Montag von der Bundespartei und zog sich aus Präsidium und Vorstand zurück – mehr dazu in steiermark.ORF.at. Das sei „logisch. Schickhofer versucht vor der Landtagswahl noch seine Haut zu retten“, so Stainer-Hämmerle. Er wolle nicht mit dem schlechten Abschneiden bzw. der möglichen Oppositionsrolle der Bundes-SPÖ in Verbindung gebracht werden.

Mehr schaden würde der Partei laut Stainer-Hämmerle allerdings eine öffentlich ausgetragene Personaldebatte über Rendi-Wagner. Das scheint derzeit ohnehin noch nicht der Fall zu sein. Bisher lassen nur einzelne Wortspenden Zweifel an der Bundesobfrau durchscheinen. Politologin Stainer-Hämmerle: „Es wird eine inhaltliche Diskussion geben. Einfacher ist sie für Parteien aber immer mit neuen Gesichtern.“