Sebastian Kurz (ÖVP)
ORF.at/Christian Öser
Qual der Wahl

Regierungsbildung wird dauern

Die nächste Koalition wird nicht schnell stehen, so viel ist klar. Wahlsieger ÖVP-Chef Sebastian Kurz deutete das am Montag bereits an. Grund dafür sind aber weniger die – zumindest rechnerisch – große Auswahl und die jeweiligen Hürden für eine Einigung. Kurz denkt wohl bereits an die nächsten anstehenden Wahlen.

Denn in den nächsten Monaten stehen insgesamt drei Landtagswahlen auf dem Programm. In Vorarlberg ist die Bevölkerung bereits in zwei Wochen wieder zur Urne gerufen, der Intensivwahlkampf hat ausgerechnet am Wahlsonntag begonnen. Und im Jänner wird im Burgenland gewählt. Am wichtigsten aber ist wohl die ebenfalls vorgezogene Landtagswahl in der Steiermark. Sie geht am 24. November über die Bühne.

Dass sich Kurz vorher auf den künftigen Koalitionspartner festlegt, ist unwahrscheinlich. Auch der Politologe Peter Filzmaier glaubt, dass sich Kurz „Zeit lassen wird“. Denn egal, welche der drei infrage kommenden Parteien – SPÖ, FPÖ und Grüne – er wähle, er enttäusche damit unweigerlich einen Teil der ÖVP-Wählerschaft. Das aber werde Kurz bis zur Steiermark-Wahl am 24. November zu verhindern suchen.

Kurz: Besonnenheit und Durchhaltevermögen

Kurz selbst sagte im Ö1-Interview am Tag nach dem Wahlsieg, „dass es dieses Mal etwas herausfordernder werden könnte“. Er werde „natürlich Gespräche mit allen Parteien suchen und versuchen festzustellen, mit welchen Parteien es eine gute Schnittmenge gibt“, sagte er. „Es ist auf jeden Fall eine Phase, die Besonnenheit und Durchhaltevermögen braucht“, machte Kurz klar, dass nicht mit einer raschen Entscheidung zu rechnen ist – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Filzmaier geht von einem Zeithorizont Anfang Dezember bis Weihnachten aus. Damit wäre der ehemalige und künftige Kanzler auch im langjährigen Durchschnitt. Hielte sich Kurz an die bisherige durchschnittliche Verhandlungsdauer von 60,7 Tagen, dann hätte Österreich am 29. November eine neue Bundesregierung. Seit den 1990er Jahren dauerte die Bildung von Regierungen in Österreich aber meist länger. 2017 dauerte es 64 Tage, bis sich die ÖVP mit der FPÖ auf das Regierungsprogramm geeinigt hatte. Kurz hätte somit auch „keinen Erklärungsnotstand“.

Grafik zu den Koalitionsvarianten
Grafik: ORF.at; Quelle: ORF/SORA

Kurz muss sich selbst die Gretchenfrage stellen

Kurz müsse für sich selbst „die Gretchenfrage“ klären, mit wem er wolle. Mit der FPÖ könnte er sich innerhalb einer Woche einigen. Angesichts der aktuellen Turbulenzen bei den Freiheitlichen – neben dem „Ibiza-Video“ ist auch die Spendenaffäre von Ex-Parteichef und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache virulent – ist das aber aktuell keine Option. Da brauche es zunächst einen personellen und inhaltlichen Klärungsprozess, vermutet Filzmaier.

Erste Vorbereitungen in ÖVP-Zentrale

Der ÖVP-Vorstand tritt erst am Dienstag zusammen. Verschiedene Varianten werden aber bereits durchgerechnet. ZIB-Redakteur Andreas Mayer-Bohusch berichtet von der ÖVP-Parteizentrale.

Er verweist dabei auf das Jahr 2002, als die erste ÖVP-FPÖ-Koalition nach dem FPÖ-Parteitag in Knittelfeld zerbrach und der damalige ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel Neuwahlen ausrief. Sie endeten nicht nur mit einem Absturz der FPÖ um 17 Prozentpunkte und ÖVP-Zugewinnen in fast demselben Ausmaß. Es folgten auch monatelange Koalitionsverhandlungen Schüssels mit FPÖ, SPÖ und Grünen – die schließlich mit einer Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition endeten. Auch damals sei von ÖVP-Seite eine Neuauflage zunächst ausgeschlossen worden, die dann doch wieder gekommen sei. Aber dafür „braucht es Wartezeit“, so Filzmaier.

Mit Grünen inhaltlich komplexer

Die Variante mit den Grünen sei inhaltlich viel komplexer. Nur bei 20 Prozent der Themen gebe es eine Übereinstimmung. Eine solche Koalitionsvariante brauche jedenfalls zwei oder drei Vorzeigeprojekte – ihm falle aber nur eines, ein günstiges österreichweites „Öffi“-Ticket, ein.

Umgekehrt geht der Politologe davon aus, dass die Grünen trotz aller angedeuteten Reserviertheit offen in die Gespräche gehen werden – auch wenn es für die wichtige Wien-Wahl im kommenden Jahr wahlkampftaktisch einfacher wäre, wenn man gegen die Bundesregierung eine klare Oppositionspolitik fahren könnte. Mittlerweile regierten die Grünen in vier Bundesländern mit – und die Chance auf Bundesebene ergebe sich nur selten. Genau genommen erst einmal – und das vor 17 Jahren.

Die Tiroler Grünen-Chefin Ingrid Felipe – sie ist in einer Koalition mit der dortigen ÖVP – sieht eine Chance nur bei einem Kurswechsel von Kurz. Denn die Tiroler ÖVP sei nicht mit der Bundespartei vergleichbar – mehr dazu in tirol.ORF.at.

SPÖ „kaum Option“

Die SPÖ sehe er kaum als Option, so Filzmaier. Kurz sei in einer Zeit aufgewachsen, als die SPÖ-ÖVP-Regierungen nur noch als kleinster gemeinsamer Nenner wahrgenommen worden seien. Das habe ihn geprägt, die SPÖ sei für ihn daher „nur die letzte Option“.