Brennende Erde aus Pappmaché
Reuters/Francis Mascarenhas
Grüne in Europa

Höhenflug mit begrenzter Reichweite

Die Grünen sind zurück. Mit 13,8 Prozent feiern sie den Einzug in den österreichischen Nationalrat, aus dem die Partei erst 2017 geflogen war. Auch in anderen EU-Ländern feiern die Grünen ein Hoch. Von einer europaweiten grünen Welle wollen Expertinnen und Experten dennoch nur mit Einschränkungen sprechen.

Die Grünen seien in den letzten Monaten zur „klassischen Mitte-Partei“ aufgestiegen – sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene, so die Einschätzung der europäischen Grünen-Abgeordneten Monika Vana im Gespräch mit ORF.at. Dass die Partei von jungen Wählerinnen und Wählern sowie vom „Greta-Thunberg-Effekt“ profitiere, heißt die EU-Abgeordnete außerdem willkommen: 27 Prozent der 16- bis 29-Jährigen wählten bei der österreichischen Nationalratswahl die Grünen (in etwa gleich viele wählten die ÖVP).

„‚Friday’s for Future‘ hat für einen Schub an Bewusstsein gesorgt. Klimaschutz ist in der Mitte der Bevölkerung angekommen“, sagt Vana. Dass man die Lorbeeren der Klimabewegung in Form von Wahlstimmen geerntet habe, will die Grünen-Politikerin so nicht stehen lassen. Denn die Forderungen der Aktivistinnen und Aktivisten, das Klima zu retten, seien eine „Herausforderung für uns alle“. Allerdings seien die Grünen „sicher die erste Adresse“, wenn es darum gehe, sich für Klima- und Umweltschutz auf politischer Ebene einzusetzen, so Vana.

Grüne Welle – bloß ein Teilphänomen?

Schon bei der EU-Wahl im Mai erfuhren die Grünen dank eines in der Gesellschaft gestiegenen Interesses an Klimapolitik einen Aufschwung. Europaweit kamen die Grünen/EFA auf 9,85 Prozent und 74 Mandate im Europaparlament, das bedeutete ein Plus von etwa drei Prozent bzw. 24 Sitzen im EU-Parlament gegenüber 2014. In Deutschland wurden die Grünen bei der EU-Wahl mit fast 21 Prozent sogar Zweite.

Monika Vana
Monika Vana/Lena Kaiser
Weil Kogler auf sein EU-Mandat verzichtete, rückte Vana ins Europaparlament nach

Deshalb von einer grünen Trendwende für ganz Europa zu sprechen, davon raten Expertinnen und Experten allerdings ab. „Es gibt einen großen Erfolg in den westeuropäischen Ländern, es gibt einen relativen Erfolg in osteuropäischen Ländern“, sagte Robert Habeck, einer der beiden Bundesvorsitzenden der deutschen Grünen am Dienstag am Rande einer Veranstaltung in Brüssel. In Ländern wie Rumänien, Ungarn und Polen hätten es die Grünen jedoch noch schwer.

Diego Velazquez, EU-Experte und Journalist beim Luxemburger „Wort“, weist im Gespräch mit ORF.at ebenfalls auf ein Teilphänomen der grünen Welle hin. „Die guten Resultate der Grünen sind vor allem eine Erscheinung in Nordwesteuropa“, sagt Velazquez. Dass es in Ländern wie Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Luxemburg und Österreich ein Hoch der Grünen gebe, habe unterschiedliche Gründe. „Die Mittelschicht wählt in diesen Ländern nach Interessen des Augenblicks, und wenn grüne Themen wie Klimaschutz gerade ‚in‘ sind, spielt das den grünen Parteien in die Hände“, so Velazquez.

„Die Grünen schrecken nicht mehr ab“

Das „Modephänomen Klima“ sei am Beispiel Luxemburg besonders klar zu erkennen, wo die grüne Partei seit 2013 einer Ampelkoalition unter liberaler Führung angehört. Die Partei habe die urbane Mittelschicht bei den letzten Wahlen deutlich ansprechen können, sagt Velazquez. „Die Grünen haben den Wandel in Richtung Mitte hinbekommen, die elektorale Basis wurde breiter. Sie schrecken nicht mehr ab“, erklärt er. „Sie sind sozusagen eine modernere, grünere, umweltbewusstere Version einer Mitte-Partei geworden.“

Klimaaktivistin Greta Thunberg gemeisnam mit Demonstranten bei einem Frida-for-Future-Protest inn Paris
Reuters/Philippe Wojazer
„Schulstreik fürs Klima“: Aus einer Ein-Frau-Aktion wurde eine globale Bewegung, die den Grünen Stimmen beschert haben dürfte

Eine aktuelle Umfrage im deutschen „Spiegel“ lässt dennoch Zweifel zu, dass die Grünen eine große Wählergruppe dauerhaft an sich zu binden vermögen. Immer noch werden der Umfrage zufolge die Grünen in Deutschland als Einthemenpartei wahrgenommen – und zwar als Umweltpartei. Rund 40 Prozent der Deutschen sehen die Grünen in diesem Bereich inhaltlich am stärksten. In allen weiteren Themenbereichen – Arbeit, Soziales, Wirtschaft, Innen- sowie Außenpolitik – haben andere Parteien die Nase vorn.

Rechte Parteien „nicht weg“

Doch bedeutet der Aufschwung der Grünen in Europa auf der anderen Seite ein Ausbremsen der rechten Parteien? Vor dieser Annahme warnt nicht nur die grüne EU-Abgeordnete Vana, sondern auch Velazquez. „Zwischen dem Aufschwung der einen und dem vermeintlichen Rückgang der anderen gibt es überhaupt kein Verhältnis“, meint der Luxemburger und nennt als Beispiel Italien, wo die rechtspopulistische Lega zwar nicht mehr in der Regierung, in den Umfragen aber immer noch Spitzenreiterin ist.

„Dazu muss man zum vermeintlichen Scheitern der Rechten sagen, dass das nicht deshalb passiert ist, weil die anderen Parteien alles so gut hinbekommen haben“, so Velazquez weiter, „vielmehr ist es das Verdienst ihrer eigenen atemberaubenden Inkompetenz.“ Sowohl der britische Premier Boris Johnson als auch Lega-Chef Matteo Salvini und auch Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hätten sich selbst ins Abseits manövriert. „Doch das heißt nicht, dass sie weg sind.“