Alte Straßenbahnen im Zentrum von Lissabon
Reuters/Rafael Marchante
Parlamentswahl

Portugal trotzt den europäischen Trends

Ganz und gar untypisch und gegen alle Trends in Europa hat sich Portugal in den vergangenen Jahren entwickelt. Im früheren Euro-Krisenland ist der Sparkurs schon lange vergessen: Die regierende Sozialistische Partei (PS) von Antonio Costa lockerte die Sparpolitik, erhöhte die Sozial- und andere Ausgaben und hielt sich gleichzeitig an die Vorgaben aus Brüssel. Bei der anstehenden Parlamentswahl am Sonntag stehen die Sozialdemokraten vor einem klaren Sieg.

Die PS kommt laut einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage der Zeitung „Publico“ und der öffentlich-rechtlichen TV-Anstalt RTP auf rund 37 Prozent der Stimmen und damit knapp fünf Prozentpunkte mehr als bei der letzten Wahl zur Assembleia da Republica im Herbst 2015. In der ablaufenden Legislaturperiode war Costas Partei ohne formelle Koalitionsbildung vom marxistischen Linksblock (BE) und dem grün-kommunistischen Bündnis CDU unterstützt worden.

Die beiden Parteien kommen wieder als Unterstützer infrage, aber auch die Tierschutzpartei PAN könnte sich erstmals als Partner empfehlen. Die Konservativen – mit dem verwirrenden Namen Sozialdemokratische Partei (PSD) – kommen laut Umfragen auf knapp 30 Prozent.

Rückenwind durch EU-Wahl

Costa ging mit einem historischen Sieg im Rücken ins Rennen: Die Sozialisten konnten die Europawahl im Mai mit 33,3 Prozent klar für sich entscheiden – damit ist es einer Regierungspartei in Portugal zum ersten Mal seit 20 Jahren gelungen, aus dem EU-Urnengang als Erste hervorzugehen.

Antonio Costa (PS)
Reuters/Rafael Marchante
Seit 2015 ist Costa Premierminister, zuvor war er Bürgermeister von Lissabon

Der Erfolg der Sozialdemokraten bei der EU-Wahl war insofern bemerkenswert, als wenige Wochen zuvor das Kabinett Costas gerade noch eine Regierungskrise abwenden konnte. Der PS-Chef drohte nach einem Streit über Lehrergehälter mit dem linken Bündnis mit seinem Rücktritt. Er sprach sich gegen ein kräftiges Gehaltsplus für die Pädagogen aus.

Mitte-rechts-Regierung hielt 2015 nur ein paar Wochen

Aus der Parlamentswahl im Oktober 2015 ging noch die PSD als stärkste Kraft hervor. Die Mitte-rechts-Minderheitsregierung währte allerdings nur wenige Wochen, die linke Opposition lehnte das neue Programm des Ministerpräsidenten Pedro Passos Coelho in einem Misstrauensvotum ab. Costa übernahm daraufhin das Ruder. Im Vergleich zu ihren europäischen Genossen lief es für die Sozialdemokraten in dem früheren Euro-Krisenstaat in den vergangenen vier Jahren relativ gut.

Wahlplakat der PSD in Lissabon
APA/AFP/Patricia De Melo Moreira
Rui Rio (auf dem Plakat links) übernahm erst in Vorjahr den Chefsessel bei den Konservativen

Nach der schweren Schuldenkrise vor fast zehn Jahren musste Portugal einen strengen Sparkurs einschlagen. Bis 2014 war es ein Programmland der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission und erhielt Kreditzusagen von 78 Milliarden Euro, um eine Pleite abzuwenden. Im Gegenzug musste es sich zu Budgetkonsolidierung und Reformen verpflichten.

Wachstum durch Ende der Sparpolitik

Portugal konnte sich mittlerweile ein wenig erholen. 2018 betrug das Budgetdefizit nur noch 0,5 Prozent – der niedrigste Wert seit 45 Jahren. Hinzu kommen starke Wachstumsraten. Als treibende Kraft gilt Finanzminister Mario Centeno, der seit Jänner 2018 auch Euro-Gruppe-Chef ist. Die PS erhöhte unterdessen den Mindestlohn, nahm Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst zurück und machte auch gewisse Steuererhöhungen rückgängig. Die Wirtschaft wuchs auch dank eines Tourismusbooms deutlich über dem EU-Schnitt. Mit 6,7 Prozent erreichte die Arbeitslosenrate jüngst den niedrigsten Stand seit 2002.

Auswanderung größeres Thema als Einwanderung

Im Wahlkampf waren Wirtschafts- und Sozialthemen die dominierenden Themen – aber auch der Klimawandel spielte wie in den meisten anderen EU-Ländern eine Rolle. Migration sei hingegen kaum Gegenstand der öffentlichen Debatte – und wenn dann mehr Emigration als Immigration, erklärte der Politologe Andre Freire von der Universität Lissabon, der sich anlässlich eines Seminars des journalistischen Weiterbildungsinstituts forum journalismus und medien (fjum) in Wien aufhielt. Rund 1,5 Millionen Portugiesen leben im Ausland. Gerade in den Krisenjahren waren viele ausgewandert, nicht nur in andere europäische Länder, sondern auch in ehemalige portugiesische Kolonien wie Angola.