Frau tippt mit beiden Daumen auf ihrem Smartphone
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2 Daumen vs. 10 Finger

„Tippkluft“ immer kleiner

Das Zehnfingersystem ist beim Tippen auf einer Tastatur weiter die schnellste Methode, um Text in den Computer zu jagen. Der Doppeldaumen am Smartphone macht beim Tempowettrennen aber rasant an Boden gut. Die „Tippkluft“ wird immer kleiner. Und ein Forschungsteam kommt zum Schluss: Dem Zweifingersystem gehört wohl die Zukunft.

Jahrzehntelang galt: Nur wer das Zehnfingersystem beherrscht, konnte wirklich für sich beanspruchen, Maschinschreiben zu können. Freilich gab es immer viele, die nur mit zwei Fingern tippten – und das oft überraschend schnell. Doch das Zweifingersystem war stets mit dem Makel der Unprofessionalität behaftet. Nicht nur dieses Image dürfte sich endgültig ändern. Es könnte künftig eng werden für das bisher als unangreifbar überlegen geltende Zehnfingersystem.

Zuerst die Fakten: Eine aktuelle Studie von drei Unis – ETH Zürich, Cambridge University und der finnischen Alto Universität – kommt zum Schluss, dass nicht wenige mittlerweile etwa genauso schnell auf dem Smartphone tippen wie auf einer physischen Tastatur. Immerhin mehr als 37.000 Menschen testeten über einen online verfügbar gestellten Test ihre Tippqualitäten auf dem Bildschirm. Es ist laut Angaben des Forschungsteams die bisher größte derartige Untersuchung weltweit.

Gemessen wurde bei dem Test die Zahl der eingegebenen Wörter pro Minute (ein Wort wurde als fünf Buchstaben lang definiert, Anm.), aber auch die Anschläge pro Minute (wobei Funktionen wie Steuerung oder Alt mitgezählt werden, Anm.). Außerdem wurde die Quote an nicht korrigierten Tippfehlern und die durchschnittliche Zahl an Backspace-Klicks pro Satz ermittelt.

Mobile Mediennutzung
ORF.at/Lukas Krummholz
Autokorrektur beschleunigt das Daumentippen

38 Wörter pro Minute

Das Ergebnis ist, dass viele der Testpersonen mittlerweile auf dem Bildschirm des Smartphones die durchschnittliche Tippgeschwindigkeit auf einer Computertastatur erreichen: „Wir sind erstaunt, dass Userinnen und User, die mit ihren zwei Daumen tippten, einen Schnitt von 38 Wörtern pro Minute erreichten. Das ist nur 25 Prozent unter den Werten, die bei einer ähnlich groß angelegten Studie mit physischen Tastaturen erreicht wurde“, so Anna Feit, Koautorin der Studie an der ETH Zürich.

Auf einer Tastatur könne man viel schneller tippen – bis zu 100 Wörter je Minute – aber die Anzahl der Menschen, die dieses Tempo erreiche, sinke. Die meisten Menschen schaffen 35 bis 65 Wörter je Minute.

Wie man am schnellsten ist

Mit Abstand am schnellsten waren, wenig überraschend, jene Testpersonen, die beide Daumen verwendeten. Das taten auch 74 Prozent der Personen. Die Verwendung von Autokorrektur erhöhte das Tempo ebenfalls wesentlich. Das Benützen der automatisch generierten Wortvorschläge verlangsamt dagegen das Tempo. Sunjun Kim von der Aalto Universität betont: „Die Vorschlagsfunktion hilft zwar den Leuten, aber das Aussuchen des richtigen Vorschlags dauert oft länger, als das ganze Wort selbst einzutippen, und macht einen damit insgesamt langsamer.“ Die meisten Testpersonen verwendeten irgendeine der beiden digitalen Hilfen. Nur 14 Prozent tippten ohne Autokorrektur, Wortvorschläge oder der Geste Wischen statt Tippen.

Langfristig Gleichstand?

Der von den Forschern als „Typing gap“ (Tippkluft) bezeichnete Unterschied zwischen dem Tempo an der Tastatur und jener am Smartphone wird sich laut dem Forschungsteam in den nächsten Jahren weiter verringern. Denn die Studie stellte auch eine enorme Kluft zwischen Jungen und Älteren fest. 10 bis 19-Jährige waren demnach um zehn Wörter pro Minute schneller als 40-Jährige.

Mit anderen Worten: Es hat vor allem damit zu tun, dass die Menschen immer weniger geübt im Umgang mit den Tastaturen sind. Sechs Stunden verbringen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer täglich am Handy. Das zeigt: Das Smartphone ist für viele längst um ein Vielfaches näher als die Tastatur.

Außerdem wird das Tippen auf dem Bildschirm durch verbesserte Funktionen wie Autokorrektur und technisch verfeinerte Touchscreens erleichtert. „Die Kluft könnte einmal geschlossen werden“, heißt es in der Aussendung zur Studie. Denn sie verweisen darauf, dass das Zehnfingersystem meist systematisch gelehrt und gelernt wird. Es sei zumindest eine „spannende Frage“, wie sich ein formales Training auf die Tippgeschwindigkeit am Handy auswirken würde.

Altmodische Übergangstechnologie

Das Tippen könnte in der Zukunft überhaupt der Vergangenheit angehören. Das Onlinemagazin Quartz fasste schon vor rund einem Jahr den Stand der Experimente zusammen: Längst gebe es Versuche mit Virtual Reality, auf „Tastaturen“ in der Luft zu schreiben, zu wischen – oder auch die Idee, eine Tastatur überflüssig zu machen, und Eingaben durch bloßes Denken zu produzieren. Wenn dem so sein sollte, wären auch Touchscreens nur eine denkbar altmodische Übergangstechnologie zum abstrakten „Schreiben“ gewesen.