Joaquin Phoenix als „Joker“ betrachtet sich im Spiegel
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„Joker“

Dieser Clown versteht keinen Spaß

Wenn mit Todd Phillips der Regisseur von „Borat“ und den drei „Hangover“-Teilen einen Film namens „Joker“ macht, könnte man meinen, es wird lustig. Wird es nicht. Phillips inszeniert den Superheldenstoff mit Joaquin Phoenix in der Titelrolle als Mischung aus Psychothriller, Arthouse-Schocker und Popkunstwerk.

Allerorten werden momentan Vergleiche angestellt, wer wann wie die Figur des Jokers gespielt hat. War Jack Nicholson der Beste? Oder Heath Ledger? Oder macht es Phoenix jetzt am besten? Denn der Joker ist ja ein Wiedergänger, meist als Gegenspieler von Batman im Universum der Superheldenschmiede DC. Nun hat er seinen eigenen Film bekommen, ganz ohne Superkräfte. Der Vergleich mit früheren Joker-Darstellern ist deshalb sinnlos. Die Figur ist im neuen Film eine völlig andere.

Die Geschichte geht so: Arthur, ein Mann um die 40, lebt noch bei seiner Mutter und ist psychisch auffällig. Er ist schüchtern, ein seltsamer Kauz und leidet unter zwanghaften Lachanfällen. Seit seiner Jugend will er Comedian werden, hat es aber bisher nur zu einem Job in einer Clownvermittlung geschafft. Geschäftseröffnungen, Kinderkrankenhäuser, man kann ihn und seine Kollegen für einen bestimmten Zweck buchen – mit ernsthaftem Komödiantentum oder Clownkunst hat das nichts zu tun.

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US-Schauspieler Joaquin Phoenix in seiner Rolle als als „Joker“ im gleichnamigen Film
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US-Schauspieler Joaquin Phoenix in seiner Rolle als „Joker“
US-Schauspieler Joaquin Phoenix in seiner Rolle als als „Joker“ im gleichnamigen Film
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Schreckliche Kindheit, als Comedian verkannt – der Film suggeriert: Was kann aus dem noch werden?
US-Schauspieler Joaquin Phoenix in seiner Rolle als als „Joker“ im gleichnamigen Film
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Das Lächeln macht den Joker zum Joker. In dieser Version ist der Joker sogar krank – er lacht zwanghaft.
US-Schauspieler Joaquin Phoenix in seiner Rolle als als „Joker“ im gleichnamigen Film
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Phoenix wächst als Joker über sich hinaus
Joaquin Phoenix als „Joker“
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Der Joker ist immer und überall am Performen – irgendwie beruhigt ihn das

Wenn alles schiefgeht

Einer, der so drauf ist wie Arthur, dem wird nichts geschenkt. Nicht unter den Kollegen, nicht vom Chef und schon gar nicht da draußen auf den abgefuckten 1980er-Jahre-zeitlosen bronxartigen Straßen von Gotham City. Ständig muss Arthur Prügel einstecken, manchmal tatsächliche, manchmal rhetorische, und dann spielt ihm auch noch das Leben übel mit.

Dazu kommt seine speziell schwierige Kindheit, über die an dieser Stelle nichts verraten sei – der Film bezieht einen Teil seiner Spannung aus diesem Aspekt. Auch was dann passiert, sei hier nur angedeutet. Aus Arthur, der eigentlich ein lieber Kerl ist, wird plötzlich wegen einer Verkettung ein paar blöder Umstände der Joker, mit dem gar nicht zu spaßen ist. Ab da wird der Film so richtig blutig.

Sich winden und drehen wie Iggy Pop

Phoenix muss als Schauspieler in der Figur des Jokers ganz schön viel unter einen Hut bringen: lieber Bub im Körper eines Erwachsenen, Clown, Komiker, Opfertyp mit vielen schwerwiegenden psychischen Problemen, gewalttätiges Monster. Wie er das hinbekommt, das ist höchste Meisterschaft. Sein Gesicht kennt Dutzende Ausdrücke für Schmerz, seinen mageren Körper kann er winden und drehen, als wäre er Iggy Popp zu besten Zeiten, er kann tanzen, performen, hysterisch lachen – und man nimmt ihm das alles ab, mehr noch, man staunt vor der Leinwand wie nur selten.

Wenn hier etwas überraschend ist, dann die Performance von Phoenix. Den Rest des Films könnte man so zusammenfassen: „Gefälligkeit in Perfektion“. Gefälligkeit nicht im Sinn von altbacken. Gefälligkeit, das heißt bei Filmen immer super modisch, die Avantgarde von gestern mit einer Prise Pop fürs Heute gefällig machen, dabei aber noch immer die Coolness der Avantgarde von gestern mittransportierend, auf dass sich jeder etwas von ihr abschneiden kann.

Das 08/15-Prinzip

Man nehme körniges, knallbuntes Pseudo-Technicolor, fahre mit der Kamera regelrecht rein in die Gesichter der Protagonisten, dazu groovige 70er- und 80er-Jahre-Songs, das Iggy-Pop-mäßige Getänzel von Phoenix und Blut, das literweise herumspritzt: Eine Prise Tarantino, ein Quäntchen „Natural Born Killers“, ein wenig Lars von Trier – und schon lässt sich Stangenware produzieren, die unter Garantie funktioniert. Eine ganze Reihe von Serien auf Streamingdiensten läuft seit ein paar Jahren nach diesem Prinzip.

Es muss ja niemand das Rad neu erfinden – es lassen sich so durchaus unterhaltsame Stunden im Kino verbringen, das gilt auch für den neuen „Joker“. Beim Drehbuch hätte es aber schon ein bisschen mehr sein dürfen. Die Rechnung „Schwere Kindheit macht den Massenmörder“ ist allzu billig, und in diesem Fall regelrecht ambitionslos erzählt. Auf der Habenseite: die Clown-Comedian-Story, sie rettet den Film. Blutorgien und coole Musik – das kann heute jeder.