Demonstranten in Hongkong mit Smartphones
APA/AFP/Philip Fong
Hongkongs digitaler Protest

AirDrop als Waffe gegen Chinas Zensur

„Sei Wasser, mein Freund!“: Ein Zitat der Kampfsportlegende Bruce Lee ist zum Motto der seit vier Monaten laufenden Hongkong-Proteste geworden. Gemeint ist: Sei flexibel, dynamisch, nicht greifbar. Das gelingt der Protestbewegung vor allem durch die digitale Organisation. Dabei spielt mittlerweile auch Apples drahtlose Übertragungstechnlogie AirDrop eine große Rolle. Über sie werden Pläne, Standortdaten, Fotos und andere Dateien ausgetauscht – vorbei an polizeilicher Kontrolle und Chinas Netzzensur.

Es ist Datenübertragung, wie sie kaum einfacher sein könnte: Ein Tastendruck reicht, um mit AirDrop Daten von einem iPhone zum anderen zu schicken. Das Besondere ist, dass man auch die Geräte von Fremden ansteuern kann. In einem Umkreis von rund neun Metern können Fotos, Nachrichten und sonstige Dateien an all jene iPhones übertragen werden, die AirDrop aktiviert haben. Sender und Empfänger müssen einander nicht kennen. Die Dateien können anonym verschickt werden. Und der Versand erfolgt über WLAN und Bluetooth, eine Verbindung mit dem Handynetz ist nicht notwendig.

Für die Behörden ist die Verfolgung damit extrem schwierig, Informationen können sich hingegen rasant verbreiten. Denn iPhones sind in Hongkong beliebt und verbreitet, und seit dem Sommer ist AirDrop laut Medienberichten bei der Protestbewegung und ihren Sympathisanten stets aktiv. Verwendet wird der Dienst etwa zur Mobilisierung, in Form von politischen Botschaften und Protestaufrufen. Diese erreichen Hongkonger in der U-Bahn, in Supermärkten und auf stark frequentierten Straßen.

Im Protestgetümmel nutzen die Hongkonger AirDrop aber auch zur Organisation. Geteilt werden etwa Flyer mit Marschrouten, Zeitpläne und Informationen über gesperrte U-Bahn-Stationen. Die Kommunikation funktioniert dabei unabhängig vom Mobilfunknetz, das bei den Großdemos immer wieder zusammenbricht.

Lücke in der „Großen Firewall“

AirDrop erlaubt es der Protestbewegung aber auch, politische Nachrichten bei Chinesinnen und Chinesen vom Festland zu deponieren. Diese befinden sich online hinter der „Großen Firewall von China“, Pekings Infrastruktur für Internetzensur. Um diese zu umgehen, schickt die Protestbewegung laut einem Artikel von Quartz über AirDrop massenhaft Flyer an Festlandchinesen, die Hongkong besuchen oder dort arbeiten – der Stadtstaat grenzt ja direkt an die chinesische Metropole Shenzhen, und die Mobilität ist hoch.

Mit den Flyern will die Protestbewegung Festlandchinesen nicht nur auf die Hongkonger Demonstrationen, sondern auch auf andere Missstände in China aufmerksam machen. Sue-Lin Wong, Südchina-Korrespondentin der „Financial Times“, wurden unter anderem Flyer zum chinesische Sozialkreditsystem, zum Tiananmen-Massaker und zur Unterdrückung und Internierung der muslimischen Uiguren per AirDrop geschickt. Für Peking ist das besonders heikel. Laut Berichten werden die Smartphones von Festlandbewohnern bei der Einreise strikt nach Hongkonger Protestmaterial kontrolliert.

Aufstand der Digital Natives

Grundsätzlich wurden die Hongkong-Proteste von Beginn an digital organisiert. Der Stadtstaat, der offiziell zu China gehört, aber als ehemalige britische Kolonie weitreichende Sonderrechte besitzt, ist ein Technologiezentrum. Er verfügt über ein extrem dichtes Telekommunikationsnetz, Smartphones sind ohnehin eine Selbstverständlichkeit. Zudem sind viele Aktivistinnen und Aktivisten Studierende oder Schüler – und damit Digital Natives.

Sie organisieren Aktionen, Märsche und Flashmobs über den verschlüsselten Messenger Telegram, Liveonlinekarten und Boards wie Lihkg.com oder Reddit. Doch wenn das Netz zusammenbricht, die Kanäle infiltriert oder attackiert werden, dann kommt AirDrop zum Einsatz.

Blick auf Straße voller Demonstranten in Hongkong
AP/Vincent Thian
Die Schirme sind nicht nur Symbol – sie sollen auch verhindern, dass Überwachungskameras filmen, was am Smartphone passiert

Aktivisten und Aktivistinnen rüsten zudem bei digitaler Sicherheit auf: Sie verzichten auf den beliebtesten chinesischen Messenger WeChat, verwenden eigene Verschlüsselungs- und Verschleierungsdienste, SIM-Karten und Smartphones. Um eine Verfolgung zu vermeiden, nutzen sie keine wiederaufladbaren U-Bahn-Karten mehr. Auch Smartphone-Sperrmethoden wie Fingerabdrucksensoren und Gesichtsscans lehnen sie ab, damit im Falle einer Festnahme das Telefon nicht gegen ihren Willen entsperrt werden kann.

Viele Fachleute sind überzeugt: In Hongkong entsteht so eine neue Generation des Protests. Sie ist dezentral, digital und immer dabei: Seit Beginn der Demonstrationen werden Versammlungen, Märsche, Aktionen und Straßenschlachtern gefilmt, live gestreamt und über Soziale Netzwerke und Nachrichtenportale verbreitet. Für viele Hongkonger ist das kontinuierliche Einklinken in das digitale Abbild des Protests längst Teil des Alltags, schrieb etwa das Portal Technology Review.

Regierung zieht nach

Doch die Behörden und die chinesische Regierung können mitziehen, wie das Portal berichtete. Seit Beginn der Proteste wurde die Überwachung im öffentlichen Raum enorm ausgebaut. Vor Kurzem hat die Regierungschefin Carrie Lam zudem unter Rückgriff auf koloniale Notstandsgesetze ein Vermummungsverbot beschlossen. Das Gesetz „für Notfälle und bei öffentlicher Gefahr“ von 1922 gibt der Regierung weitreichende Vollmachten. Genannt werden dabei auch Zensur und die Unterbrechung von Kommunikationsnetzwerken.

Die Protestbewegung befürchtet, dass dies zum Einsatz kommen könnte. Die Einschnitte wären enorm – und Lam wurde sogar von ihrem eigenen Kabinett vor diesem Schritt gewarnt. Ebenfalls ein Veto lieferte die Vereinigung der Hongkonger Serviceprovider. Sie warnten davor, dass jede Restriktion, „auch die geringste, das Ende des offenen Internets von Hongkong“ bedeuten würde.

Befürchtet wird aber auch, dass Handyprovider bereits jetzt Daten sammeln und an die Hongkonger Regierung weitergeben könnten. Diese Informationen könnten in weiterer Folge auch nach Peking fließen. China soll auch versuchen, digital einzugreifen: Im Juni gab es eine großangelegte Cyberattacke auf Telegram, deren Spuren nach Festlandchina führten.