Schwer bewaffneter Polizist vor einem Einsatzfahrzeug
Reuters/Fabrizio Bensch
Tote bei Synagoge

Angreifer offenbar rechtsextremer Einzeltäter

Für den Angriff auf die Synagoge in der Stadt Halle an der Saale im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt mit zwei Todesopfern ist offenbar doch ein Einzeltäter verantwortlich. Bis zum frühen Abend waren die Behörden von mindestens zwei Tätern ausgegangen und hatten eine Großfahndung eingeleitet, die dann abgeblasen wurde. Bei dem festgenommenen Mann soll es sich um einen 27-jährigen Deutschen handeln. Er filmte seine Taten – und gab in dem Video antisemitische und fremdenfeindliche Parolen von sich.

Ziel der Attacke war offensichtlich die zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur voll besetzte Synagoge der 238.000-Einwohner-Stadt. Als er dort nicht eindringen konnte, zog er ab. Nach Angaben der Polizei erschoss er eine Passantin auf offener Straße in unmittelbare Nähe der Synagoge und danach einen Mann in einem Imbiss. In das Uniklinikum Halle wurden zudem laut einem Sprecher zwei Personen mit Schussverletzungen eingeliefert – darunter laut einem Medienbericht auch der bei einem Schusswechsel verletzte Tatverdächtigte. Laut „Spiegel“ handelt es sich um den 27-jährigen Stephan B. aus Sachsen-Anhalt.

Die Polizei wurde laut einer Sprecherin kurz nach 12.00 Uhr alarmiert. Kurz darauf sei es zu der Festnahme gekommen, eine Entwarnung folgte erst Stunden später: Die Gefährdungslage für die Bevölkerung der Stadt werde „mittlerweile nicht mehr als akut eingestuft“, wie die Polizei am frühen Abend via Twitter mitteilte: „Sie können wieder auf die Straße, die Warnungen sind aufgehoben.“

Lage am Nachmittag unübersichtlich

Medienberichte hatten in den Stunden davor eine unübersichtliche Lage gezeichnet. Die „Bild“-Zeitung berichtete beispielsweise auch von laufenden Einsätzen in der rund 15 Kilometer von Halle entfernten Ortschaft Landsberg und auf einer Schnellstraßen- bzw. Autobahnbaustelle und die „Leipziger Volkszeitung“ („LVZ“) von einer auf den Raum Leipzig ausgeweiteten Polizeiaktion. Tatsächlich wurde ein Ortsteil von Landsberg völlig abgeriegelt, nachdem Schüsse gefallen sein sollen. Am Abend wurden in dem Ort noch mehrere Häuser durchsucht.

Erst am Abend konnte der Fluchtverlauf einigermaßen rekonstruiert werden. Laut Medienberichten fuhr der Täter nach dem Angriff in Halle mit einem Mietwagen nach Landsberg und erbeutete dort ein Taxi. Auch in der Ortschaft soll er einen Mann angeschossen haben. Erst auf einer Bundesstraße wurde er laut „Bild“-Zeitung nach einem Unfall von der Polizei gestellt und angeschossen.

Polizeiaufgebot in Landsberg/Wiedersdorf, nahe Halle
Reuters/Marvin Gaul
Einsatzkräfte im nahe Halle gelegenen Wiedersdorf

Für Verwirrung sorgte zwischendurch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), derzufolge es auch eine Spur ins Burgenland gebe – gemeint war allerdings nicht das österreichische Bundesland, sondern der Burgenlandkreis, ein Landkreis in Sachsen-Anhalt.

Oberbürgermeister sprach von „Amoklage“

Von Beginn an war von offizieller Seite von mehreren, zumindest zwei Tätern die Rede. Im Rahmen der eingeleiteten Großfahndung wurden auch die Kontrollen auf Bahnhöfen und Flughäfen in Mitteldeutschland verstärkt. Vom Oberbürgermeister der Stadt, Bernd Wiegand, wurde nach Angaben aus dem Rathaus „im Zusammenhang mit einer Amoklage“ der Stab für außergewöhnliche Ereignisse einberufen. Alle Rettungskräfte der Feuerwehr seien in Alarmbereitschaft versetzt worden.

Polizeiahrzeuge und -helikopter in Wiedersdorf
APA/AFP/Ronny Hartmann
Auf der Suche nach den Tätern waren auch Polizeihubschrauber im Einsatz

Erste Bilder vom mutmaßlichen Täter

Deutsche Medien hatten zuvor bereits Bild- und Videoaufnahmen veröffentlicht. Die „Mitteldeutsche Zeitung“ zeigte ein Foto, auf dem ein dunkel gekleideter Mann mit Helm und Stiefeln zu sehen ist, der ein Gewehr im Anschlag hat. Der MDR Sachsen-Anhalt zeigte ein Video, auf dem ein mit Kampfausrüstung und Helm bekleideter Mann aus einem Auto aussteigt und mehrfach eine Waffe abfeuert.

„Synagoge wurde direkt angegriffen“

„Wir haben über die Kamera unserer Synagoge gesehen, dass ein schwer bewaffneter Täter mit Stahlhelm und Gewehr versucht hat, unsere Türen aufzuschießen“, wird der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki, von deutschen Medien zitiert.

Zwei Menschen im deutschen Halle getötet

Bei Schüssen in Halle im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt sind mindestens zwei Menschen getötet und mehrere verletzt worden. Ziel des Angriffs war laut Medienberichten eine voll besetzte Synagoge.

Das zum Tatzeitpunkt mit 70 bis 80 Personen voll besetzte jüdische Gotteshaus wurde Privorozki zufolge „direkt angegriffen“. „Aber unsere Türen haben gehalten.“ Außerdem hätte der versucht, das Tor des benachbarten jüdischen Friedhofs aufzuschießen. In der Synagoge habe die Gemeinde den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur gefeiert. Die Menschen seien schockiert gewesen. Vor der Tür habe ein Todesopfer des Angreifers gelegen. „Wir haben die Türen von innen verbarrikadiert und auf die Polizei gewartet.“

Einer dpa-Meldung zufolge seien vor der Synagoge auch Sprengsätze abgelegt worden. Bereits zuvor war von einem Augenzeugen von einer in den jüdischen Friedhof geworfenen Handgranate die Rede gewesen.

Taten laut Medien live ins Internet übertragen

Laut mehreren Medien soll der Mann seine Taten per Helmkamera gefilmt und live im Netz gestreamt haben. Er habe dabei auf Englisch und Deutsch antisemitische Parolen verbreitet und soll sich selbst als Holocaust-Leugner und als „Verlierer“ bezeichnet haben. Der „Spiegel“ berichtete, der Mann würde mehrfach über „Juden“ und „Kanaken“ schimpfen. Laut dem englischen „Independent“ bestätigte das International Centre for the Study of Radicalisation am Londoner King’s College die Echtheit des Materials.

Das insgesamt 36-minütige Video soll auf der Plattform Twitch zu sehen gewesen sein und wurde laut Berichten umgehend dort entfernt. Das Vorgehen erinnert an den rechtsextremen Attentäter, der im März im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen in zwei Moscheen getötet und den Angriff ebenfalls live übertragen hatte.

Bundesanwaltschaft leitet Ermittlungen

Schon früh hieß es von der deutschen Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die den Fall am Nachmittag übernommen hatte, es gebe „ausreichend Anhaltspunkte für einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund“. Das scheint sich mittlerweile bestätigt zu haben. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) sagte, nach Einschätzung des Generalbundesanwalts „gibt es ausreichende Anhaltspunkte für einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund“.

Die Fraktion der Grünen beantragte zudem eine schnellstmögliche Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Deutschen Bundestags. Das sagte der Fraktionsvize Konstantin von Notz der „Welt“. Das Parlamentsgremium kontrolliert die Arbeit des Bundes im Bereich seiner Nachrichtendienste, also des Bundesnachrichtendiensts (BND), des Militärischen Abschirmdiensts (MAD) und des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV).

„Schreckliche Nachrichten“

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drückte den Angehörigen der Opfer ihr „tiefstes Beileid“ aus. Sie nahm am Abend an einer Solidaritätsveranstaltung an der Synagoge in Berlin teil. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von „schrecklichen Nachrichten“. Dass es zwei Tote gebe, sei „entsetzlich“. „Unsere Solidarität gilt allen Jüdinnen und Juden am Feiertag Jom Kippur, unser Dank den Sicherheitskräften, die noch im Einsatz sind“, schrieb Seibert auf Twitter. Jom Kippur ist der höchste Festtag im Judentum.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sprach in einer ersten Reaktion von einer „verabscheuenswürdigen Tat“. Dadurch seien nicht nur Menschen zu Tode gekommen, die Tat sei „auch ein feiger Anschlag auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land“. Er sprach den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus.

Bestürzung in Österreich

Es seien „entsetzliche Nachrichten über zwei Tote und einen Angriff auf eine Synagoge in Halle – heute an #JomKippur“, teilte Bundespräsident Alexander Van der Bellen über Twitter mit. Auch Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein zeigte sich „tief bestürzt“. „Die Sicherheit und Bewahrung jüdischen Lebens muss in Österreich, in Europa und überall auf der Welt gewährleistet sein“, wie Bierlein in einer Stellungnahme weiter mitteilte: Das sei „unverzichtbar wie auch unverhandelbar“.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz rief dazu auf, „alles in unser Macht stehende zu tun, um jüdische Gemeinden bestmöglich zu schützen“. Via Twitter forderte Kurz zudem „Null Toleranz für #Antisemitismus!“. Die Nachrichten aus Halle seien „erschütternd“. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka reagierte bestürzt. Die schreckliche Tat sei ein Zeichen, dass der Kampf gegen jegliche Form des Antisemitismus aktueller denn je ist, erklärte der ÖVP-Politiker.

Schweigeminute im EU-Parlament

„Wie sprechen den Familien der Opfer unser tiefstes Mitgefühl aus“, sagte der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sossoli. Die Abgeordneten legten zudem eine Schweigeminute ein. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sprach von einer „weiteren tragischen Demonstration von Antisemitismus“.

Am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur „kommen Menschen in Gotteshäusern zusammen, um über das vergangene Jahr nachzudenken“, hieß es von der US-Botschaft in Berlin: „Der heutige Anschlag war ein Angriff gegen uns alle, und die Täter müssen dafür zur Verantwortung gezogen werden.“

Verschärfte Schutzmaßnahmen vor Synagogen

Nach Angaben der Polizeidirektion Magdeburg werden derzeit alle jüdischen Einrichtungen in Sachsen-Anhalt von Polizeikräften aufgesucht. Bereits zuvor wurde von verschärften Sicherheitsvorkehrungen vor den Synagogen im benachbarten Leipzig und in Dresden berichtet. Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen gibt es auch vor jüdischen Einrichtungen in Wien.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland übte scharfe Kritik an dem fehlenden Polizeischutz vor der Synagoge in Halle. Dass die Synagoge „an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös“, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster am Mittwoch. „Diese Fahrlässigkeit hat sich jetzt bitter gerächt.“ „Wie durch ein Wunder ist nicht noch mehr Unheil geschehen“, fügte Schuster hinzu.