Polizeiauto mit Blaulicht im nächtlichen Regen
APA/AFP/Ronny Hartmann
Angriff auf Synagoge

Tatvideo belegt rechtsextremes Motiv

Nach einem gescheiterten Angriff auf eine Synagoge in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt hat ein Mann am Mittwoch zwei Menschen erschossen. Er wurde nach seiner Flucht von der Polizei gefasst. Der Täter, ein 27-jähriger Deutscher, filmte seine Taten und übertrug sie ins Netz. Das Video erhärtet den Verdacht, dass er aus einem rechtsextremistischen Motiv heraus gehandelt hat.

Ziel der Attacke war offensichtlich die zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur voll besetzte Synagoge der 238.000-Einwohner-Stadt. Als er dort nicht eindringen konnte, zog er ab. Nach Angaben der Polizei erschoss er eine Passantin auf offener Straße in unmittelbare Nähe der Synagoge und danach einen Mann in einem Imbiss.

Bis in die frühen Abendstunden waren die Behörden von mindestens zwei Tätern ausgegangen und hatten eine Großfahndung eingeleitet. Erst spät wurde klar, dass es sich offenbar um einen Einzeltäter handelte. Am Abend bestätigte die Polizei, dass es sich bei dem Festgenommenen um den mutmaßlichen Schützen handelt. Deutschlands Innenminister Horst Seehofer (CSU) sah „Anhaltspunkte“ für ein „rechtsextremistisches Motiv“.

Gesamten Tatablauf gefilmt

Belegt wurde das durch das Video, dass der Täter, laut „Spiegel“ handelt es sich um den 27-jährigen Stephan B. aus Sachsen-Anhalt, mit einer Helmkamera aufnahm. Zu Beginn ist zu sehen, wie der Mann in Kampfanzug mit Waffen in einem Auto sitzt. Er gibt in schlechtem Englisch extrem antisemitische und ausländerfeindliche Äußerungen von sich. Er sagt auch immer wieder auf Englisch, dass er ein „Loser“ (Dt.: „Verlierer“) sei. Auch der Angriff auf die Synagoge und die Todesschüsse auf zwei Personen sind zu sehen. Amtsbekannt ist der mutmaßliche Todesschütze laut Medienberichten nicht.

Tote bei Synagoge in Halle: Verdächtiger vermutlich rechtsextrem

Jener Mann, der versucht haben soll, einen Anschlag auf eine Synagoge in der deutschen Stadt Halle zu verüben und im Anschluss zwei Menschen erschossen hat, soll ein einheimischer Rechtsextremist sein.

Das insgesamt 36-minütige Video soll auf der Plattform Twitch zu sehen gewesen sein und wurde laut Berichten umgehend dort entfernt. Das Vorgehen erinnert an den rechtsextremen Attentäter, der im März im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen in zwei Moscheen getötet und den Angriff ebenfalls live übertragen hatte.

Täter konnte Türen nicht öffnen

Begonnen hatte der Angriff um die Mittagszeit: Die Polizei wurde laut einer Sprecherin kurz nach 12.00 Uhr alarmiert. Der Mann wollte die Synagoge mit Waffengewalt stürmen, scheiterte jedoch. „Wir haben über die Kamera unserer Synagoge gesehen, dass ein schwer bewaffneter Täter mit Stahlhelm und Gewehr versucht hat, unsere Türen aufzuschießen“, wird der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki, von deutschen Medien zitiert.

Das zum Tatzeitpunkt mit 70 bis 80 Personen voll besetzte jüdische Gotteshaus wurde Privorozki zufolge „direkt angegriffen“. „Aber unsere Türen haben gehalten.“ Außerdem hätte der Angreifer versucht, das Tor des benachbarten jüdischen Friedhofs aufzuschießen. In der Synagoge habe die Gemeinde den Feiertag Jom Kippur gefeiert. Die Menschen seien schockiert gewesen. Vor der Tür habe ein Todesopfer des Angreifers gelegen. „Wir haben die Türen von innen verbarrikadiert und auf die Polizei gewartet.“

Passantin und Lokalgast erschossen

Einer dpa-Meldung zufolge seien vor der Synagoge auch Sprengsätze abgelegt worden. Bereits zuvor war von einem Augenzeugen von einer in den jüdischen Friedhof geworfenen Handgranate die Rede gewesen. In unmittelbarer Nähe zur Synagoge erschoss der Täter dann zunächst eine Passantin. Einige hundert Meter weiter griff er einen Dönerimbiss mit einer Granate an. Der Versuch schlug fehl, daraufhin erschoss er einen Mann in dem Lokal.

Polizeiahrzeuge und -helikopter in Wiedersdorf
APA/AFP/Ronny Hartmann
Auf der Suche nach den Tätern waren auch Polizeihubschrauber im Einsatz

Bilder und Videos kursierten rasch

Deutsche Medien veröffentlichten rasch Bild- und Videoaufnahmen. Die „Mitteldeutsche Zeitung“ zeigte ein Foto, auf dem ein dunkel gekleideter Mann mit Helm und Stiefeln zu sehen ist, der ein Gewehr im Anschlag hat. Der MDR Sachsen-Anhalt zeigte ein Video, auf dem ein mit Kampfausrüstung und Helm bekleideter Mann aus einem Auto aussteigt und mehrfach eine Waffe abfeuert.

Schon früh hieß es von der deutschen Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die den Fall am Nachmittag übernommen hatte, es gebe „ausreichend Anhaltspunkte für einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund“.

Lage am Nachmittag unübersichtlich

Von Beginn an war von offizieller Seite von mehreren, zumindest zwei Tätern die Rede. Im Rahmen der eingeleiteten Großfahndung wurden auch die Kontrollen auf Bahnhöfen und Flughäfen in Mitteldeutschland verstärkt. Vom Oberbürgermeister der Stadt, Bernd Wiegand, wurde nach Angaben aus dem Rathaus „im Zusammenhang mit einer Amoklage“ der Stab für außergewöhnliche Ereignisse einberufen. Alle Rettungskräfte der Feuerwehr seien in Alarmbereitschaft versetzt worden.

Polizeiaufgebot in Landsberg/Wiedersdorf, nahe Halle
Reuters/Marvin Gaul
Einsatzkräfte im nahe Halle gelegenen Wiedersdorf

Medienberichte hatten am Nachmittag eine unübersichtliche Lage mit mehreren Schauplätzen gezeichnet. Erst am Abend konnte der Fluchtverlauf des Mannes einigermaßen rekonstruiert werden. Laut Medienberichten fuhr der Täter nach dem Angriff in Halle mit einem Mietwagen nach Wiedersdorf bei Landsberg und erbeutete dort ein Taxi. Auch in der Ortschaft soll er einen Mann angeschossen haben. Erst auf einer Bundesstraße wurde er laut „Bild“-Zeitung nach einem Unfall von der Polizei gestellt und angeschossen.

„Schreckliche Nachrichten“

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drückte den Angehörigen der Opfer ihr „tiefstes Beileid“ aus. Sie nahm am Abend an einer Solidaritätsveranstaltung an der Synagoge in Berlin teil. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von „schrecklichen Nachrichten“. Dass es zwei Tote gebe, sei „entsetzlich“. „Unsere Solidarität gilt allen Jüdinnen und Juden am Feiertag Jom Kippur, unser Dank den Sicherheitskräften, die noch im Einsatz sind“, schrieb Seibert auf Twitter.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sprach in einer ersten Reaktion von einer „verabscheuenswürdigen Tat“. Dadurch seien nicht nur Menschen zu Tode gekommen, die Tat sei „auch ein feiger Anschlag auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land“. Er sprach den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus.

Bestürzung in Österreich

Es seien „entsetzliche Nachrichten über zwei Tote und einen Angriff auf eine Synagoge in Halle – heute an #JomKippur“, teilte Bundespräsident Alexander Van der Bellen über Twitter mit. Auch Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein zeigte sich „tief bestürzt“. „Die Sicherheit und Bewahrung jüdischen Lebens muss in Österreich, in Europa und überall auf der Welt gewährleistet sein“, wie Bierlein in einer Stellungnahme weiter mitteilte: Das sei „unverzichtbar wie auch unverhandelbar“.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz rief dazu auf, „alles in unser Macht stehende zu tun, um jüdische Gemeinden bestmöglich zu schützen“. Via Twitter forderte Kurz zudem „Null Toleranz für #Antisemitismus!“. Die Nachrichten aus Halle seien „erschütternd“. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka reagierte bestürzt. Die schreckliche Tat sei ein Zeichen, dass der Kampf gegen jegliche Form des Antisemitismus aktueller denn je ist, erklärte der ÖVP-Politiker.

Schweigeminute im EU-Parlament

„Wie sprechen den Familien der Opfer unser tiefstes Mitgefühl aus“, sagte der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sossoli. Die Abgeordneten legten zudem eine Schweigeminute ein. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sprach von einer „weiteren tragischen Demonstration von Antisemitismus“.

Zu Jom Kippur „kommen Menschen in Gotteshäusern zusammen, um über das vergangene Jahr nachzudenken“, hieß es von der US-Botschaft in Berlin: „Der heutige Anschlag war ein Angriff gegen uns alle, und die Täter müssen dafür zur Verantwortung gezogen werden.“ Auch zehn US-Amerikaner hätten sich in der Synagoge befunden.

Verschärfte Schutzmaßnahmen vor Synagogen

Nach Angaben der Polizeidirektion Magdeburg werden derzeit alle jüdischen Einrichtungen in Sachsen-Anhalt von Polizeikräften aufgesucht. Bereits zuvor wurde von verschärften Sicherheitsvorkehrungen vor den Synagogen im benachbarten Leipzig und in Dresden berichtet. Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen gibt es auch vor jüdischen Einrichtungen in Wien.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland übte scharfe Kritik an dem fehlenden Polizeischutz vor der Synagoge in Halle. Dass die Synagoge „an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös“, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster am Mittwoch. „Diese Fahrlässigkeit hat sich jetzt bitter gerächt.“ „Wie durch ein Wunder ist nicht noch mehr Unheil geschehen“, fügte Schuster hinzu.