Der österreichische Schriftsteller Peter Handke
APA/AFP/Alain Jocard
Literaturnobelpreis

Für Handke „zwiespältige Angelegenheit“

Peter Handke erhält den Literaturnobelpreis 2019. Das gab die Schwedische Akademie am Donnerstag bekannt. Seine Freude sei groß, betreffe aber nicht nur ihn persönlich, sagte der 76 Jahre alte Autor: „Ich bin ein Anhänger der Weltliteratur, nicht der internationalen Literatur. Der Preis ist eine sehr zwiespältige Angelegenheit und ein ewiges Dilemma."

„Aber mir kommt vor, ich bin doch ein Leser oder vielleicht sogar ein Schreiber von dem, was Goethe Weltliteratur genannt hat. Wenn dann das Nobelkomitee so entscheidet, dann sind sie auf keinem ganz schlechten Weg, dass die Weltliteratur was bedeutet“, so Handke im Gespräch mit der APA. Am Abend werde er mit seiner Frau in ein kleines Restaurant gehen.

Laut der Schwedischen Akademie wurde die Auszeichnung Handke „für ein einflussreiches Werk, das mit sprachlicher Genialität die Peripherie und die Spezifität der menschlichen Erfahrung erforscht“, zuerkannt.

Der österreichische Schriftsteller Peter Handke
APA/AFP/Alain Jocard
Handke: „Wenn dann das Nobelkomitee so entscheidet, dann sind sie auf keinem ganz schlechten Weg, dass die Weltliteratur was bedeutet“

Auch der – im Vorjahr entfallene – Literaturnobelpreis für 2018 wurde am Donnerstag bekanntgegeben: Er geht an die polnische Autorin Olga Tokarczuk für „ihre narrative Vorstellungskraft, die, in Verbindung mit enzyklopädischer Leidenschaft, für das Überschreiten von Grenzen als eine neue Form von Leben steht“, wie die Akademie mitteilte. Die prestigeträchtige Auszeichnung ist mit neun Millionen schwedischen Kronen (ca. 831.000 Euro) dotiert und wird am 10. Dezember übergeben.

Handke würdigt „mutige Entscheidung“ der Akademie

Der Anruf der Schwedischen Akademie erreichte Handke in seinem Zuhause nahe Paris. Unmittelbar nach dem Gespräch sei Handke in den Wald gegangen, wie er der APA erzählte. „Ich bin durch die Wälder geeiert, wie ich es eigentlich vorhatte.“ Als er nach Hause kam, wartete eine Journalistentraube vor seiner Tür. „Ich bin gerade nach Hause gekommen und bin etwas müde. Ich weiß nicht, ob das Telefon oft geläutet hat, ich war jetzt vier Stunden unterwegs“, sagte der neue Nobelpreisträger.

Den Literaturnobelpreis will Handke „selbstverständlich“ persönlich entgegennehmen. 2014 hatte Handke in einem „Presse“-Interview gefordert, der Literaturnobelpreis müsse „endlich“ abgeschafft werden, weil er dem Leser „nichts“ bringe und eine „falsche Heiligsprechung“ sei. Er habe damals „als Leser und nicht als Autor gesprochen“, sagte Handke nun. „Heute denke ich nicht so.“ Es sei eine „sehr mutige“ Entscheidung der Schwedischen Akademie, ihm den Literaturnobelpreis zu verleihen. Angesichts der öffentlichen Auseinandersetzungen über seine Ansichten habe er „niemals gedacht, dass sie mich auswählen würden“.

Seit fast 30 Jahren in Frankreich zu Hause

Handke, der zuletzt 2017 einen Roman veröffentlichte („Die Obstdiebin – oder – Einfache Fahrt ins Landesinnere“), galt als Außenseiter im Rennen um den Literaturnobelpreis. Der aus Kärnten stammende Schriftsteller ist der erste österreichische Preisträger seit Elfriede Jelinek (2004). Handke lebt seit mittlerweile fast 30 Jahren in Frankreich, wo er zu seinem Domizil im Pariser Vorort Chaville vor einigen Jahren auch ein Haus in der Picardie erworben hat. Aus Beziehungen zu den Schauspielerinnen Libgart Schwarz und Sophie Semin hat Handke zwei Töchter.

„Mache weiter, als ob nichts gewesen wäre“

„Ich war extrem erstaunt, unglaublich überrascht“: Mit diesen Worten reagierte Peter Handke auf den ihm zugesprochenen Literaturnobelpreis. Er werde nun aber auch weitermachen, „als ob nichts gewesen wäre“.

Die prestigeträchtige Auszeichnung ist mit jeweils neun Millionen schwedischen Kronen (rund 830.000 Euro) dotiert. Er erhält den Preis „für ein einflussreiches Werk, das mit sprachlicher Genialität die Peripherie und die Spezifität der menschlichen Erfahrung untersucht“, so die Begründung der Akademie. Handke habe sich „als einer der einflussreichsten Autoren Europas nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert“, nachdem er bereits mit seinem ersten Roman „Die Hornissen“ 1966 und mit dem Stück „Publikumsbeschimpfung“ 1969 „der Literaturszene seinen Stempel aufgedrückt hat“.

Erstmals wurden heuer zwei Literaturnobelpreisträger bekanntgegeben. Die doppelte Auszeichnung wurde notwendig, weil sich die Akademie nach Skandalen und Austritten im Vorjahr gegen eine Preisvergabe entschieden hat. Der damit bis dato letzte Empfänger des Literaturnobelpreises war Kazuo Ishiguro im Jahr 2017. Überreicht werden die Preise am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.

Politik und Kulturszene gratulieren Handke

Zur Ehrung Peter Handkes mit dem Literaturnobelpreis sind viele Gratulationen aus der österreichischen Politik und der Kulturszene eingetroffen.

„Ist das wahr?“

Handke war laut dem Vorsitzenden des Nobelkomitees der Akademie, Anders Olsson, beim Anruf der Juroren zu Hause. „Er war sehr, sehr gerührt. Erst hat er kaum ein Wort herausbekommen“, so Olsson. Dann habe Handke auf Deutsch gefragt: „Ist das wahr?“ Der Ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, berichtete davon, dass die andere Preisträgerin Tokarczuk gerade während einer Lesetour in Deutschland im Auto gesessen sei und deshalb erst einmal am Straßenrand anhalten habe müssen, um die Botschaft entgegenzunehmen.

Literaturnobelpreisträgerin Jelinek zeigte sich unterdessen begeistert über die Vergabe der Auszeichnung an Handke. „Großartig! Er wäre auf jeden Fall schon vor mir dran gewesen“, so die Autorin. Für Jelinek war es „höchste Zeit!“ Sie freue sich auch, dass die Auszeichnung an jemanden gehe, „auf den sie in Österreich endlich stolz sein werden“. Begeistert zeigte sich auch der deutsche Suhrkamp Verlag. „Der Verlag freut sich riesig“, sagte eine Sprecherin. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein gratulierten Handke.

Durchbruch mit Anfang 20

Geboren wurde Handke am 6. Dezember 1942 als Sohn einer Familie mit slowenischen Wurzeln im kleinen Kärntner Ort Griffen. Als gerade erst 23-jähriger Jusstudent in Graz hatte er bereits erste Texte in der Zeitschrift „manuskripte“ veröffentlicht, als er mit seinem Debüt „Die Hornissen“ 1966 beim renommierten Suhrkamp Verlag reüssieren konnte.

Vermittelt durch seinen Verleger Siegfried Unseld nahm Handke noch im selben Jahr an einer Tagung der Gruppe 47 im amerikanischen Princeton teil, die die Aufmerksamkeit der Literaturszene erregte: Der schüchterne Jungautor hielt dort eine Schmährede. „Beschreibungsimpotenz“ warf er den Teilnehmenden vor, alles sei „läppisch“, sowohl die dort vorgetragene Literatur als auch die anwesenden Literaturkritiker.

SChriftsteller Peter Handke
AP/Francois Mori
Handke wird, wie er am Donnerstag sagte, den Preis im Dezember selbstverständlich persönlich in Stockholm entgegennehmen

Popstar gegen die Erstarrung des Bürgertums

Nur wenige Monate später folgte der zweite spektakuläre Auftritt, als Handkes „Publikumsbeschimpfung“ in der Regie von Claus Peymann in Frankfurt uraufgeführt wurde – das erste seiner „Sprechstücke“, ganz ohne Bühnenbild, Kostüme oder besondere Lichtregie; im Text spöttisch, angriffslustig, neu; gegen „den Muff unter den Talaren“ gerichtet, gegen den sich auch die damalige Studentenbewegung wandte.

Es war ein radikaler Bruch mit dem konventionellen Theater, der für einen Eklat sorgte und für Handkes endgültigen Durchbruch: Ein „literarischer Popstar“ war geboren – mit Beatles-Frisur und, bei seinen Auftritten, stets mit dunkler Sonnenbrille. Die Auflagen von „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1970), „Der kurze Brief zum langen Abschied“ (1972) und „Wunschloses Unglück“ (ebenfalls 1972) gingen in die Hunderttausende.

Peter Schneeberger zum Nobelpreis für Handke

Peter Schneeberger von der ZIB-Kulturredaktion erläutert die Hintergründe zur Entscheidung der Schwedischen Akademie.

Einzelgänger und Außenseiter

Mit den Parolen der 68er-Bewegung konnte sich Handke nie identifizieren, im Gegenteil: Er setzte auf die subversive Kraft des Poetischen, auf Sprachkritik als Gesellschaftskritik. Gegen die Politisierung der Literatur hatte er ja schon in Princeton gewettert, 1968 polemisierte er gegen die „totgeborenen Sätze“ der Studentenbewegung, die Berliner Gruppe Kultur und Revolution. Der Politjargon führe, so Handke, zum Sprachverlust. Statements wie dieses brachten ihm den Vorwurf des Konservativismus und der Realitätsferne ein.

Grafik zum Literaturnobelpreis
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA; Fotos: AFP/dpa

Es blieben nicht die einzigen Polemiken. Ein Vierteljahrhundert später sollte Handke mit seiner proserbischen Position in den Konflikten auf dem Balkan ins Kreuzfeuer der internationalen Kritik kommen: Sein Reisebericht „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ und, zehn Jahre später, sein Auftritt beim Begräbnis von Slobodan Milosevic sorgten für heftige Debatten. „Ideologisches Monster“ und „verblendeter Elfenbeinturmbewohner“ wurde er damals genannt. Auch erklärte Handke-Freunde hatten Probleme, ihm zu folgen.

Gemischte Reaktionen auf Handke-Nobelpreis

Peter Handkes proserbische Haltung während des Jugoslawien-Krieges hat viele vor den Kopf gestoßen. Die Reaktionen auf die Verleihung des Literaturnobelpreises an Handke fallen daher gemischt aus.

Der Einzelgänger Handke wurde zum Außenseiter, was er schließlich auch in seiner Literatur stilisierte: Der aufbrechende, allein reisende Mensch prägte seine großen Erzählungen ab 1997 motivisch; Werke, die sich zwischen Reflexion und poetisch verdichteter Beschreibung bewegten. Anlässlich von Handkes 75. Geburtstag hat der Suhrkamp Verlag die „Handke Bibliothek“ herausgegeben, in der alles enthalten ist, was der Autor jemals in Buchform veröffentlicht hat.

Tokarczuks „narrative Vorstellungskraft“

Tokarczuk erhält die Auszeichnung für „ihre narrative Vorstellungskraft, die, in Verbindung mit enzyklopädischer Leidenschaft, für das Überschreiten von Grenzen als eine neue Form von Leben steht“, wie die Akademie mitteilte.

Autorin Olga Tokarczuk
Reuters/Michele Tantussi
Tokarczuk zählt zu den bekanntesten Schriftstellerinnen Polens

Die 1962 in Sulechow geborene Tokarczuk studierte in Warschau Psychologie, bevor sie sich verstärkt dem Schreiben widmete. Nach Abschluss ihres Studiums war Tokarczuk aber noch als Therapeutin tätig, erst Ende der 1990er nahm die Literatur einen größeren Platz in ihrem Leben ein. 1993 erschien ihr Romandebüt „Die Reise der Buchmenschen“, in dem sie ihre Protagonisten in der spanisch-französischen Grenzregion des 17. Jahrhunderts nach einem mysteriösen Buch suchen lässt.

Vielfach ausgezeichnete Autorin

Seitdem hat sich Tokarczuk zu einer der profiliertesten Autorinnen ihres Heimatlandes entwickelt, die etwa auch mehrfach mit dem Nike-Preis in Polen ausgezeichnet wurde. Der endgültige Durchbruch folgte mit ihrem dritten Roman „Ur und andere Zeiten“ (1996), in dem sie sich auch mit der polnischen Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzte. In den folgenden Jahren erschienen einige ihrer Werke auch in dem von Tokarczuk selbst gegründeten und geführten Verlag Ruta.

Ihr Werk wurde bisher in 25 Sprachen übersetzt und bereits mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Usedomer Literaturpreis und der polnischen Nike-Auszeichnung. Im Vorjahr erhielt sie den renommierten Man Booker Prize für ihren Roman „Unrast“ sowie den Jan-Michalski-Literaturpreis für „Die Jakobsbücher“. Nachdem Tokarczuk ihrem Heimatland Intoleranz gegen Flüchtlinge und Antisemitismus vorwarf, wurde sie angefeindet.