Peter Handke
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Literaturnobelpreis

Peter Handke und das Jugoslawien-Trauma

Die Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke schlägt auch am Tag nach der Bekanntgabe hohe Wellen. In Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo und Albanien ist die Kritik an der Entscheidung der Schwedischen Akademie groß, ebenso in Teilen der Literaturwelt. Hinsichtlich Handkes Haltung in den Jugoslawien-Kriegen ist es schwierig, die politischen Ansichten des Autors von seinem Werk zu trennen.

Die Opferrechtsorganisation Mütter von Srebrenica fordert die Schwedische Akademie auf, Handke die Auszeichnung zu entziehen. „Es ist traurig, dass ein so wichtiger Preis dem Leugner des Genozids in Srebrenica verliehen wurde, wenn alle wissen, was in Srebrenica passiert ist“, sagte Organisationsleiterin Munira Subasic. Damit sei die Botschaft verschickt worden, dass man ungeachtet dessen, was man in der Vergangenheit getan hat, Preise und Auszeichnungen gewinnen könne. „Mit dieser Entscheidung wurden die Mütter von Srebrenica, die ihre Söhne, Männer und Brüder verloren haben, noch einmal verletzt und ins Herz getroffen“, sagte sie.

Im Staatspräsidium Bosnien-Herzegowinas spiegelten sich unterdessen die politischen Gräben in der Reaktion auf die Entscheidung des Nobelpreiskomitees wider. Für den Vertreter der muslimischen Bosniaken, Sefik Dzaferovic, hat das Komitee „vollkommen den moralischen Kompass verloren“. Der serbische Vertreter, Milorad Dodik, würdigte dagegen Handkes literarisches Werk und die proserbische Haltung des Schriftstellers. Der Nobelpreis sei der Beweis, „dass die Gerechtigkeit niemals vollkommen verloren ist“, so Dodik.

Schriftsteller Peter Handke
Reuters/Christian Hartmann
Die Schwedische Akademie habe eine „mutige Entscheidung“ getroffen, ihm den Nobelpreis zu verleihen, sagte Handke

Aus Serbien, wo Handke bereits vielfach ausgezeichnet wurde, gab es Glückwünsche für den „großen Freund der Serben“. Die serbische Zeitung „Novosti“ titelte: „Gerechtigkeit für Serbien, Nobel für Handke“. Ablehnung kam dagegen aus dem Kosovo und Albanien: Die Botschafterin des Kosovo in den USA, Vlora Citaku, nannte die Entscheidung der Schwedischen Akademie „skandalös, grotesk und beschämend“, Albaniens Außenminister Gent Cakaj sprach von einem „absurden und schamvollen Akt“.

„Internationaler Schwachkopf des Jahres“

In der Literaturwelt fielen die Reaktionen gemischt aus. Elfriede Jelinek erklärte, es sei „höchste Zeit“ gewesen, Handke auszuzeichnen. Er hätte den Preis schon vor ihr verdient gehabt, so die Literaturnobelpreisträgerin von 2004. Michael Köhlmeier würdigte Handke als den „größten Poeten unserer Sprache“. Der US-amerikanische PEN-Club äußerte sein „tiefes Bedauern“ über die Wahl Handkes, der seine Stimme genutzt hätte, um „Tätern des Genozids wie dem früheren serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic und dem Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic“ zur Seite zu stehen.

Gemischte Reaktionen wegen proserbischer Haltung Handkes

Während vor allem in Österreich die positiven Reaktionen auf den Literaturnobelpreis für Handke überwiegen, waren nicht zuletzt aus dem ehemaligen jugoslawischen Raum negative Stimmen zu hören.

Der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie verwies auf Anfrage des „Guardian“ auf ein Urteil, das er bereits vor 20 Jahren über Handke gefällt hätte: 1999 bezeichnete Rushdie den Schriftsteller als Anwärter auf den Titel des „Internationalen Schwachkopfs des Jahres“. Grund war Handkes proserbisches Engagement im Kosovo-Krieg. Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek erinnerte daran, dass Handke 2014 die Abschaffung des Literaturnobelpreises gefordert hatte – „dass er ihn nun bekommt, bestätigt seine Einschätzung“, spottete Zizek im „Guardian“.

Handke: „Mutige Entscheidung“ des Nobelkomitees

Handke selbst erklärte, die Schwedische Akademie habe eine „mutige Entscheidung“ getroffen, den Nobelpreis an ihn zu verleihen. Seine Haltung im Jugoslawien-Konflikt hatte Handke noch heuer in einem Interview mit einem serbischen TV-Sender bekräftigt: „Die, die bombardiert und Tausende Menschen getötet haben, gehören nicht zu Europa und dem Planeten Erde“, sagte er in Bezug auf den NATO-Einsatz im Kosovo-Krieg 1999.

Wegen der Haltung des Vatikans im Kosovo-Krieg trat Handke 1999 aus der römisch-katholischen Kirche aus und zur serbisch-orthodoxen Kirche über. Zu den umstrittensten Auftritten des Schriftstellers zählte 2006 seine demonstrative Teilnahme am Begräbnis des serbischen Ex-Präsidenten Milosevic, dem vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal der Prozess gemacht worden war.

Werk und Autor

Bereits 1996 kam es nach der Veröffentlichung von Handkes Reisebericht „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ zu heftigen Kontroversen. Im selben Jahr legte Handke den Essay „Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise“ nach.

Handkes Ansichten zu Jugoslawien-Kriegen umstritten

Die politischen Ansichten Peter Handkes zu den Jugoslawien-Kriegen sind bis heute umstritten. Kritiker werfen ihm eine Verharmlosung der serbischen Kriegsverbrechen vor.

Beide Werke zeigen, wie schwer es im Fall Handkes ist, die politischen Ansichten des Autors von Teilen seines Werks zu trennen. „Handkes für mich persönlich schmerzvollster Text ist ‚Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise‘, weil er dort das Massaker an Bosniaken in meiner Heimatstadt, Visegrad, thematisiert“, schrieb der in Bosnien-Herzegowina geborene deutsche Autor Sasa Stanisic auf Twitter.

Die „Gefahr“, die von Handke ausgeht

Seinem Tweet fügte Stanisic einen Link zu einem Artikel des deutschen Germanisten Jürgen Brokoff an, der 2010 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“) veröffentlicht wurde. „In den Texten von Peter Handke über die Vorgänge im früheren Jugoslawien ist das Politische vom Ästhetischen nicht zu trennen“, schrieb Brokoff darin.

„Der eigentliche Sündenfall dieses Autors ereignet sich nicht auf dem Feld des Politischen, sondern auf dem Feld des Literarischen. Die textstrategisch äußerst geschickten Anleihen bei der Sprache des serbischen Nationalismus, seine antimuslimischen und antialbanischen Insinuationen auf der symbolischen Ebene und seine Verhöhnung der muslimischen Opfer des Bosnien-Krieges machen dies deutlich“, so Brokoff weiter. Es sei eine „Verharmlosung“, Handke für seine scheinbar naiven politischen Stellungnahmen zu kritisieren. Im Gegenteil: „Es wird Zeit, sich bewusstzuwerden, dass von einem Autor solchen Ranges wie Handke eine Gefahr ausgehen kann.“

„Literarisches Gesamtwerk“ setzte sich durch

Der Grazer Germanist und Handke-Experte Klaus Kastberger betonte unterdessen nicht nur Handkes Vielseitigkeit („Es ist da mit Sicherheit für jeden etwas dabei“), sondern auch, dass sich angesichts der teils kritisierten Äußerungen zu Jugoslawien letztlich doch noch das „literarische Gesamtwerk“ des Kärntners durchgesetzt habe.

Literaturkritiker Kastberger zum Handke-Nobelpreis

Literaturprofessor Klaus Kastberger erläutert seine Einschätzung zur Entscheidung der Schwedischen Akademie, Peter Handke den Literaturnobelpreis 2019 zu verleihen.

„Von Peter Handke wurde bisher gesagt, dass er mit seinen Äußerungen zu Jugoslawien den Nobelpreis verspielt hätte. Jetzt hat er ihn, aber was heißt das? Dass in den Überlegungen der Jury letztlich doch sein literarisches Gesamtwerk obsiegt hat“, so Kastberger. „Tatsächlich gibt es viele Handkes, und es ist da mit Sicherheit für jeden etwas dabei: der frühe Sprachrebell auch gegen die Gruppe 47, die Kultbücher der 70er Jahre über die eigene Mutter und Amerika; die vollständige Wende ins Innere mit langsamer Heimkehr; die Journale und Versuche; das österreichische Staatsdrama ‚Immer noch Sturm‘ in Form einer Familienaufstellung.“