Rauch steigt über der Grenze zwischen Türkei und Syrien auf
AP/Emrah Gurel
Türkische Offensive

Damaskus schickt Truppen an Grenze

Als Reaktion auf den türkischen Einmarsch in Nordsyrien hat die Regierung in Damaskus Montagfrüh Truppen in die Region entsandt. Der Schritt folgt auf eine Vereinbarung der Regierung von Präsident Baschar al-Assad mit den Kurdenmilizen, gegen die Ankara am Mittwoch eine Militäroffensive begonnen hatte.

Die Soldaten seien bereits in die Grenzstadt Tal Tamer im Nordosten des Landes eingerückt, berichteten staatliche Medien. In dem Ort nahe der umkämpften Grenzstadt Ras al-Ain sollen sie sich der „türkischen Aggression“ entgegenstellen. Vorausgegangen war eine Verständigung zwischen der Regierung in Damaskus und dem von der Kurdenmiliz YPG geführten Rebellenbündnis Syrische Demokratische Streitkräfte (SDF).

Ein führender Vertreter der syrischen Kurden sagte, die „vorläufige militärische Vereinbarung“ sei begrenzt auf die Stationierung von Regierungstruppen entlang der Grenze zur Türkei. Syrische Soldaten würden in die Grenzstädte von Manbidsch bis Derik einziehen, hieß es vonseiten der kurdischen Verwaltung gegenüber Reuters. Politische Fragen würden beide Seiten später diskutieren.

„Mussten mit der syrischen Regierung verhandeln“

Die kurdische Autonomieverwaltung in der Region beschrieb die Vereinbarung mit Damaskus als Ergebnis einer zunehmend ausweglosen Lage. „In den vergangenen fünf Tagen sind die abscheulichsten Verbrechen gegen unbewaffnete Zivilisten begangen worden“, hieß es in einer Mitteilung. „Wir mussten mit der syrischen Regierung verhandeln, die die Aufgabe hat, die Landesgrenzen und die syrische Souveränität zu schützen.“ Die Regierungstruppen müssten die SDF nun dabei unterstützen, die von der türkischen Armee und von deren verbündeten Milizen eingenommenen Gebiete zu befreien.

Die syrische Armee hatte sich im Zuge des seit 2011 laufenden Bürgerkrieges im Land größtenteils aus dem Nordosten zurückgezogen. Dort hatten vielerorts kurdische Kräfte die Kontrolle übernommen und 2014 eine Selbstverwaltung errichtet. International werden die Autonomiebestrebungen nicht anerkannt, in vielen Orten im Nordosten hat die Assad-Regierung heute faktisch aber keine Macht.

Syrische Kämpfer in Tal Abyad
APA/AFP/Bakr Alkasem
Die Grenzstadt Tal Abjad wurde von der türkischen Armee eingenommen

„Kompromiss, um den Vormarsch zu stoppen“

Auch die syrische Regierung lehnt die Selbstverwaltung der Kurden ab und will, dass kurdische Gebiete wieder unter Kontrolle der Zentralregierung fallen. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien zufolge machten die Kurdenverwaltung und die SDF „Kompromisse mit Syrien, um den Vormarsch der türkischen Truppen im Norden zu stoppen“. Angaben der Beobachtungsstelle, die sich auf ein Netzwerk aus Informanten in Syrien beruft, sind von unabhängiger Seite schwer überprüfbar.

Gemeinsame Vereinbarung mit Russland?

Die Vereinbarung erfolgte laut Beobachtungsstelle sowie einem syrisch-kurdischen Politiker zufolge gemeinsam mit Russland. Der Sprecher der SDF, Mustafa Bali, konnte das nicht bestätigen. Er betonte aber, dass sie „alle Optionen prüfen werden, die unserem Volk ethnische Säuberungen ersparen könnten“.

Aus Moskau gab es keine Hinweise darauf, ob Russland die syrischen Truppen im Nordosten unterstützen würde. Angesichts eines drohenden türkischen Einmarsches hatte die syrische Armee auf Bitten der Kurdenmilizen bereits im Dezember 2018 Truppen nach Manbidsch an der Grenze zur Türkei verlegt. Russland ist der mächtigste Verbündete des syrischen Regimes. Die SDF war im Kampf gegen die radikalislamische IS-Miliz im Bürgerkriegsland Syrien ein wichtiger Verbündeter der USA.

US-Verteidigungsminister Mark Esper
AP/Christophe Ena
US-Verteidigungsminister Espen bat Trump um den Rückzug von Truppen

Errichtung von „Sicherheitszone“

Die Türkei hatte am Mittwoch mit ihrem Militäreinsatz im Norden Syriens begonnen, nachdem die USA rund 50 Soldaten im syrischen Grenzgebiet zur Türkei abgezogen hatten. Seitdem treiben die türkischen Streitkräfte ihre Kämpfe ungeachtet internationaler Kritik gegen die YPG voran.

Grafik zeigt Karte Syriens
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Die Türkei will entlang der Landesgrenze auf syrischem Gebiet eine 30 Kilometer tiefe „Sicherheitszone“ errichten und verlangt den Abzug der Kurdenmiliz aus dem Gebiet. Die Türkei befürchtet ein Erstarken der Kurden jenseits ihrer Südgrenze und damit auch der nach Autonomie strebenden Kurden auf eigenem Territorium.

Trump: Kurden wollen USA hineinziehen

Indes kündigten die USA am Sonntag an, sich weiter aus der Region zurückzuziehen. US-Präsident Donald Trump ordnete einen Rückzug von Streitkräften aus Nordsyrien an, sagte Verteidigungsminister Mark Esper am Sonntag im US-Fernsehen. Esper begründete den US-Truppenabzug gegenüber CBS damit, dass die Gefahr bestehe, dass die USA zwischen zwei einander gegenüberstehende Armeen gerieten, die in Nordsyrien vorrückten.

Das sei eine „sehr unhaltbare“ Situation. „In den letzten 24 Stunden haben wir erfahren, dass die Türkei ihre Offensive weiter südlich und weiter westlich fortsetzen wird als ursprünglich geplant“, sagte er CBS. Die USA hätten nicht genug Soldaten, um den türkischen Vormarsch zu stoppen. Sie müssten daher aus der Schusslinie genommen werden. Man spreche von weniger als 1.000 Soldaten, die aus Nordostsyrien abgezogen werden sollen, sagte Esper dem Sender Fox News. Es gebe keinen Zeitplan.

US-Präsident Trump twitterte am Montag, die Kurden wollten mit der Freilassung von IS-Terroristen die USA in den Konflikt mit der Türkei hineinziehen. Die „Kurden könnten einige freilassen, um uns zu verwickeln“, twitterte Trump. IS-Kämpfer könnten aber „leicht“ von der Türkei oder den europäischen Staaten, aus denen sie kämen, eingefangen werden – aber sie sollten sich beeilen, schrieb der US-Präsident.

Erdogan: Derzeit viele Gerüchte

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan begrüßte den Abzug der US-Truppen aus Nordsyrien. „Das ist ein positives Vorgehen“, sagte Erdogan am Montag. Berichte über eine Einigung der kurdischen Autonomieverwaltung mit der Regierung in Damaskus über die Entsendung von Truppen bezeichnete er als „Gerücht“.

„Es gibt derzeit viele Gerüchte“, sagte Erdogan. Zugleich begrüßte er die Haltung Russlands zur geplanten türkischen Offensive auf die Grenzstadt Kobane (Ain al-Arab). „Mit dem positiven Vorgehen Russlands wird es in Kobane keine Probleme geben“, sagte Erdogan. Den NATO-Partnern warf er vor, die Türkei nicht ausreichend zu unterstützten. „Ist das so, weil die Türkei das einzige Land in der NATO ist, dessen Einwohner Muslime sind?“, fragte er.

Keine Waffen mehr aus der EU

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderten von der Türkei ein Ende der Militäroffensive. Die humanitären Folgen der Offensive seien „gravierend“, und es bestehe die Gefahr, dass der IS wiedererstarke, sagte Merkel am Sonntag vor einem Arbeitsessen mit Macron im Elysee-Palast.

Die Offensive schaffe eine „unhaltbare humanitäre Situation“, sagte auch Macron. Deutschland und Frankreich würden sich für eine „gemeinsame europäische Antwort“ einsetzen. Über das Thema berieten am Montag auch die Außenminister der EU-Staaten. Laut Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn einigte man sich darauf, dass kein EU-Land mehr Waffen an die Türkei liefern soll. Das sagte Asselborn gegenüber ARD und ZDF.

Frau wird von Männern evakuiert
APA/AFP/Bulent Kilic
Menschen flüchten vor den herannahenden Kämpfen

Dutzende zivile Opfer

Seit dem Beginn der Offensive wurden nach Angaben der Beobachtungsstelle inzwischen mehr als 85 kurdische Kämpfer sowie rund 40 Zivilisten getötet. Auf türkischer Seite wurden nach Angaben Ankaras 18 Zivilisten getötet. Bei den Kämpfen seien außerdem vier Soldaten getötet worden. Nach UNO-Angaben flohen bereits mehr als 130.000 Menschen vor den Kämpfen. Das UNO-Büro zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) warnte am Sonntag davor, dass bis zu 400.000 Menschen durch die Kämpfe vertrieben werden könnten.