Michelangelo Merisi da Caravaggio: Hl. Johannes der Täufer, um 1602
KHM/Sovrintendenza Capitolina, Musei Capitolini – Pinacoteca Capitolina, Roma
„Caravaggio & Bernini“ im KHM

Der Mörder und der Papst-Günstling

Der eine gilt als der Mörder unter den Malern, der andere als Günstling der Päpste: In seiner Schau „Caravaggio & Bernini“ vereint das Wiener Kunsthistorische Museum (KHM) erstmals Gemälde und Skulpturen dieser beiden Barockmeister. Was sie verbindet, ist die Darstellung höchster Emotionalität. Vor dem Hintergrund der Gegenreformation sollte ihre Kunst die Gläubigen mitreißen. Als Spezialisten für Gefühle setzten sie Staunen, Freude, Schrecken und Verzückung derart ausdrucksstark in Szene, dass es heute noch bewegt.

Solche Emojis waren noch nicht da: Da gibt es ein Gelbgesicht mit Schlangen auf dem Kopf, ein anderes bewundert mit Herzerlaugen sein eigenes Spiegelbild im Wasser. Das KHM hat für seinen Blockbuster „Caravaggio & Bernini“ diese Smileys in Auftrag geben, die prominente Werke wie Berninis Marmorkopf „Haupt der Medusa“ und Caravaggios Gemälde „Narziss“ für das Smartphone aufbereiten.

In der Barockzeit waren die Leute ebenso besessen von Affekten wie heutzutage, so die Botschaft. Während im 17. Jahrhundert die Papstkirche die Gefühle der Leute ansprach, sind es heute Social-Media-Konzerne.

Mythos des schwulen Mörders

Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571–1610) ist zweifellos das Zugpferd der Schau. Der „verruchte“ Künstler zählt heute zu den gefragtesten Altmeistern. Seinen Mythos verdankt Caravaggio einer Messerstecherei in den nächtlichen Straßen Roms, bei der er einen Gegner tödlich verwundete. Vor seiner Flucht aus Rom hatte der Maler in kurzer Zeit Karriere gemacht und Kirchen mit spektakulären Altarbildern ausgestattet.

Fotostrecke mit 5 Bildern

Links: Caravaggio: Hl. Johannes der Täufer (um 1602); Rechts: Caravaggio: Knabe, von einer Eidechse gebissen (um 1597/98)
Sovrintendenza Capitolina, Musei Capitolini / Fondazione Roberto Longhi, Florenz
Links: Caravaggio: Hl. Johannes der Täufer (um 1602); Rechts: Caravaggio: Knabe, von einer Eidechse gebissen (um 1597/98)
Gian Lorenzo Bernini: Medusa (Rom, 1638–1640)
Andrea Jemolo
Gian Lorenzo Bernini: Medusa (Rom, 1638–1640)
Artemisia Gentileschi: Maria Magdalena in Ekstase (1620/25)
Dominique Provost
Artemisia Gentileschi: Maria Magdalena in Ekstase (1620/25)
Caravaggio: David mit dem Haupt des Goliath (um 1600/01)
KHM-Museumsverband
Caravaggio: David mit dem Haupt des Goliath (um 1600/01)
Ausstellungsansich Caravaggio und Bernini im Kunsthistorischen Museum
KHM-Museumsverband
Im Gegensatz zu den regulären Sälen herrscht in der aktuellen Schau gedämpftes Licht. Wie in der barocken Architektur wurden lange Blickachsen gestaltet.

Als der rastlose Künstler im Alter von 39 Jahren starb, hinterließ er ein Werk von rund 60 Gemälden. Sein zwielichtiges Image wurde auch durch Derek Jarmans Film „Caravaggio“ von 1986 gefördert, der den Maler schöner Jünglinge zur Schwulenikone machte.

Ausstellungshinweis

„Caravaggio & Bernini“, bis 19. Jänner, KHM, montags, dienstags, mittwochs und freitags 9.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags, samstags und sonntags bis 21.00 Uhr.

International sind ständig Ausstellungen mit der typischen Hell-dunkel-Malerei Caravaggios zu sehen. Die meisten zeigen aber nur wenige Gemälde aus des Meisters eigener Hand, dafür viele Nachahmer, Caravaggisten genannt. Das KHM besitzt mit drei eigenhändigen Ölbildern mehr echte Gemälde als jedes andere Museum außerhalb Italiens. Interessanterweise war in der 125-jährigen Geschichte des Hauses aber noch keine Caravaggio-Schau zu sehen.

Staunen über bissige Tierchen

Warum wird der gefragte Maler nun gemeinsam mit dem jüngeren Bildhauer und Architekten Gian Lorenzo Bernini präsentiert, von dem das KHM selbst keine Werke besitzt? „Wir wollten nicht schon wieder eine der vielen Caravaggio-Ausstellungen liefern, die ja ununterbrochen irgendwo aufpoppen, sondern die Wissenschaft voranbringen“, sagte die Kuratorin Gudrun Swoboda, die vor drei Jahren die römische Malerei ihres Hauses sichtete. Damals entstand die Idee einer Gegenüberstellung von Malerei und Bildhauerei, die es so noch nie gegeben habe. Zehn eigenhändige Caravaggios und ein Dutzend Skulpturen von Bernini treffen in der Schau auf rund 50 gefühlsstarke Werke anderer Künstlerinnen und Künstler.

Emojis
KHM Wien
Das KHM hat für die Schau eigene Emojis designen lassen

Um 1600 bestellte die mit dem erstarkenden Protestantismus konfrontierte Papstkirche neue Bilder für ihre Gotteshäuser. Vor den theatralischen Großformaten mit den lebensgroßen Figuren sollten den Gläubigen der Mund offen bleiben. Staunend blickt auch der Marmorkopf eines Jünglings am Anfang der jetzigen Ausstellung. Die Exponate der Schau wurden nach unterschiedlichen Affekten gegliedert.

Kunst zu „Wunderbares und Staunen“ macht den Auftakt. Gleich zu Beginn werden „Wunderwerke“ der Kunstgeschichte wie Perlen aufgefädelt. Dort reihen sich Caravaggios herrlich affektierter „Junge von einer Eidechse gebissen“ und sein ins Wasser blickender „Narziss“ neben Berninis „Medusenhaupt“ mit dem virtuos gemeißelten Schlangenhaar.

Verzückte Heilige

Die Lebenszeit von Caravaggio und Bernini überschneidet sich nur zwölf Jahre. Caravaggios Schaffen steht zwar noch am Beginn des Barocks, aber er ging gleich aufs Ganze. In einem für die damalige italienische Kunst extremen Realismus hielt er Heilige mit schmutzigen Füßen fest. Seine Werke bieten großes Theater, niemand stellte Gemütsbewegungen zuvor so sinnlich dar.

Caravaggio und Bernini in einer spektakulären KHM-Schau

Mit „Caravaggio & Bernini“ bringt das Kunsthistorische Museum Wien zwei Meister des Barock zusammen.

Von seinen Biografen wird Caravaggio als grobschlächtiger, ungewaschener Kerl beschrieben, der ohne viele Skizzen zu Werke ging und der es nirgends lange aushielt. Im Gegensatz dazu war Bernini ein umfassend gebildetes Universalgenie, der in seinem langen Leben von 82 Jahren Meisterschaft in Bildhauerei, Architektur, Malerei und Musik erreichte. Als Höfling mehrerer Päpste gestaltete er den Petersdom mit, schuf den gewaltigen Brunnen auf der Piazza Navona und sakrale Ikonen der Bildhauerei wie „Die Verzückung der heiligen Theresa“.

Diese dreieinhalb Meter hohe Skulptur steht in der römischen Kirche Santa Maria della Vittoria, das KHM konnte das kleine Terrakotta-Modello aus der Eremitage in St. Petersburg ausborgen. „Es ist ja ein Wunder, dass sich so ein zerbrechliches Objekt überhaupt erhalten hat“, sagte die KHM-Kuratorin. Bereits bei diesem Entwurf aus Ton fasziniert der expressive Faltenwurf, der den Gefühlsüberschwang der Heiligen unterstreicht.

Daneben hängt in der Ausstellung das Gemälde „Maria Magdalena in Ekstase“ von der Barockmalerin Artemisia Gentileschi, die lange nicht gewürdigt, aber jetzt wiederentdeckt wird. „Wir sind sehr stolz, dieses bisher unbekannte Werk aus einer Privatsammlung schon jetzt zeigen zu dürfen. Nächstes Jahr wird es in der großen Gentileschi-Schau in der National Gallery in London zu sehen sein“, so Swoboda.

Der mit dem Schafsbock kuschelt

Im Gegensatz zu den regulären Sälen herrscht in der aktuellen Schau gedämpftes Licht. Wie in der barocken Architektur wurden lange Blickachsen gestaltet. In der Kombination von Gemälden und Skulpturen sticht besonders die starke Körperlichkeit hervor. Sinnlichkeit ist Trumpf: Berninis Statue des „Heiligen Sebastian“ hat die tödlichen Pfeile nur diskret seitlich in seinem Oberkörper stecken und Caravaggios „Heiliger Johannes“ tritt als kecker Hirtenknabe ohne Hosen auf, der skurrilerweise einen Schafsbock umarmt.

Sendungshinweis

„Der Caravaggio-Krimi – einer der berühmtesten Kunstraube der Welt“ ist nachzuhören unter oe1.ORF.at

Wie auch Caravaggios Kunst vereint die Ausstellung Licht und Schatten, bringt Freude und Schrecken, Leid und Scherz zusammen. Die unterschiedlichen Formate und Medien sorgen dafür, dass einen das Gefühlstheater der Gegenreformation nicht zu viel wird. So zählt etwa zum Fokus auf „Vivacita“, also „Lebhaftigkeit“, auch ein Pferd aus Bronze. So wie seine Nüstern gebläht sind und die Venen unter dem Fell hervortreten, scheint es in den Ausstellungssaal zu traben. Das eindrucksvolle Werk von Berninis Konkurrenten Francesco Mochi kommt als Leihgabe einer italienischen Principessa in die Schau.

Abgeschlagene Köpfe

Den Jüngling David, der den Riesen Goliath mit einer Steinschleuder besiegen konnte, hat Caravaggio mehrfach gemalt. Der Clou seiner Bildidee: Bei dem hässlichen abgeschlagenen Schädel des Riesen soll es sich um ein Selbstporträt handeln. In Caravaggios gewaltigem Altarbild „Rosenkranzmadonna“ reckt die Menge an Gläubigen die Hände zur Madonna empor. Auch das Museumspublikum blickt zu Maria hinauf und reiht sich so unter die Schar der Betenden.

Gian Lorenzo Bernini: Vier groteske Männerköpfe (Rom, Privatbesitz)
Luca Forti
Die vier kleinen Männerköpfe schmückten einst Berninis Kutsche

Die Schau klingt jedoch nicht mit religiöser Anbetung, sondern mit Scherzen aus. Im letzten Raum reißen Trunkenbolde und freche Putti (Kindergestalten, Anm.) ihre derben Witze. Zu den Highlights dort zählen vier kleine Männerköpfe, die einst die prächtige Kutsche von Bernini geschmückt haben und nun zum ersten Mal ausgestellt werden. Die Bronzeköpfchen krönten vergoldet das Privatgefährt des Bildhauers. Mit ihrem Glanz und ihren Grimassen zogen sie garantiert die Blicke auf sich. Aus den wilden Kerlen hätte ruhig auch ein Emoji gemacht werden können.