US-Militärfahrzeug in Syrien
Reuters/Murad Sezer
Nordsyrien

US-Truppen erhalten Befehl zum Abzug

Alle in Nordsyrien stationierten US-Truppen haben am Montag den Befehl erhalten, wegen der türkischen Militäroffensive gegen die Kurden das Land zu verlassen. Indes entsandte die Regierung in Damaskus Soldaten in die Region. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält dennoch an der Offensive fest – trotz internationaler Kritik.

Rund 1.000 Soldaten würden Syrien verlassen, lediglich ein kleines Kontingent von 150 US-Soldaten bleibe auf dem südsyrischen Stützpunkt al-Tanf stationiert, sagte ein US-Vertreter heute der Nachrichtenagentur AFP.

US-Präsident Donald Trump hatte den Abzug am Vortag angeordnet. US-Verteidigungsminister Mark Esper begründete den US-Truppenabzug gegenüber CBS damit, dass die Gefahr bestehe, dass die USA zwischen zwei einander gegenüberstehende Armeen gerieten, die in Nordsyrien vorrückten. Die US-Soldaten sollen nach Angaben des Präsidenten nach dem Abzug aus Syrien „in der Region“ bleiben, um eine Wiedererstarken der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) zu verhindern.

Panzer der Türkischen Armee
AP/Emrah Gurel
Ein Panzer der türkischen Armee

160.000 auf der Flucht

Die Türkei hatte am Mittwoch nach einem teilweisen Rückzug von US-Soldaten aus dem syrischen Grenzgebiet ihre lange angedrohte Militäroffensive gegen die Kurdenmiliz YPG begonnen. Die Türkei betrachtet die Miliz als einen Ableger der verbotenen Arbeiterpartei PKK und damit als Terrororganisation.

Nach UNO-Angaben wurden bisher mindestens 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben. Nach Zählung der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien wurden auf syrischer Seite 133 YPG-Kämpfer und 69 Zivilisten und Zivilistinnen getötet, während vier türkische Soldaten und 108 verbündete Milizionäre starben. Auch 18 Zivilisten wurden auf türkischer Seite getötet. Angaben der Beobachtungsstelle, die sich auf ein Netzwerk aus Informanten in Syrien beruft, sind von unabhängiger Seite schwer überprüfbar.

EU-Länder wollen Waffenexporte in Türkei begrenzen

Wegen der Angriffe der Türkei stoppten Deutschland, Frankreich und Italien neue Waffenexporte in das NATO-Land. Am Montag verständigten sich zudem die Regierungen der EU-Länder darauf, ihre Waffenlieferungen zu begrenzen. Die EU verhängt allerdings vorerst kein allgemeines Waffenembargo gegen die Türkei.

Rettungswagen über überquert die syrische Grenze zur Türkei.
AP/Cavit Ozgul
Ein Krankenwagen kommt von seinem Einsatz in der Nähe der Grenze zwischen Türkei und Syrien zurück

Zugleich fordert die EU die Türkei erneut zum sofortigen Abbruch der Offensive auf. „Die EU verurteilt das militärische Vorgehen“, heißt es in der Erklärung. Die Offensive gefährde die Stabilität und Sicherheit in der ganzen Region und führe zu einem noch größeren Leiden von Zivilisten und zu weiteren Vertreibungen. Als eine der großen Gefahren der türkischen Militärintervention wurde bei dem EU-Treffen vor allem auch ein mögliches Wiedererstarken der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) genannt.

Hahn: EU-Beschluss zielt auf politische Lösung ab

Außenminister Alexander Schallenberg begrüßte die Verurteilung der türkischen Militäraktion in Nordsyrien und das Überdenken von Waffenlieferungen der EU-Staaten an Ankara. Österreich habe aber mehr gewollt, „wir hätten uns ein EU-Embargo vorstellen können“.

Für EU-Kommissar Johannes Hahn zielt die Verurteilung der türkischen Militäroffensive durch die EU-Länder darauf ab, dass die Türkei ihre Position überdenkt und nach einer politischen Lösung sucht. Unter NATO-Partnern sei es „schon ein starkes Statement“, sich gegenseitig keine Waffen zu liefern, kommentierte Hahn am Montag.

Nahost-Expertin über die explosive Situation in Nordsyrien

Die Situation in Nordsyrien ist nach der Entsendung von Regierungstruppen in die Grenzregion hochexplosiv. Journalistin und Nahost-Expertin Petra Ramsauer mit einer detaillierten Einschätzung der Lage.

Trump kündigt Sanktionen gegen Türkei an

Die Union habe als „Waffe“ nur ihre wirtschaftliche Stärke und keine militärische Macht, sagte er. Ob wirtschaftliche Sanktionen gegenüber der Türkei noch notwendig seien, wisse er nicht. Jede Form von Sanktion sei eigentlich nicht zufriedenstellend, weil das „unter zivilisierten Völkern“ nicht notwendig sein sollte, sagte der Kommissar. „Schauen wir einmal, ob das Aktuelle funktioniert, und dann muss man weitersehen.“

Esper forderte „Maßnahmen“ der NATO gegen die Türkei. Er werde nächste Woche ins NATO-Hauptquartier nach Brüssel reisen und dort die Verbündeten um „gemeinsame und einzelne diplomatische und wirtschaftliche Maßnahmen“ bitten, erklärte Esper am Montagabend. Der „inakzeptable Einmarsch“ habe die erfolgreiche internationale Mission gegen die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien „untergraben“.

Trump kündigte indes am Montagabend Sanktionen gegen die Türkei an. In einer Mitteilung Trumps hieß es, unter anderem würden wegen der „destabilisierenden Handlungen der Türkei in Nordostsyrien“ Strafzölle auf Stahlimporte aus der Türkei wieder auf 50 Prozent angehoben. Zudem kündigte er am Montag über den Kurzbotschaftendienst Twitter die Beendigung von Handelsgesprächen mit Ankara sowie Sanktionen gegen die türkische Führung an.

Menschen auf Motorrädern zeigen die syrischen Fahne
AP
Mit einer syrischen Flagge und einem Porträt von Assad wird der Einmarsch syrischer Truppen begrüßt

„Ich bin völlig vorbereitet, die Wirtschaft der Türkei umgehend zu zerstören, wenn die türkische Führung ihren gefährlichen und zerstörerischen Weg fortsetzt“, schrieb Trump. Er hatte Ankara bereits zuvor wiederholt mit harten Reaktionen wegen der türkischen Offensive in Nordsyrien gedroht.

Erdogan strebt „endgültigen Sieg“ an

Trotz der internationalen Kritik hält Erdogan an der Offensive fest. „Unser Kampf wird weitergehen, bis der endgültige Sieg errungen ist“, sagte Erdogan am Montag. „Wir werden die Arbeit, die wir begonnen haben, auf jeden Fall zu Ende bringen.“ Die Türkei werde „Drohungen keine Beachtung schenken“.

Erdogan wies Kritik der EU und der Arabischen Liga an seinem Vorgehen zurück und forderte zugleich internationale Gelder für seine Pläne zur Errichtung einer „Sicherheitszone“ im Norden Syriens. Die Türkei befürchtet ein Erstarken der Kurden jenseits ihrer Südgrenze und damit auch der nach Autonomie strebenden Kurden auf eigenem Territorium.

Zudem wies Ankara alle Appelle „in ihrer Gesamtheit zurück und verurteile sie“, hieß es in einer am Montagabend veröffentlichten Erklärung des türkischen Außenministeriums. Man müsse die Zusammenarbeit mit der EU in einigen Bereichen „ernsthaft“ überdenken.

Die Türkei betonte erneut, dass sie sich unter anderem auf ihr Recht auf Selbstverteidigung berufe und der Einsatz mit dem internationalen Recht vereinbar sein. Weiter hieß es in der Erklärung, es sei „inakzeptabel“, dass die EU gegenüber „Terrorelementen eine schützende Haltung zur Schau stelle“. Deutlich werde das unter anderem dadurch, dass die EU zu der „Ermordung“ von „unschuldigen Zivilisten“ durch die YPG schweige.

Syrische Truppen unterstützen Kurden gegen Türken

Als Reaktion auf den türkischen Einmarsch in Nordsyrien hat die Regierung in Damaskus Montagfrüh Truppen in die Region entsandt. Der Schritt folgt auf eine Vereinbarung der Regierung von Präsident Baschar al-Assad mit den Kurdenmilizen.

Damaskus schickte Truppen an Grenze

In ihrem erbitterten Kampf gegen türkische Truppen erhielten die Kurdenmilizen indes Unterstützung der Regierung von Präsident Baschar al-Assad. Die syrischen Soldaten sind Staatsmedien zufolge am Montag in die strategisch wichtige Stadt Manbidsch vorgedrungen. Das meldete die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA. Ein Behördenvertreter der Stadt, die von einem mit der Kurdenverwaltung verbundenen Militärrat kontrolliert wird, bestätigte die Angaben.

Die syrischen Truppen seien zudem „an der Frontlinie eingetroffen“. Über die Zahl der Truppen machte die Regierung in Damaskus keine Angaben. Erdogan betonte am Montag, die Türkei wolle die Kontrolle über die Städte Manbidsch und Kobane übernehmen. Die syrischen Verbündeten der Türkei postierten sich am Montag in Vorbereitung eines geplanten Angriffs am westlichen Rand von Manbidsch.

Grafik zeigt Karte Syriens
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Vorausgegangen war eine Verständigung der Regierung in Damaskus mit dem von der YPG geführten Rebellenbündnis Syrische Demokratische Streitkräfte (SDF). Die kurdische Autonomieverwaltung in der Region beschrieb die Vereinbarung mit Damaskus als Ergebnis einer zunehmend ausweglosen Lage. Die Regierungstruppen müssten die SDF nun dabei unterstützen, die von der türkischen Armee und von deren verbündeten Milizen eingenommenen Gebiete zu befreien. Erdogan bezeichnete Berichte über die Einigung der kurdischen Autonomieverwaltung mit der Regierung in Damaskus über die Entsendung von Truppen als „Gerücht“.

Nordsyrien: US-Truppen erhalten Befehl zum Abzug

Alle in Nordsyrien stationierten US-Truppen haben den Befehl erhalten, wegen der türkischen Militäroffensive gegen die Kurden das Land zu verlassen.

„Kompromiss, um den Vormarsch zu stoppen“

Die syrische Armee hatte sich im Zuge des seit 2011 laufenden Bürgerkriegs im Land größtenteils aus dem Nordosten zurückgezogen. Dort hatten vielerorts kurdische Kräfte die Kontrolle übernommen und 2014 eine Selbstverwaltung errichtet. International werden die Autonomiebestrebungen nicht anerkannt, in vielen Orten im Nordosten hat die Assad-Regierung heute faktisch aber keine Macht.

Auch die syrische Regierung lehnt die Selbstverwaltung der Kurden ab und will, dass kurdische Gebiete wieder unter Kontrolle der Zentralregierung fallen. Der Beobachtungsstelle zufolge machten die Kurdenverwaltung und die SDF „Kompromisse mit Syrien, um den Vormarsch der türkischen Truppen im Norden zu stoppen“.