Autor Sasa Stanisic
APA/dpa/Andreas Arnold
Sasa Stanisic

Deutscher Buchpreis für Handke-Kritiker

Sasa Stanisic hat für seinen Roman „Herkunft“ den Deutschen Buchpreis 2019 erhalten, wie die Jury am Montag in Frankfurt am Main bekanntgegeben hat. In seiner Dankesrede attackierte der Gewinner den österreichischen Literaturnobelpreisträger des Jahres 2019, Peter Handke.

Die Entscheidung aus Stockholm in der vergangenen Woche habe ihm die Freude über den Deutschen Buchpreis „vermiest“, sagte der 41-Jährige am Montag im Kaisersaal des Frankfurter Römer. Stanisic warf Handke vor, er habe sich die Wirklichkeit so zurechtgelegt, dass „dort nur noch Lüge entsteht“. Und weiter: „Ich hatte das Glück, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt“, so der Autor.

Handke negiere etwa in einem Text über seine Heimatstadt Visegrad dort verübte Kriegsverbrechen und konstruiere sich eine den Tatsachen widersprechende Wirklichkeit. „Das soll Literatur eigentlich nicht“, sagte Stanisic, der für seine Rede einigen Applaus erhielt.

Autor Sasa Stanisic
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Stanisic bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises

„Mich erschüttert, dass so etwas prämiert wird“

„Mich erschüttert, dass so etwas prämiert wird. Ich stehe nicht alleine mit meiner Erschütterung da, das freut mich auch.“ Er nehme den Buchpreis entgegen als Vertreter einer anderen Literatur, „einer Literatur, die nicht zynisch ist, nicht verlogen und die uns Leser nicht für dumm verkaufen will, indem sie das Poetische in Lüge verkleidet“.

Stanisic in Rage

Kein gutes Haar lässt der frischgebackene Träger des Deutschen Buchpreises, Sasa Stanisic, an seinem Autorenkollegen Peter Handke, dem zuvor der Literaturnobelpreis verliehen worden war.

Stanisic war mit seinen Eltern 1992 nach Heidelberg geflüchtet, nachdem serbische Truppen im Zuge des jugoslawischen Bürgerkriegs seine Heimatstadt besetzt hatten. Handke hatte sich im Zusammenhang mit dem Balkan-Konflikt in den 1990er Jahren wiederholt auf die Seite der Serben gestellt.

Geschichte über Flucht

In „Herkunft“, seinem vierten Roman, erzählt Stanisic von der Flucht vor dem Jugoslawien-Krieg, der seine Familie in die Welt verstreute. Er beschreibt das Ankommen in Deutschland – mit einem Mund voller Karies und einer Mischung aus Angst und Erwartung. Er erzählt auch, wie Erinnerungen zu Geschichten werden – und wie wir uns mit diesen Geschichten selbst erschaffen.

„Ich verstehe das Beharren auf dem Prinzip der Nation nicht. Ich verstehe nicht, dass Herkunft Eigenschaften mit sich bringen soll“, heißt es im Roman. Für ihn gilt: „Heimat ist das, worüber ich gerade schreibe.“ Müsste die Familie heute fliehen, erzählt Stanisic, würde die Reise an einem ungarischen Stacheldraht enden. Seine Eltern wurden ausgewiesen, er durfte Deutsch lernen und bleiben.

Roman eines „Europas der Lebenswege“

„Sasa Stanisic ist ein so guter Erzähler, dass er sogar dem Erzählen misstraut. Unter jedem Satz dieses Romans wartet die unverfügbare Herkunft, die gleichzeitig der Antrieb des Erzählens ist. Verfügbar wird sie nur als Fragment, als Fiktion und als Spiel mit den Möglichkeiten der Geschichte. Der Autor adelt die Leser mit seiner großen Phantasie und entlässt sie aus den Konventionen der Chronologie, des Realismus und der formalen Eindeutigkeit“, hieß es in der Begründung der Jury.

„Mit viel Witz setzt er den Narrativen der Geschichtsklitterer seine eigenen Geschichten entgegen. ‚Herkunft‘ zeichnet das Bild einer Gegenwart, die sich immer wieder neu erzählt. Ein ‚Selbstporträt mit Ahnen‘ wird so zum Roman eines Europas der Lebenswege.“

Auch zwei Österreicher nominiert

Nominiert waren auch die 29-jährige Wienerin Raphaela Edelbauer („Das flüssige Land“), der 27-jährige in Neu-Delhi geborene Wiener Tonio Schachinger („Nicht wie ihr“) sowie Norbert Scheuer („Winterbienen“), Jackie Thomae („Brüder“) und Miku Sophie Kühmel („Kintsugi“) aus Deutschland.

Die Auswahl trifft eine siebenköpfige Jury, die jedes Jahr neu besetzt wird und heuer insgesamt 200 Titel gesichtet hat. Erst zweimal erhielten Österreicher den Preis: 2005 gewann Arno Geiger mit seinem Roman „Es geht uns gut“, 2017 wurde Robert Menasse für „Die Hauptstadt“ ausgezeichnet. Im Vorjahr siegte Inger-Maria Mahlke mit dem Roman „Archipel“.

Der 2005 ins Leben gerufene Deutsche Buchpreis wird traditionell am Vorabend der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse vergeben. Gesucht wird der beste deutschsprachige Roman des Jahres. Der Sieger erhält 25.000 Euro, die übrigen fünf Autoren der Shortlist jeweils 2.500 Euro.