Autor Sasa Stanisic
APA/dpa/Andreas Arnold
Sasa Stanisic zu Handke

„Erschüttert, dass sowas prämiert wird“

Im Folgenden die heute Abend im Frankfurter Römer gehaltene Dankesrede des neuen Trägers des Deutschen Buchpreises, Sasa Stanisic, im Wortlaut.

„Ich trage in mir 1200 Ibuprofen. Wenn Sie mir später gratulieren, halten Sie bitte so eine Spuckdistanz weg. Schilddrüsenentzündung – nicht angenehm. Ich konnte heute die Zahnpastatube nicht aufmachen, ich musste sie aufschneiden, weil mir meine Muskeln so wehgetan haben. Ich freue mich wirklich immens über diesen Preis, und hätte bis heute Morgen auch mich sehr gerne darauf konzentriert, wie sehr ich mich freuen würde, wenn ich ihn bekomme.

Es gab aber einen anderen Preis, der diese Konzentration gestört hat, und der etwas, eine kleine Spur wichtiger ist. In Schweden, in Stockholm. Und den hat nun einer bekommen, der mir diese Freude an meinem eigenen ein bisschen vermiest hat, und deswegen bitte ich Sie um Nachsicht, wenn ich diese kurze Öffentlichkeit dafür nutze, mich kurz zu echauffieren. (Applaus) Über die 50 Prozent des Preises.

Ich tu’s auch deswegen, weil ich das Glück hatte, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt. Dass ich hier heute vor ihnen stehen darf, habe ich einer Wirklichkeit zu verdanken, die sich dieser Mensch nicht angeeignet hat, und die in seinen Texte der 90er Jahre hineinreicht. Und das ist komisch, finde ich, dass man sich die Wirklichkeit, indem man behauptet, Gerechtigkeit für jemanden zu suchen, so zurechtlegt, dass dort nur noch Lüge besteht. Das soll Literatur eigentlich nicht.

In seinem Text, der über meine Heimatstadt Visegrad verfasst worden ist, beschreibt Handke unter anderem Milizen, die barfuß nicht die Verbrechen begangen haben können, die sie begangen haben. Diese Milizen und ihren Milizenanführer, der Milan Lukic heißt und lebenslang hinter Gittern sitzt, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, erwähnt er nicht. Er erwähnt die Opfer nicht. Er sagt, dass es unmöglich ist, dass diese Verbrechen geschehen konnten. Sie sind aber geschehen. Mich erschüttert so was, dass so was prämiert wird. Ich stehe nicht allein mit dieser Erschütterung da, und das freut mich auch. Die katholische Kirche hat Handke schon gratuliert. Die katholische Kirche hat dem Handke gratuliert und ihm zu einer Ehrung jenseits der politischen Korrektheit gratuliert – die katholische Kirche! Passt ja eigentlich.

Ich stehe hier, um eine andere Literatur zu feiern. Ich feiere die anderen 50 Prozent. Ich feiere Olga Tokarczuk. Ich feiere eine Literatur, die alles darf und alles versucht, auch gerade im politischen Kampf mittels Sprache zu streiten. Ich feiere Literatur, die dabei aber nicht zynisch ist, nicht verlogen und die uns Leser nicht für dumm verkaufen will, indem sie das Poetische in Lüge verkleidet, und zwar freiwillig, Fakten, an denen scheitert. Ich feiere die anderen Autoren, ich feiere Olga Tokarczuk. Und lassen sie mich zum Schluss auch sagen, dass ich gerne auch Literatur feiere, die die Zeit beschreibt, und diese Zeit ist so, wie Handke sie im Falle von Bosnien beschreibt, nie gewesen.

Lassen Sie mich doch aber jetzt mit einer freudigen Note enden: Ich freue mich wirklich über ihre Auszeichnung. Ich danke der Jury. Ich danke meinem fantastischen Verlag, jederzeit in allen Dingen waren sie für mich da – Gesprächspartner, Freund, Ratgeber. (Es folgt die Aufzählung etlicher Namen) Vielen Dank Ihnen, den Anwesenden, viel Kraft in den nächsten Tagen! Lassen Sie sich nicht anstecken – außer von guter, verkäuflicher und unverkäuflicher Literatur.“