Haus in Ruinerwold
Reuters/Piroschka Van De Wouw
Niederlande

Neue Details zu isolierter Familie

Dienstagabend ist ein 58-jähriger Wiener in den Niederlanden verhaftet worden. Er soll Kontakt zu jener siebenköpfigen Familie gehabt haben, die neun Jahre lang isoliert in einem „abschließbaren kleinen Raum“ auf einem Bauernhof lebte. Der Wiener sei festgenommen worden, weil er die Untersuchung der Polizei nicht unterstützte. Am Mittwoch berichteten Medien neue Details.

Viele Fragen, schrieb der niederländische „Telegraaf“, seien offen. „Waren die Kinder wirklich eingesperrt? Warteten sie auf den Weltuntergang? Steckt eine Sekte hinter den dramatischen Ereignissen?“ Die Polizei stehe noch am Anfang ihrer Ermittlungen, so die Zeitung.

Und tatsächlich dürfte es noch einige Wendungen geben. Denn am Mittwoch präzisierte die Polizei ihre Angaben vom Vortag, wonach es sich um einen Keller handle. Es sei ein „abschließbarer kleiner Raum in der Wohnung“ gewesen. Noch nicht klar sei, ob die Familie dort freiwillig war. Zuvor war die Rede von einer sechsköpfigen Familie mit fünf Kindern, nun wurde die Anzahl der Kinder von den Medien allerdings mit sechs angegeben. Eine zentrale Figur bei der Aufklärung dürfte der älteste Sohn Jan, ein mittlerweile 25-jähriger Mann, sein. Er hatte die Befreiung ins Rollen gebracht.

Wohnhaus In Ruinerwold
APA/AFP/Wilbert Bijzitter
Der Bauernhof, in dem sechs Menschen abgeschirmt von der Außenwelt lebten – ob freiwillig oder nicht, ist noch unklar

Festgenommener ist gebürtiger Wiener

Fest steht aber, dass es sich bei dem 58-Jährigen um einen Österreicher handelt. Der Sprecher des Außenministeriums in Wien, Peter Guschelbauer, bestätigte am Dienstagabend entsprechende Berichte niederländischer Medien unter Berufung auf die örtlichen Behörden. Es handle sich bei dem Festgenommenen um einen gebürtigen Wiener.

Der Festgenommene will jedoch keinen Kontakt mit den österreichischen Behörden. „Er wünscht keinen Kontakt zur österreichischen Botschaft in Den Haag und will keine konsularische Hilfe“, sagte Guschelbauer am Mittwoch. Die Behörden warten nun die Ermittlungen in den Niederlanden ab. Der Mann war nach APA-Informationen 2010 aus dem oberösterreichischen Bezirk Perg in die Niederlande ausgewandert.

Der Österreicher war nach Angaben der Polizei Mieter des Bauernhofes und soll dort regelmäßig Reparaturen ausgeführt, aber nicht dort gewohnt haben. Wie der Radiosender RTV Drenthe zuvor berichtete, wurde der Mann von Nachbarn „Josef, der Österreicher“ genannt, weil er aus Österreich stamme.

Beiträge in Sozialen Netzwerken zurückdatiert

Auch die „Geschichte“ von Jan wirft Fragen auf. Etwa, warum er erst so spät von den Lebensumständen der Familie sprach. „De Telegraaf“ berichtete, dass der 25-Jährige unter seinem Vornamen ein Facebook-Profil besitzt.

Screenshot von Facebook
Screenshot Facebook

Allerdings dürfte der junge Mann einige ältere Beiträge in seinem Profil zurückdatiert haben. So findet sich etwa ein Posting, in dem er seinen Umzug nach Ruinerwold bekanntgab – datiert ist dieses auf den 1. August 2010. Klar ersichtlich wird im Uhrensymbol-Mouse-over aber auch, dass er den Beitrag nicht am 1. August 2010 erstellte, sondern erst am 15. September 2019 hinzufügte. Medien berichteten zuvor, Jan hätte sein Profil am 1. August 2010 angelegt.

Der erste nicht zurückdatierte Beitrag stammt jedoch vom 16. Juni dieses Jahres – womöglich jener Tag, an dem das Profil tatsächlich angelegt wurde. Am 21. Juli veröffentlichte er auch ein Foto, das vermutlich ihn selbst zeigt. Auch ein Twitter-Profil, von dem mehrere Nachrichten gesendet wurden, soll es geben.

Aus den anderen Postings geht etwa hervor, dass die Familie vor ihrem Umzug in drei anderen niederländischen Kleinstädten gelebt habe und er für den Pächter des Hofes arbeite. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem Facebook-Profil um einen Fake-Account handelt.

25-Jähriger berichtete über „Kellerleben“

Der 25-Jährige verließ Medienberichten zufolge am Montag den Hof und bat in einem nahe gelegen Lokal um Hilfe. Er erzählte dem Wirt von seinem „Kellerleben“, dem er nun ein Ende setzen wollte. „Er sagte, dass er weggelaufen war und Hilfe brauchte“, sagte der Wirt. Der junge Mann habe gesagt, dass er neun Jahre lang nicht draußen gewesen sei.

TV-Hinweis

ORF2 bringt am Mittwoch nach der ZIB2 um 22.25 Uhr einen runden Tisch zu den Ereignissen in den Niederlanden.

Auch in die Schule sei er nie gegangen. Er hatte langes Haar, einen schmutzigen Bart, trug altes Gewand und sei völlig verwirrt gewesen, sagte der Lokalbesitzer gegenüber RTV Drenthe. Der Wirt alarmierte daraufhin die Polizei.

Sechs Personen in „abschließbarem Raum“

Die Polizei war daraufhin zu dem Bauernhof gefahren und entdeckte – so wurde zuvor berichtet – eine Stiege zum Keller, die hinter einem Wandschrank im Wohnzimmer versteckt war. Dort „lebten“ sechs Personen, berichtete der öffentlich-rechtliche niederländische Rundfunk NOS. Zunächst hieß es laut NOS, dass die Kinder nicht einmal gewusst hätten, dass andere Menschen existieren.

Am Mittwoch präzisierte die Polizei ihre Angaben jedoch. Die Beamten trafen „sechs Menschen an in einem abschließbaren kleinen Raum in der Wohnung, es war kein Keller“. Und: „Es ist undeutlich, ob sie dort freiwillig waren.“

Vater erlitt Schlaganfall, Mutter tot

Bei der Familie handelt es sich um sechs Kinder, die im Laufe der Zeit erwachsen wurden, und einen Erwachsenen, mutmaßlich der Vater der Kinder. Die Kinder sind laut Berichten heute zwischen 18 und 25 Jahre alt. Die Kinder seien RTV Drenthe zufolge nirgendwo registriert gewesen und den Behörden daher auch nicht bekannt.

Der Vater habe offenbar vor ein paar Jahren einen Schlaganfall erlitten und sei daher im Bett gelegen. In welchem Verhältnis der festgenommene Österreicher zu den anderen Mitgliedern der Gruppe stand, ist noch nicht bekannt. Die Mutter, lässt sich aus den Social-Media-Postings des 25-Jährigen schließen, sei 2004 verstorben.

Kinder werden versorgt

„Sie werden nun versorgt“, teilte die Polizei am Dienstag mit. Die Kinder wurden an einen sicheren Ort gebracht. Über die genauen Lebensumstände und den Gesundheitszustand wollte die Polizei vorerst keine Angaben machen. Die Untersuchungen seien noch in vollem Gange. „Alle Szenarien sind noch offen“, sagte ein Sprecher. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren.

Nachbarn: Nie Kinder gesehen

Niederländische Medien berichteten, dass der Wiener im nahe gelegenen Ort als Handwerker bekannt war. Vor allem für seine Tischlerarbeiten habe man den Mann geschätzt. Er galt als überaus fleißig und freundlich, aber unnahbar. Einem Nachbarn zufolge habe der 58-Jährige alle Fenster und Türen der Farm vernagelt. Kinder habe man auf dem Grundstück nie gesehen. Auch die Eigentümer des Bauernhofs seien davon ausgegangen, dass es sich bei dem Mieter lediglich um einen alleinstehenden Mann handle. Rund um das Haus sollen zudem Kameras aufgestellt gewesen sein, so die Anrainer gegenüber dem „Telegraaf“.

Niemand aus der Nachbarschaft habe Kontakt mit ihm gehabt. Der Hof liegt versteckt hinter Bäumen und etwa 200 Meter vom Rande des Dorfes entfernt. Dazu gehören nach Aussagen von Reportern ein großer Gemüsegarten und eine Ziege. Möglicherweise habe sich die Familie jahrelang selbst versorgt.