Kanadas Premierminister Justin Trudeau mit zwei Anhängerinnen bei einer Wahlveranstaltung
Reuters/Candace Elliott
Kanada-Wahl

Trudeau und das Millennial-Dilemma

Der kanadische Premier Justin Trudeau muss bei der Parlamentswahl am Montag um seine Wiederwahl bangen. Wahlentscheidend dürfte sein, wie die Millennials diesmal abstimmen. Sie sind mittlerweile die größte Wählergruppe und hatten Trudeau 2015 zum Sieg verholfen. Doch viele Millennials haben sich „entliebt“.

Als der Liberale Trudeau vor vier Jahren in den Wahlkampf zog, war in den USA noch Barack Obama im Weißen Haus. Und mit ähnlichem Charme, Jugendlichkeit und dem hoffnungsvollen Versprechen von Veränderung und Wandel gelang Trudeau der damals überraschende Sieg. Entscheidend dafür war, dass Trudeau es schaffte, mit seinem Auftreten sowie seinen inhaltlichen Versprechen – für Umweltschutz, Gleichberechtigung, Toleranz und Transparenz – viele Millennials, also die Gruppe der etwa 18 bis 34-Jährigen, nicht nur zu begeistern. Er schaffte es auch, sie in ungewöhnlich hoher Zahl zum Wählen zu animieren.

Traditionell ist die Wahlbeteiligung in dieser Altersgruppe in Kanada deutlich niedriger als bei Älteren und liegt laut „Financial Times“ bei weniger als 40 Prozent. 2015 gaben aber rund 57 Prozent ihre Stimme ab – und das Gros stimmte für Trudeau.

Kanadischer Politiker und Parteivorsitzender der sozialdemokratischen Neuen Demokratischen Partei Jagmeet Singh bei einer Wahlveranstaltung
AP/The Canadian Press/Nathan Denette
Der linksliberale Jagmeet Singh könnte Trudeau bei den Jüngeren den Rang ablaufen

Wähler „entliebt“

Doch viele seiner Versprechen setzte Trudeau nicht um – so gab es keine Wahlreform und er setzte die Verstaatlichung einer wichtigen Ölpipeline durch, obwohl er mehr Klimaschutz angekündigt hatte. Dazu kamen Affären. Zunächst der SNC-Lavalin-Skandal: Hier hatte Trudeau zugunsten der Baufirma SNC-Lavalin in einem Verfahren interveniert, woraufhin die Justizministerin Jody Wilson-Raybould aus Protest zurücktrat. Und zuletzt war er mitten im Wahlkampf mit Rassismusvorwürfen konfrontiert, nachdem alte Fotos von Trudeau auftauchten, die ihn in Verkleidung mit dunkler Schminke zeigen („Blackfacing“ oder „Brownfacing“).

Die Begeisterung für Trudeau ist aus allen diesen Gründen gerade unter Millennials deutlich gesunken, die „Financial Times“ titelte, diese hätten sich vom kanadischen Premier „entliebt“.

Umfrage spricht klare Sprache

Einer Umfrage zufolge, dürften zahlreiche Millennials diesmal am Wahltag zu Hause bleiben oder einem anderen Kandidaten oder einer anderen Kandidatin die Stimme geben. Für Trudeaus Liberale Partei fiel laut dem Umfrageinstitut Dart & Maru/Blue die Zustimmung unter Millennials im letzten Monat von 39 auf 27 Prozent. Jagmeet Singh von der linksliberalen New Democratic Party (NDP) dagegen schnellte in der Wählergruppe im gleichen Zeitraum von 22 auf 39 Prozent Zustimmung hinauf.

Singh konnte auch in der englischsprachigen Debatte aller Spitzenkandidatinnen und -kandidaten am meisten bei den Jungen punkten, so John Wright von Dart gegenüber der „Financial Times“. Insgesamt liefert sich Trudeau derzeit in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Oppositionsführer, dem Konservativen Andrew Scheer. Im Mittel der Umfragen liegt Trudeau mit 31,4 Prozent knapp hinter Scheer mit 32,3 Prozent.

Der kanadische Politiker der Konservativen Partei Andrew Scheer bei einer Wahlveranstaltung umgeben von Anhängern
AP/The Canadian Press/Adrian Wyld
Der Konservative Andrew Scheer liegt in Umfragen vor Trudeau. Er hat allerdings weniger Koalitionsoptionen.

„Völlig anormal“

So wie die Stimmen der Millennials 2015 Trudeau den Sieg sicherten, könnten sie ihm diesmal den Sieg kosten. Der 47-Jährige lässt nichts unversucht, um diese erneut für sich zu gewinnen. Wie vor vier Jahren konzentrierte sich Trudeau in seinem Wahlkampf besonders auf die Universitäten. 2015 gewann der jugendlich wirkende Trudeau jeden Wahlsprengel, in dem sich eine Uni befindet, und auch die daran angrenzenden. Wright warnte allerdings, 2015 sei „völlig anormal“ gewesen.

David Coletto vom Umfrageinstitut Abacus Data in Ottawa fragt regelmäßig Einstellungen und Verhalten der 20- bis 40-Jährigen ab. Politik interessiere diese Altersgruppe, so Coletto, aber es gebe einen Unterschied zu älteren Generationen: „Ihnen fehlt ein echter Sinn für Bürgerpflicht. Das ist nicht unbedingt schlecht. Es bedeutet nur, dass sie nicht etwas zu tun bereit sind, weil sie sollen", so Coletto gegenüber der Website News1130 von Vancouver. Millennials würden nicht wählen gehen, weil sie wählen sollen, sondern nur, wenn es einen echten Grund dafür gibt“, so Coletto.

Ein zentrales Thema für Millennials

Das mit Abstand wichtigste Thema für die unter 40-Jährigen in Kanada ist Klima- und Umweltschutz. Es ist daher wohl kein Zufall, dass Trudeau versucht, sein ramponiertes Umweltimage aufzupolieren. Er traf Greta Thunberg, die ihm prompt vorwarf, nicht genug zu tun. Und er marschierte Ende September beim großen Klimastreik in Montreal mit – was ihm Spott von allen Seiten einbrachte: Der Regierungschef habe damit de facto gegen seine eigene Politik demonstriert, so Kritikerinnen und Kritiker.

Die vierjährige Regierungszeit hat Trudeau in den Augen vieler entzaubert. Es ist daher fraglich, ob es Trudeau auch diesmal gelingen kann, das Ruder noch herumzureißen. Aber selbst wenn Scheer Trudeau schlägt, könnte Trudeau weiterregieren.

Kanadischer Premierminister Justin Trudeau bei einer Wahlveranstaltung umgeben von Anhängern in Halifax
AP/The Canadian Press/Sean Kilpatrick
Trudeau warnte im Wahlkampffinish die Millennials: Die Konservativen würden Kanada „zurück in die Vergangenheit führen“.

Optionen nach der Wahl

Die Optionen für die parlamentarische Zusammenarbeit nach der Wahl sind eher überschaubar. NDP-Chef Singh schließt eine Zusammenarbeit mit den Konservativen explizit aus, kann sich aber eine Koalition mit Trudeau vorstellen.

Auch der sezessionistische Bloc Quebecois wäre eine Option für Trudeau – während Scheer mit dieser Partei nicht kooperieren will. Auch mit den Grünen dürfte sich Trudeau leichter einigen können als Scheer. Eine Option für Konservative wie Liberale wäre jeweils eine Minderheitsregierung, wie sie in Kanada immer wieder vorkommt. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie die gesamte Legislaturperiode hält, gering.