Wohnhaus In Ruinerwold
APA/AFP/Vincent Jannink
Isolierte Familie

Verdacht gegen Österreicher erhärtet sich

Im Fall einer isoliert lebenden Familie auf einem Bauernhof in den Niederlanden erhärtet sich der Verdacht gegen den beteiligten Österreicher. Die niederländische Staatsanwaltschaft teilte am Mittwoch mit, dass der festgenommene 58-jährige Österreicher der Freiheitsberaubung verdächtigt wird. Die Ermittlungen der Polizei laufen indes auf Hochtouren, doch viele Fragen sind nach wie vor offen.

Der gebürtige Wiener war bereits am Dienstag festgenommen worden – zuerst allerdings aus dem Grund, weil er die Untersuchung der Polizei nicht unterstützte. Gegenwärtig steht der Mann im Verdacht, an illegalen Freiheitsentzügen beteiligt zu sein und die Gesundheit anderer zu beeinträchtigen. Der Mann soll Donnerstag dem Haftrichter vorgeführt werden, schrieb die Staatsanwaltschaft auf Twitter.

Der Österreicher war nach Angaben der Polizei Mieter des Bauernhofes und soll dort regelmäßig Reparaturen ausgeführt, aber dort nicht gewohnt haben. Wie der Radiosender RTV Drenthe berichtete, wurde der Mann von Nachbarn „Josef, der Österreicher“ genannt, weil er aus Österreich stamme. Das Außenministerium bestätigte, dass es sich bei dem Mann um einen gebürtigen Wiener handelt, der jedoch keinen Kontakt zu den österreichischen Behörden wolle.

Wohnhaus In Ruinerwold
Reuters/Piroschka Van De Wouw
Der Bauernhof, in dem sieben Menschen abgeschirmt von der Außenwelt lebten – ob freiwillig oder nicht, ist noch unklar

Kein Keller, sondern „abschließbarer Raum“

Derzeit untersuche eine Sondergruppe von 25 Beamten den Fall, teilte die Polizei in der Provinz Drenthe am Mittwochvormittag mit. Doch wenig scheint in dem Fall wirklich festzustehen. Klar ist derzeit nur, dass Polizeibeamte am Dienstag auf einem abgelegenen Bauernhof im Dorf Ruinerwold eine Familie entdeckten, die dort seit 2010 in einem isolierten Raum gehaust haben soll.

War am Vortag noch die Rede von einem Keller, präzisierte die Polizei am Mittwoch ihre Angaben: Es sei ein „abschließbarer kleiner Raum in der Wohnung“ gewesen. Eine zentrale Figur bei der Aufklärung dürfte der älteste Sohn Jan, ein mittlerweile 25-jähriger Mann, sein. Er hatte die Befreiung ins Rollen gebracht.

Viele offene Fragen

Doch „waren die Kinder wirklich eingesperrt? Warteten sie auf den Weltuntergang? Steckt eine Sekte hinter den dramatischen Ereignissen?“, fragte etwa auch der niederländische „Telegraaf“. Unklar ist noch immer, ob sich die Familie freiwillig in dem Raum aufhielt oder dort gefangen gehalten wurde. Die Staatsanwaltschaft schließt nicht aus, dass die Familie gegen ihren Willen dort festgehalten wurde.

Bei den im „abschließbaren kleinen Raum“ entdeckten Personen handelt es sich laut den niederländischen Behörden um einen Vater und seine fünf Kinder. Die mittlerweile erwachsen gewordenen Kinder sind laut Berichten heute zwischen 18 und 25 Jahre alt. Der Vater habe offenbar vor ein paar Jahren einen Schlaganfall erlitten und sei bettlägrig. Die Mutter, lässt sich aus Social-Media-Postings des 25-jährigen Jan schließen, sei 2004 verstorben. Die Familie war dem Einwohnermeldeamt bisher nicht bekannt. Die Kinder und der Vater wurden laut Polizei an einen sicheren Ort gebracht.

Sohn und Österreicher womöglich Sektenmitglieder

Veronika Fillitz berichtete am Mittwoch in der ZIB, dass das Gerücht von einer Sekte auch im Ort kursiere – nicht zuletzt, „weil die Gegend hier in den Niederlanden als sehr religiös gilt“, so Fillitz. Einem Nachbarn gegenüber habe Jan bestätigt, Teil einer Sekte zu sein, der in den Niederlanden noch 20 weitere Personen angehören sollen.

ORF-Korrespondentin Fillitz aus Ruinerwold

Es deute viel darauf hin, dass die Menschen gegen ihren Willen festgehalten wurden, berichtet Veronika Fillitz aus Ruinerwold. Aber es gebe noch viele offene Fragen.

Auch der verhaftete Österreicher soll in seiner Jugend Mitglied einer Sekte gewesen sein, wie die „Kronen Zeitung“ am Mittwoch berichtete. Der gebürtige Wiener war nach APA-Informationen 2010 aus dem oberösterreichischen Bezirk Perg in die Niederlande ausgewandert. Er wurde verhaftet, da er sich nicht an den Ermittlungen der Polizei beteiligen wollte. Wie er die Familie kennengelernt hat und in welchem Verhältnis er zu ihr steht, ist ebenfalls noch nicht bekannt.

Beiträge in Sozialen Netzwerken zurückdatiert

Auch die „Geschichte“ von Jan wirft Fragen auf. Etwa, warum er erst so spät von den Lebensumständen der Familie sprach. „De Telegraaf“ berichtete, dass der 25-Jährige unter seinem Vornamen ein Facebook-Profil besitzt. Allerdings dürfte der junge Mann einige ältere Beiträge in seinem Profil zurückdatiert haben. So findet sich etwa ein Posting, in dem er seinen Umzug nach Ruinerwold bekanntgab – datiert ist dieses auf den 1. August 2010.

Klar ersichtlich wird im Uhrensymbol-Mouse-over aber auch, dass er den Beitrag nicht am 1. August 2010 erstellte, sondern erst am 15. September 2019 hinzufügte. Medien berichteten zuvor, Jan hätte sein Profil am 1. August 2010 angelegt.

Screenshot von Facebook
Screenshot Facebook

Der erste nicht zurückdatierte Beitrag stammt jedoch vom 16. Juni dieses Jahres – womöglich jener Tag, an dem das Profil tatsächlich angelegt wurde. Am 21. Juli veröffentlichte er auch ein Foto, das vermutlich ihn selbst zeigt. Auch ein Twitter-Profil, von dem mehrere Nachrichten gesendet wurden, soll es geben.

Aus den anderen Postings geht etwa hervor, dass die Familie vor ihrem Umzug in drei anderen niederländischen Kleinstädten gelebt habe und er für den Pächter des Hofes arbeite. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem Facebook-Profil um einen Fake-Account handelt.

25-Jähriger berichtete über „Kellerleben“

Der 25-Jährige verließ Medienberichten zufolge am Montag den Hof und bat in einem nahe gelegen Lokal um Hilfe. Er erzählte dem Wirt von seinem „Kellerleben“, dem er nun ein Ende setzen wollte. „Er sagte, dass er weggelaufen war und Hilfe brauchte“, sagte der Wirt. Der junge Mann habe gesagt, dass er neun Jahre lang nicht draußen gewesen sei.

Auch in die Schule sei er nie gegangen. Er hatte langes Haar, einen schmutzigen Bart, trug altes Gewand und sei völlig verwirrt gewesen, sagte der Lokalbesitzer gegenüber RTV Drenthe. Der Wirt alarmierte daraufhin die Polizei.

Die Polizei war daraufhin zu dem Bauernhof gefahren und entdeckte – so wurde zuvor berichtet – eine Stiege zum Keller, die hinter einem Wandschrank im Wohnzimmer versteckt war. Dort „lebten“ ersten Angaben zufolge sechs Personen, berichtete der öffentlich-rechtliche niederländische Rundfunk NOS. Zunächst hieß es laut NOS auch, dass die Kinder nicht einmal gewusst hätten, dass andere Menschen existieren.

Nachbarn: Nie Kinder gesehen

Niederländische Medien berichteten, dass der Wiener im nahe gelegenen Ort als Handwerker bekannt war. Vor allem für seine Tischlerarbeiten habe man den Mann geschätzt. Er galt als überaus fleißig und freundlich, aber unnahbar. Einem Nachbarn zufolge habe der 58-Jährige alle Fenster und Türen der Farm vernagelt.

Kinder habe man auf dem Grundstück nie gesehen. Auch die Eigentümer des Bauernhofs seien davon ausgegangen, dass es sich bei dem Mieter lediglich um einen alleinstehenden Mann handle. Rund um das Haus sollen zudem Kameras aufgestellt gewesen sein, so die Anrainer gegenüber dem „Telegraaf“.

Niemand aus der Nachbarschaft habe Kontakt mit ihm gehabt. Der Hof liegt versteckt hinter Bäumen und etwa 200 Meter vom Rande des Dorfes entfernt. Dazu gehören nach Aussagen von Reportern ein großer Gemüsegarten und eine Ziege. Möglicherweise habe sich die Familie jahrelang selbst versorgt.