US-Präsident Donald Trump
Reuters/Jonathan Ernst
Nordsyrien

Ton zwischen USA und Türkei wird rauer

Im Konflikt um die türkische Militäroffensive in Nordsyrien wird der Ton zwischen Washington und Ankara rauer. Am Donnerstag ist ein Treffen zwischen US-Vizepräsident Mike Pence und dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan geplant – sollte es kein Erfolg werden, hätte das „verheerende Konsequenzen“ für die Türkei, drohte US-Präsident Donald Trump. Die Türkei kündigte ihrerseits Vergeltungsmaßnahmen gegen die USA an.

Hintergrund der Vergeltungsmaßnahmen sind wirtschaftliche Sanktionen der USA gegen die Türkei und türkische Minister. Mit ihnen wollte Trump seiner Forderung nach einer sofortigen Feuerpause Nachdruck verleihen. Die Chancen, damit in Ankara durchzukommen, sind aber gering. Bereits in der Nacht auf Mittwoch hatte Erdogan erklärt, ein Waffenstillstand komme nicht infrage, bis das Ziel seines Landes – die Einrichtung einer „Sicherheitszone“ entlang der syrisch-türkischen Grenze und die Vertreibung der Kurdenmilizen aus diesen Gebieten – nicht erreicht sei.

Zudem schloss Erdogan Verhandlungen mit den kurdischen Militärs dezidiert aus. Es gebe Anführer, die vermitteln wollten, aber die Türkei setze sich nicht mit „Terroristen“ an einen Tisch, sagte er. Für die Flut an Tweets, die Trump regelmäßig absetzt, hat der türkische Präsident nur Spott übrig: „Wir haben bisher die Äußerungen von Trump auf Twitter gelesen, doch wir sind an den Punkt gelangt, dass wir diese Tweets nicht mehr verfolgen können“, man werde Trumps Tweets künftig ignorieren.

Syrische Kämpfer
APA/AFP/Bakr Alkasem
Mit der Türkei verbündete Milizionäre in Nordsyrien: Ankara will die Militäroffensive ungeachtet der US-Drohungen fortsetzen

Mit der Vermittlungsmission von Pence und US-Außenminister Mike Pompeo will die US-Regierung derweil Druck von Trump nehmen. Dessen Entscheidung, US-Truppen aus Syrien abzuziehen, sorgte auch in Trumps eigener Partei für scharfe Kritik. Sollte das Treffen zwischen Pence, Pompeo und Erdogan in Ankara nicht gut verlaufen, werde er Sanktionen verhängen, die „vernichtend für die türkische Wirtschaft“ seien, drohte Trump am Mittwoch.

„Strategisch brillant“: Trump verteidigt Truppenabzug

Trump verteidigte am Mittwoch neuerlich den Abzug des US-Militärs aus Syrien. „Ich werde nicht potenziell Tausende und Zehntausende amerikanische Soldaten verlieren, die in einem Krieg zwischen der Türkei und Syrien kämpfen“, sagte er. Mit Blick auf die Türkei fügte er hinzu: „Sollen wir ein NATO-Mitglied bekämpfen, damit Syrien, das nicht unser Freund ist, sein Land behält? Ich denke nicht.“

Seinen Syrien-Kurs bezeichnete Trump „strategisch brillant“. Die US-Soldaten seien durch ihren Abzug aus Nordsyrien nun „total sicher“, sagte Trump. Die bisher mit den USA verbündeten kurdischen Kämpfer würden nun von Syrien geschützt – „das ist gut“, unterstrich der US-Präsident.

Zudem erklärte Trump die verbotene und von der EU als terroristische Vereinigung eingestufte Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu einer größeren Bedrohung als die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). „Die PKK, die – wie Sie wissen – Teil der Kurden ist, ist vermutlich in vielerlei Hinsicht schlimmer beim Terror und eine größere terroristische Gefahr als der IS“, sagte Trump am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mit dem italienischen Präsidenten Sergio Mattarella im Weißen Haus. Selbst der IS „respektiere“ PKK-Kämpfer. „Wissen Sie, warum? Weil sie ebenso hart oder härter als der IS sind.“

„Seien Sie kein Narr!“

Trump rief Erdogan bereits in der vergangenen Woche in einem eigenwilligen Brief zu einer friedlichen Lösung im Nordsyrien-Konflikt auf. Der US-Sender Fox News veröffentlichte am Mittwoch (Ortszeit) eine Kopie des Schreibens, das auch andere US-Medien für echt erklärten. Datiert ist der Brief auf den 9. Oktober – also jenen Tag, an dem die Türkei mit ihrer Militäroffensive begann.

Trump ermahnte Erdogan darin, er wolle sicher nicht für den Tod Tausender Menschen verantwortlich sein. Andernfalls werde die US-Regierung die türkische Wirtschaft zerstören. Die kurdische Seite sei zu Verhandlungen bereit, schrieb Trump weiter. „Sie können ein großartiges Abkommen schließen.“ Erdogan könne auf positive Weise in die Geschichte eingehen, wenn er in dem Konflikt richtig und menschlich handele. Andernfalls werde er als Teufel in die Geschichte eingehen. „Seien Sie kein harter Kerl. Seien Sie kein Narr!“, appellierte er an seinen türkischen Amtskollegen. Der Brief endet mit den Worten: „Ich werde Sie später anrufen.“

SDF setzt Kampf gegen Terrormiliz IS aus

Der UNO-Sicherheitsrat warnte indes vor der „Ausbreitung“ dschihadistischer Gefangener in der Region. Wie es in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung hieß, äußerten die Mitglieder des Sicherheitsrats „große Besorgnis über das Risiko der Ausbreitung von Terroristen“, unter ihnen IS-Kämpfer. Ein Ende des türkischen Militäreinsatzes forderte das UNO-Gremium jedoch nicht.

Grafik zeigt Karte Syriens
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Mittwochnacht gaben die kurdischen Milizen bekannt, den Kampf gegen den IS wegen der türkischen Militäroffensive vollständig auszusetzen. „Wir haben all unsere Aktivitäten gegen den IS eingefroren“, sagte Maslum Abdi, Chef des Rebellenbündnisses SDF, in dem sich kurdische Kämpfer mit arabischen Milizen zusammengeschlossen haben, am Mittwoch dem kurdischen Fernsehsender Ronahi.

Die USA schlossen unterdessen das türkische Militär wegen der Invasion weitgehend aus der internationalen Koalition gegen den IS aus. Die Türkei erhalte im Hauptquartier auf dem Luftwaffenstützpunkt im katarischen al-Udeid keinerlei Aufklärungs- oder Operationsdaten der Allianz, berichtete der „Spiegel“ (Onlineausgabe). Das US-Verteidigungsministerium habe das bereits am 9. Oktober angeordnet, als das türkische Militär die ersten Luftangriffe im Norden Syriens flog und kurdische Stellungen mit Artillerie beschoss.

Treffen zwischen Putin und Erdogan

Russland mahnte indes die Türkei, die Offensive dürfe den politischen Prozess in Syrien nicht beschädigen. Die Regierung in Ankara müsse das Gebot der Verhältnismäßigkeit beachten. Zugleich sagte der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow allerdings auch, Russland respektiere das Recht der Türkei zur Selbstverteidigung. Russland hält seine schützende Hand über den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und leistet ihm Militärhilfe gegen die Aufständischen.

Für kommenden Dienstag hat Putin den türkischen Präsidenten zu einem Treffen nach Sotschi eingeladen. Beide wollten Kreml-Angaben zufolge in einem persönlichen Gespräch klären, wie eine direkte Konfrontation zwischen türkischen und syrischen Truppen im Norden des Kriegslandes verhindert werden könnten.

Syrische und russische Streitkräfte in Kobane eingetroffen

Unterdessen trafen am Mittwoch Streitkräfte der syrischen Armee und russische Truppen in der strategisch wichtigen Grenzstadt Kobane ein, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien mitteilte. Die syrischen Kurden hatten nach dem Beginn der türkischen Militäroffensive keinen anderen Ausweg gesehen, als Syriens Machthaber Assad zu Hilfe zu rufen und eine Vereinbarung mit den beiden Konfliktparteien zu schließen.

Kobane ist eine symbolträchtige Stadt für die syrischen Kurden, deren Streitkräfte die Stadt 2015 in einem erbitterten Kampf gegen die IS-Miliz mit Unterstützung von US-Truppen zurückerobert hatten. Seitdem steht Kobane unter der Kontrolle der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die die Türkei wiederum wegen ihrer Nähe zur PKK als „Terrororganisation“ einstuft.