VP-Chef Sebastian Kurz und Bundessprecher der Grünen Werner Kogler
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ÖVP-Grüne-Gespräche

Sondieren bis zum „grünen Zweig“

Neun Tage: So lange hat es nach der Nationalratswahl 2017 gedauert, bis ÖVP-Chef Sebastian Kurz die FPÖ zu Koalitionsverhandlungen eingeladen hat. Zwei Jahre später geht es sichtlich langsamer. Das hat „polittaktische Gründe“, erklärte Politikberater Thomas Hofer. Personell müsse man sich aufstellen, inhaltlich auf den „grünen Zweig“ kommen.

Am Freitag beginnt die zweite Sondierungsrunde zwischen ÖVP und Grüne. Eine Koalition zwischen den beiden Wahlgewinnern wird in den Medien derzeit am öftesten ventiliert. Nach der ersten Runde gab sich ÖVP-Parteichef Kurz wortkarg, Grünen-Bundessprecher Werner Kogler sprach sich für „ernsthafte Sondierungen“ aus, von einer „Verhandlung“ wollte aber auch er nichts wissen. Dass es aber diesmal mehr als nur um die „Atmosphäre nach der Wahl“ geht, gilt als sicher.

„Ich gehe davon aus, dass ernsthaft verhandelt wird“, so Politikberater Hofer im Gespräch mit ORF.at. Ob von den Ergebnissen etwas nach außen dringt, bezweifelte der Experte allerdings. „Es darf auch niemand glauben, dass die Verhandlungen einfach werden. Niemand will sich in die Karten schauen lassen“, sagte Hofer. Inhaltliche Fallstricke sah er allen voran in der Sozialpolitik. „Von der neuen Sozialhilfe, also die frühere Mindestsicherung, wird die ÖVP nicht abrücken.“

Sozialpolitik als Zankapfel

Tatsächlich übten die Grünen scharfe Kritik an der Sozialhilfe, die die Mindestsicherung ersetzte. „Dieses Gesetz befördert Armut, vor allem Kinderarmut. Bis zu 80 Prozent weniger gibt es dann für Kinder, bis zu 35 Prozent für alleinstehende Erwachsene“, sagte etwa Kogler im April dieses Jahres. Auch im Wahlkampf warf der Grünen-Bundessprecher dem ÖVP-Chef eine steigende Kinderarmut mit der Reform vor. Für die damalige ÖVP-FPÖ-Regierung war die neue Sozialhilfe aber eine Art Leuchtturmprojekt unter dem Mantra „neue Gerechtigkeit“.

Brisant ist, dass das Mindestsicherungsgesetz Gegenstand einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) ist. Falls Teile der Reform gekippt werden, müsste eine mögliche ÖVP-Grünen-Koalition das Gesetz wohl neu verhandeln. Das alles ist freilich Zukunftsmusik, kann aber bei Sondierungsgesprächen – um beim Wording der Parteien zu bleiben – schon mal Thema werden. Asyl- und Arbeitspolitik sowie Bildung und Umwelt sind noch andere Felder, in denen ÖVP und Grüne unterschiedliche Positionen vertreten.

ÖVP wird Grünen „Klimapolitik umhängen“

Für Politikberater Hofer ist klar, dass Kurz versuchen wird, den Grünen „die Klimapolitik umzuhängen“, denn deshalb sei die Partei schließlich gewählt worden. Laut der SORA-Wahltagsbefragung entschieden sich Wähler und Wählerinnen für die Grünen wegen ihrer inhaltlichen Standpunkte. Dazu könne man freilich alles zählen. Jedoch diskutierten im Wahlkampf 81 Prozent der Grün-Wähler „sehr häufig“ über Umwelt- und Klimaschutz, gefolgt von der „Käuflichkeit der Politik“. In der ÖVP-Wählerschaft stand „Pflege und Gesundheit“ an erster Stelle.

Mitglieder der Sondierungsteams von ÖVP und Grünen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

„Ausgehend davon werden sich die Sondierer fragen: Von welchen Positionen darf ich abrücken? Wo darf ich Zugeständnisse machen?“, sagte Hofer, der aber nicht davon ausgeht, dass Kurz „mit seinen 37,5 Prozent große Zugeständnisse machen will“. Und die Grünen, argumentierte der Politikberater, werden ihre „Poleposition“ nicht so schnell aufgeben wollen. „Sie haben ein sensationelles Comeback hingelegt und werden versuchen, ihre Standpunkte klarzumachen.“

Dass die Sondierungen bereits länger dauern als 2017 will Hofer nicht überbewerten. Die strategischen Überlegungen seien damals andere gewesen als heute. „2017 war nach der Wahl klar, dass die ÖVP die FPÖ einladen wird, alles sprach dafür. Heute spielen neben den inhaltlichen Differenzen auch noch der organisatorische Wiederaufbau der Grünen und die Wahl in der Steiermark (24. November, Anm.) eine Rolle“, sagte der Politexperte. Eine Koalition mit den Grünen im Bunde könne der steirischen ÖVP einige Stimmen kosten, die zur FPÖ abwandern.

Emotion und öffentlicher Druck

Bis eine Regierung steht wird, kann es nach Ansicht des Experten also noch dauern. Vor zwei Jahren vergingen zwischen der Wahl am 15. Oktober und der Angelobung am 18. Dezember insgesamt 64 Tage. Das ist etwas mehr als bei allen 22 Regierungsbildungen der Zweiten Republik – wo der Durchschnitt rund 60,7 Tage beträgt. Nach dieser Rechnung würde die nächste Bundesregierung am 29. November angelobt. Die Zeit spiele aber nicht nur der ÖVP in die Hände, sondern auch den Grünen, sagte Hofer.

ZIB2-Gespräch mit Werner Kogler (Grüne)

Grünen-Chef Werner Kogler zeigt sich am Mittwochabend in der ZIB2 weiter eher zurückhaltend, was die Sondierungsgespräche mit der ÖVP angeht.

Die Grünen müssen sich wieder „sortieren“, wie Hofer betonte. „Die Strukturen sind noch vorhanden, aber wie sieht es mit dem Personal aus?“, fragte der Politikexperte. Kogler werde sich bestimmt die Zeit nehmen, die er und die wieder in den Nationalrat eingezogene Partei benötigen. Unter Druck könnten die Sondierungsgespräche, die am Schluss in konkreten Koalitionsverhandlungen münden sollten, geraten, wenn es der Öffentlichkeit „einfach zu viel“ wird. „Dann wird jeder Tag gezählt und jedes Wort auf die Waagschale gelegt.“

SPÖ lehnt weitere Sondierungsgespräche ab

ÖVP-Chef Kurz prophezeite am Donnerstag aber schon lang dauernde Sondierungen. Die SPÖ, mit der Kurz am Mittwoch sprach, lehnt diese mittlerweile ab. „Für uns ist mit dem heutigen Gespräch Schluss mit den Sondierungen“, sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Für Scheinverhandlungen oder Verzögerungstaktik stehe die SPÖ nicht zur Verfügung. SPÖ und ÖVP kennen einander, sowohl persönlich als auch inhaltlich. Rendi-Wagner: Es wäre an der Zeit, in Regierungsverhandlungen einzutreten, wenn das gewünscht sei.

Kurz hingegen will zunächst mit den Grünen und NEOS sprechen. Das werde auch länger dauern als mit der SPÖ, erklärte er. Grüne und NEOS (Termin am Donnerstag, Anm.) seien bisher noch nicht mit der ÖVP in der Regierung gewesen, dazu kenne man sich auch persönlich nicht so gut: „Das wird länger dauern.“