Britische und EU-Fahne
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Ball liegt nun bei London

EU-Staaten billigen neuen Brexit-Deal

Die 27 EU-Staaten haben auf ihrem Gipfel in Brüssel den neuen Brexit-Vertrag gebilligt. Das teilte ein Vertreter der EU am Donnerstag mit. Die EU-Staats- und Regierungschefs sagten zudem ihre Unterstützung für ein pünktliches Inkrafttreten zum 1. November zu. Nun bleibt noch unklar, ob Johnson im britischen Unterhaus eine Mehrheit für die Vereinbarung bekommt.

Das britische Parlament muss am Samstag über den Vertrag abstimmen. Johnson hat dort mit seinen Konservativen keine eigene Mehrheit. In Brüssel rief er daher das britische Unterhaus dazu auf, das Abkommen zu akzeptieren. „Meine Abgeordnetenkollegen wissen, dass wir den Brexit nun über die Ziellinie bringen und ohne weitere Verzögerung liefern müssen.“

Laut Johnson kann man mit dem Deal „einen echten Brexit“ liefern. Dieses erlaube eine Teilnahme Irlands und sorge dafür, dass Großbritannien geeint über Gesetze, Grenzen und das Budget entscheiden könne. Jetzt sei der Moment, um „den Brexit zu erledigen“, sagte Johnson bei einem gemeinsamen Auftritt mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Großbritannien würde ein „wesentlicher Freund, Nachbar und Unterstützer der EU bleiben“. Johnson will sein Land am 31. Oktober aus der Europäischen Union führen.

„Wir haben einen Deal. Und dieser Deal bedeutet, dass es keinen Grund für eine weitere Verlängerung gibt“, sagte auch der scheidende EU-Kommissionspräsident Juncker. Bei dem Deal handle es sich um ein „faires, ausgewogenes Abkommen“, das eine Grenze zu Nordirland verhindere und den EU-Binnenmarkt schütze. Juncker betonte zudem, dass man schon ab dem 3. November – also unmittelbar nach dem Brexit mit Großbritannien – über die weitere Zukunft verhandeln wolle.

Nordirische DUP rüstet zum Widerstand

Der Samstag wird nun zum Entscheidungstag für Großbritannien und Johnson – denn das Parlament wird in der ersten Samstag-Sondersitzung seit 37 Jahren über den neuen Brexit-Deal abstimmen. Wie das Votum ausgeht, ist vorerst vollkommen offen. Allerdings formiert sich bereits Widerstand. So kündigte die nordirische Partei DUP bereits an, den Deal nicht unterstützen zu wollen. Der neue Vorschlag behandle Nordirland anders als den Rest Großbritanniens. Das würde die Langzeitinteressen Nordirlands und die Einheit Großbritanniens bedrohen, teilte die Partei mit.

Auch die linksliberale schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon sagte, ihre SNP werde nicht für das von Johnson ausgehandelte Abkommen stimmen. Beides schwere Schläge für Johnson, der den Vertrag noch durchs britische Unterhaus bringen muss und dort keine Mehrheit hat.

Labour fordert erneut zweites Referendum

Auch die größte Oppositionspartei winkte in Sachen Unterstützung bereits ab: Labour-Chef Jeremy Corbyn kritisierte kurz nach Bekanntwerden das Abkommen. Johnson habe einen noch schlechteren Deal ausgehandelt als seine Vorgängerin Theresa May. Deren Verhandlungsergebnis sei klar abgelehnt worden.

Weitere mögliche Szenarien bei Vorbereitung des geplanten EU-Austritts Großbritanniens (Pfeil-Grafik)
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Das Parlament solle das Abkommen, das Johnson mit der EU ausgehandelt hat, zurückweisen. Es gefährde unter anderem die Sicherheit von Lebensmitteln, den Umweltschutz und die Rechte von Arbeitnehmern. Corbyn sprach von einem „Ausverkauf“. Das neue Abkommen könne Großbritannien nicht vereinen. Erneut forderte er ein zweites Brexit-Referendum. Der Chef der Brexit-Partei, Nigel Farage, rief dazu auf, Johnsons Abkommen abzulehnen. Der Deal bedeute keinen echten Austritt Großbritanniens aus der EU, sagte Farage.

EU-Chefunterhändler Michel Barnier
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Barnier erklärt in einer Pressekonferenz die Details des neuen Abkommens

Seitens der EU rief man das Unterhaus jedoch zur Ratifizierung des Abkommens auf. „Wir haben einen Deal, der uns erlaubt, Chaos und eine konfliktgeladene Atmosphäre mit Großbritannien zu vermeiden“, sagte Tusk nach der Ratifizierung. „Es schaut so aus, als ob wir nahe an den letzten Metern sind“, sagte Tusk.

Der wichtigste Bestandteil des neuen Abkommens sei, dass Johnson Zollkontrollen akzeptiert habe. Auch die Unterstützung Irlands und die positive Beurteilung der EU-Kommission seien entscheidend gewesen. Tusk sagte, nun müssten die Abstimmungen der Parlamente abgewartet werden, damit der Deal in Kraft treten könne.

Vier entscheidende Punkte

Juncker und EU-Brexit-Chefverhandler Michel Barnier hatten am Donnerstag die Einigung jeweils mit den Worten „Wo ein Wille ist, ist auch ein Deal“ präsentiert. Nach Barniers Worten umfasst die Einigung nun vier Punkte: Nordirland hält sich weiter an bestimmte EU-Warenstandards; Nordirland bleibt sowohl in einer speziellen Zollpartnerschaft mit der EU als auch in der Zollunion des Vereinigten Königreichs; es gibt eine Vereinbarung über die Mehrwertsteuer, um Marktverzerrungen zu vermeiden; und die nordirische Volksvertretung kann vier Jahre nach Inkrafttreten der Vereinbarung einmal mit einfacher Mehrheit darüber abstimmen, ob sie weiter gelten solle. Die jetzige Vereinbarung sei keine Übergangslösung, sondern würde dann auf Dauer gelten.

Juncker sprach von einer fairen und ausbalancierten Vereinbarung sowohl für die EU als auch für Großbritannien: „Es steht für unseren Einsatz, Lösungen zu finden.“ Er empfehle dem bevorstehenden EU-Gipfel, das Abkommen anzunehmen. Johnson sprach von einem „großartigen neuen Deal“. Mit dem neuen Vertrag gewinne Großbritannien die Kontrolle über den Prozess zurück. Dann könne sich Großbritannien „anderen Prioritäten“ widmen.

Lob von Irlands Premier

Lob für den Deal kam auch vom irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar. „Wir haben eine einzigartige Lösung für Nordirland gefunden, die der einzigartigen Geschichte und Geografie Rechnung trägt“, schrieb er auf Twitter. Die Lösung sei gut für die Republik Irland und auch für das britische Nordirland. Es werde keine harte Grenze zwischen beiden Teilen der Insel geben. Der gemeinsame Wirtschaftsraum bleibe erhalten und der EU-Binnenmarkt geschützt. Die designierte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zeigte sich ebenfalls „froh und erleichtert“.

Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein begrüßte das Abkommen ebenfalls. Es sei gelungen, eine Lösung zu finden, die einen harten Brexit vermeide – zumindest soweit man das bisher beurteilen könne. Inhaltlich verlässt sich Bierlein vor allem auf die genaue Prüfung des Deals durch Fachleute. Der Text liege schließlich erst seit Kurzem vor. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron begrüßten das Abkommen als „gute Nachricht“. Laut Merkel ist es nun die „freie Entscheidung des britischen Parlaments“, ob es dem Deal mit der EU zustimme.

Die Abstimmung im britischen Parlament am Samstag ist zwischen 10.30 und 15.00 Uhr MESZ angesetzt. Die britischen Abgeordneten fixierten das Votum noch am Donnerstag. Auch das Europäische Parlament muss noch zustimmen.