Das Haus in Ruinerwold in den Niederlanden
Reuters/Eva Plevier
Isolierte Familie

Nun bettlägriger Vater im Ermittlungsfokus

Nach der Festnahme des Vaters der isolierten Familie auf einem Bauernhof in den Niederlanden konzentrieren sich die Ermittlungen nun auf das Motiv. Der Mann sei ansprechbar, auch mit den Kindern könne man kommunizieren, sagte ein Sprecher der Polizei am Freitag in der ostniederländischen Provinz Drenthe.

Der 67-jährige Vater war am Donnerstagabend festgenommen worden. Er wird ebenso wie der 58 Jahre alte Österreicher Josef B. der Freiheitsberaubung und weiterer Delikte wie Misshandlung und Geldwäsche verdächtigt, so die Polizei.

B. hatte den Hof in Ruinerwold gemietet, aber wohnte wahrscheinlich nicht dort. Die Kinder hätten heftig auf die Festnahme des Vaters reagiert, sagte die stellvertretende Polizeichefin in Drenthe, Janny Knol, im niederländischen Fernsehen. Die Polizei und auch Psychologen würden mit ihnen reden. „Dass sie nicht unbedingt dasselbe Verhalten zeigten wie wir, ist deutlich.“

Medien: Über religiöse Gruppe kennengelernt

Neun Jahre lang hätten sie in einem abschließbaren, isolierten Raum mit mehreren Kammern gehaust, sagte sie. Nur ab und zu seien sie im Garten gewesen, aber sie hätten das Gelände nie verlassen. Die heute 18- bis 25-jährigen Kinder hatten nach Polizeiinformationen nie eine Schule besucht, doch sie können lesen und schreiben und würden alle Niederländisch sprechen. Laut Medienberichten kannte B. die Familie jahrelang: Sie sollen einander über eine religiöse Gruppe kennen, wohnten früher nebeneinander und betrieben gemeinsame Geschäfte.

Luftansicht des Grundstücks in Ruinerwold in den Niederlanden
APA/AFP/Wilbert Bijzitter
Der Bauernhof, in dem die Familie lebte

Es könnte auch noch drei Töchter geben

Möglicherweise hatte die Familie noch mehr als die nun aufgetauchten Kinder: Bisher ging man von sechs Kindern im Alter von mittlerweile 18 bis 25 Jahren und dem bettlägrigen Vater aus. Doch der Lokalsender RTV Drenthe und die Zeitung „De Strentor“ berichteten unter Berufung auf ehemalige Nachbarn, dass es noch drei ältere Töchter geben soll. Sie sollen älter als 25 Jahre sein, ihr Aufenthaltsort sei unbekannt.

Die Familie habe früher in der Stadt Hasselt gewohnt. B. sei eine Zeit lang ihr Nachbar gewesen, und es habe sogar eine Tür im Zaun zwischen den Gärten gegeben. Die Kinder hätten zwar im Garten gespielt, ansonsten habe die Familie aber sehr zurückgezogen gelebt.

Wie die Personen zusammenhängen könnten

Einiges spricht dafür, dass B. und die Familie nicht zufällig Nachbarn wurden. Der Bruder des Oberösterreichers, Franz B., sagte der „Kronen Zeitung“, dass B. seine eigenen Kinder – er habe mittlerweile erwachsene Zwillingstöchter – monatelang bei „Freunden“ in den Niederlanden gelassen habe. Möglicherweise handelte es sich um die nun aufgetauchte Familie. Der Bruder bestätigte auch, dass B. in seiner Jugend einer „Sekte“ angehört habe. Über diese soll er Anfang der 90er Jahre die Familie kennengelernt haben. Von regelmäßigen Besuchen ist die Rede.

Eine Karte zeigt den Bauernhof der isolierten niederländischen Familie und den Ort Ruinerwold
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

2004 sei dann die Mutter der Familie gestorben, berichteten Nachbarn. Diese Informationen decken sich auch mit einem Posting des ältesten Sohnes der Familie. Dieser hatte in einem seiner seit dem Frühsommer eingerichteten Social-Media-Accounts auch geschrieben, dass seine „Ma“ in diesem Jahr gestorben sei. Der Sohn hatte mit seinem mehrmaligen Auftauchen in einem Wirtshaus nahe dem Bauernhof den Fall der isoliert auf einem Bauernhof lebenden Familie ins Rollen gebracht.

Holzspielzeug und Tischlerarbeiten

2004 eröffnete dann der Vater der Familie, laut Medien ein ausgebildeter Psychologe, einen Spielwaren- und Holzhandel im Städtchen Zwartsluis. 2005 wiederum meldete der gelernte Tischler B. ein Gewerbe als Möbelhersteller an. Er verlegte auch Holzböden, Schiffsverkleidungen, verkaufte Holzspielzeug, Pellets und Kleinmöbel auf Märkten. Die beiden arbeiteten also zusammen.

Spätestens 2008 wurde das Geschäft geschlossen, Nachbarn sprechen davon, dass es bereits seit 2006 leer stehe und schon lange zum Verkauf angeboten werde. Die Polizei durchsuchte das Gebäude am Mittwoch, das bis zuletzt von B. gemietet worden war. Er ging auch bis zuletzt seiner Tätigkeit als Tischler nach.

Kontakte zu Familie in Österreich abgebrochen

2009 brach B. alle seine Kontakte zu seiner österreichischen Familie ab. Zuvor hatte er zumindest zeitweise in einem Haus in Pabneukirchen in Oberösterreich gewohnt, das er dann verkaufte, als er ganz in die Niederlande zog. Die Angaben darüber, wann das passierte, variieren je nach Quelle zwischen 2009 und 2010. Danach sei er weder zu den Begräbnissen seiner Eltern angereist noch habe er zu seiner geschiedenen Frau und den Töchtern Kontakt gehabt, sagte der Bruder der „Krone“. Das Landeskriminalamt (LKA) Oberösterreich ermittelt indes auf Ersuchen des Außenministeriums weitere Informationen zum Verdächtigen.

Unklarheit über Verbindung zu Sekte

Während die Ereignisse bis etwa 2009 zumindest vage rekonstruierbar sind, liegen die Ereignisse danach noch völlig im Dunkeln. Laut den Postings des Sohnes wohnte die Familie nach Hasselt auch in Zwartsluis und Meppel, ehe sie 2010 auf den Bauernhof in Ruinenwold zog, auf dem sie nun entdeckt wurde. Unklar ist nach wie vor, ob B. die Familie tatsächlich eingeschlossen hat oder sie mehr oder weniger freiwillig in völliger Isolation lebte.

Auch die religiöse Komponente ist noch nicht geklärt. Franz B. hatte angedeutet, dass sein Bruder Josef die „Sekte“ verlassen habe. RTV Drenthe berichtete aber am Donnerstag, die Familie habe zur Vereinigungskirche gehört, die früher unter dem Namen „Moon-Sekte“ bekannt war.

Neffe: Aus Kirche ausgeschlossen

Die Vereinigungskirche genießt in Österreich seit 2015 den Status einer eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft. Ein Sprecher hatte bereits am Mittwoch gesagt, dass B. weder hier noch in den Niederlanden als Mitglied bekannt sei. Ein Neffe des Familienvaters, der ebenfalls der Vereinigungskirche angehört, sagte der Zeitung „De Telegraaf“, der Familienzweig seines Onkels habe sich vor mehreren Jahrzehnten von der Kirche entfernt. Offenbar wurde er wegen abweichender Auslegungen des Glaubens ausgeschlossen. Seitdem gebe es keinerlei Kontakt mehr.

Aus der Zentrale der Vereinigungskirche in Amsterdam hieß es, der Familienvater sei in den 80er Jahren Mitglied gewesen, sei es aber mittlerweile nicht mehr. Ein Sprecher der Kirche sagte, ältere Angehörige der Glaubensgemeinschaft hätten erzählt, der Mann habe mit seiner Familie eine „eigene Gruppe“ gegründet.

Die Vereinigungskirche in Österreich bestätigte in einer Aussendung am Freitag, dass der Vater der Kinder Mitte der 1980er Jahre kurz Mitglied der Bewegung war und dass er an psychischen Problemen litt. Im Jahr 1987 sei er „aus unserer Organisation" ausgetreten, hieß es weiter. Sein Bruder, ein langjähriges Mitglied der Vereinigungskirche, habe schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm, wie es in der Aussendung heißt. „Ich habe seit 1984 nichts mehr von meinem Bruder gehört“, zitierte die Aussendung der Vereinigungskirche den Mann. Außerdem bestätige man, dass Josef B. nicht mit der Vereinigungskirche verbunden und kein Mitglied sei, hieß es weiter.

Laut Medien Bargeld gefunden

RTV Drenthe berichtete, in dem Haus sei eine Menge Bargeld gefunden worden, und vermutete Zuwendungen von der religiösen Gemeinschaft, nachdem der Familienvater vor drei Jahren einen Hirnschlag erlitten habe.

Die Familie dürfte ihre Religion zudem weiter praktizieren: Nach ihrem Auffinden wurde sie von den Behörden abgeschirmt. Bei einem religiösen Zeremoniell verließen sie laut RTV Drenthe die Innenräume und wurden im Freien prompt fotografiert. Daher habe man die Familie verlegen müssen. Der älteste Sohn Jan sei von Anfang weg an einem anderen Ort untergebracht worden, berichtete der Sender.