Chefin der Grünen Regula Rytz reagiert auf das Wahlergebnis
APA/AFP/Fabrice Coffrini
Schweizer Parlamentswahl

Grüne Parteien als große Gewinner

Die Grünen und die Grünliberalen (GLP) gehen einer Hochrechnung zufolge als große Gewinner aus der Schweizer Parlamentswahl hervor. Herbe Verluste hatten hingegen die beiden größten Parteien – die nationalkonservative Volkspartei (SVP) und die Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) zu verbuchen.

Gemeinsam gewinnen die Grünen und GLP knapp neun Prozentpunkte bzw. 24 Sitze im Nationalrat dazu, wie von der vom Schweizer Fernsehen (SRF) veröffentlichten SRG-Hochrechnug von gsf.bern hervorgeht. Konkret kommen die Grünen auf 13 Prozent, die GLP erzielen 7,6 Prozent. Die SVP bleibt vier Jahre nach ihrem Rekordwahlsieg mit 25,6 Prozent stärkste Kraft, gefolgt von der SP mit 16,5 Prozent.

Die Liberalen (FDP) bleiben mit 15,5 Prozent drittstärkste Partei. Während auch die Christlichdemokratische Partei (CVP) ein leichtes Plus von 0,2 Prozentpunkten verbucht, verlieren die FDP 0,9, die SP 2,3 und die SVP 3,8 Prozentpunkte. Zugewinne oder Verluste von mehr als zwei Prozentpunkten sind in der stabilen Schweizer Politlandschaft selten.

Grafik zur Sitzverteilung im Schweizer Nationalrat
Grafik: ORF.at; Quelle: SRF

Klimadebatte löst Asylthema ab

Als „historisch“ bezeichnt SRF das Ergebnis der Grünen, die der Hochrechnung zufolge die CVP überholen. Erstmals seit Jahrzehnten wurde damit eine der vier Regierungsparteien von einer Oppositionskraft überholt. „Der Klimastreik wirkt nachhaltig – er ist im Parlament angekommen“, analysierte der SRF-Innenpolitikjournalist Michael Perricone die Hochrechnung. Das Ergebnis sei klar geprägt von der Klimadiskussion, sagte auch Lukas Golder vom Meinungsforschungsinstitut GFS Bern.

Wie in anderen europäischen Ländern fällt der vorhergesagte Erfolg der ökologisch orientierten Parteien mit der zurzeit intensiv geführten Klimadebatte zusammen. Die von der 16-jährigen Klimaaktivistin Greta Thunberg angeführte „Fridays for Future“-Bewegung machte immerhin auch vor den Eidgenossen nicht halt. Allein in der Hauptstadt Bern nahmen mehrere Zehntausende Ende September an der Klimademo teil. Auch in Umfragen sowie im Wahlkampf spielte die Klimadebatte eine wesentliche Rolle.

Bei der vergangenen Wahl 2015 war die Gemengelage noch eine andere – damals bestimmten die Themen Asyl und Zuwanderung den Wahlkampf – es kam zu einem Rechtsruck. Vor allem die SVP, die sich gegen die „Klimahysterie“ auflehnt und Slogans wie „Sollen Linke und Nette die Schweiz zerstören?“ plakatiert, profitierte davon stark.

„Zauberformel“ gerät ins Wanken

Bei Schweizer Parlamentswahlen sind große Verschiebungen selten, die Regierungszusammensetzung ist überhaupt seit sechs Jahrzehnten praktisch unverändert. Die Regierung ist auf Stabilität ausgerichtet und umfasst alle wichtigen Kräfte des Landes. SVP, SP, FDP und CVP teilen sich zurzeit die sieben Sitze im Bundesrat (Regierung). Die Stärke einer Partei wird im Bundesrat üblicherweise erst nach zwei Wahlen in Folge mit starkem Stimmenzuwachs angepasst.

Diese „Zauberformel“ dürfte durch den Wahlerfolg der Grünen ins Wanken geraten, insbesondere wenn diese mit der zweiten Grün-Partei an einem Strang ziehen sollten. Denn durch die großen Zugewinne haben die beiden Ökoparteien künftig ein Fünftel der Sitze im 200-köpfigen Nationalrat und können bei der Regierungsbildung wohl nur schwer umgangen werden. Eine Entscheidung darüber fällt jedoch erst im Dezember.

Konkret dürfte der zweite FDP-Bundesratssitz wackeln, jener des amtierenden Außenministers Ignazio Cassis aus dem Tessin. Grünen-Chefin Regula Rytz wollte sich in einer ersten Reaktion nicht zu einem Anspruch auf einen Bundesratssitz äußern, auch GLP-Chef Jürg Grossen ließ die Frage offen.

Niedrige Wahlbeteiligung erwartet

Wahlberechtigt waren gut fünf Millionen Schweizerinnen und Schweizer – doch lange nicht alle dürften von diesem Recht Gebrauch gemacht haben: Bei der vergangenen Nationalratswahl lag die Wahlbeteiligung nur bei 48 Prozent. Die Wahllokale schlossen bereits zu Mittag.

Neu zu besetzen waren bei der Wahl insgesamt 200 Mandate in der Großen Kammer, dem Nationalrat, und 46 im Ständerat. Während der Nationalrat nach dem Verhältniswahlrecht gewählt wird, sind in der kleineren Kammer alle Kantone ungeachtet ihrer Bevölkerungsstärke mit jeweils zwei Sitzen vertreten, die nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben werden. Gesetzesbeschlüsse erfordern eine Mehrheit in jeder der beiden Parlamentskammern.

Parlamentswahlen sind in der Schweiz von vergleichsweise geringer politischer Bedeutung, weil die Menschen über wesentliche Fragen an mehreren Abstimmungstagen im Jahr direkt entscheiden. 50.000 Menschen können mit ihren Unterschriften ein Referendum über ein Gesetz erzwingen. Die Volksvertretung hat somit bei den wichtigsten Fragen selten das letzte Wort.