Wahlparty der Schweizer Grünen
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Schweiz

„Fast ein Erdrutschsieg“ für Grüne

Die weltweit spürbare Angst vor der Erderwärmung hat den Schweizer Grünen bei der Parlamentswahl ein Rekordergebnis beschert: Sie konnten 17 Sitze im Nationalrat dazugewinnen – eine Verschiebung, wie es sie nach Angaben des Fernsehsenders SRF seit Jahrzehnten nicht mehr gab.

Der Stimmenanteil der Grünen stieg laut offiziellem Ergebnis um sechs Prozentpunkte auf etwa 13 Prozent. Die Grünen überholten damit nach Stimmen und Sitzen mit der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) eine der vier Regierungsparteien und wurden zur viertstärksten Partei. „Eine grüne Welle überrollt die Schweiz“, sagte der SRF über die auch von vielen anderen Schweizer Medien als „historisch“ bezeichnete Wahl. Dennoch dürfte sich der grüne Wahlsieg bis auf Weiteres nicht in der Regierung niederschlagen.

Alle vier Regierungsparteien verloren Sitze im Nationalrat, allen voran die rechtskonservative Schweizer Volkspartei (SVP). Sie bleibt zwar stärkste Partei mit rund 25 Prozent, wird aber zwölf Sitze verlieren. Die liberale FDP im rechten Parteienspektrum und die Sozialdemokraten (SP) büßten je vier Sitze ein, die christliche Mittepartei CVP drei.

Albert Rosti (SVP),  Petra Goessi (FDP), Regula Rytz (grüne), Gerhard Pfister (CVP) und Christian Levrat (SP)
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Runde der Spitzenkandidaten und -kandidatinnen (v. l. n. r.): Albert Rösti (SVP), Petra Goessi (FDP), Regula Rytz (Grüne), Gerhard Pfister (CVP) und Christian Levrat (SP)

„Völlig überwältigt“

„Ich bin völlig überwältigt“, sagte Grünen-Chefin Regula Rytz im Fernsehen, „eine unglaubliche Verschiebung, fast ein Erdrutschsieg.“ Diese Verschiebung müsse über kurz oder lang auch in der Regierung abgebildet werden. Sie hielt sich aber mit der Forderung nach einem Sitz im Bundesrat, der siebenköpfigen Regierung, zurück. Es ist Usus, dass die von beiden Parlamentskammern gewählten Bundesräte selbst entscheiden, wann sie zurücktreten. Zurzeit sind SVP, FDP und SP mit je zwei, die CVP mit einem Bundesrat vertreten.

„Wir haben im Parlament jetzt eine Mitte-links-Mehrheit, das muss mir einer erklären, warum wir dann in der Regierung eine rechte Mehrheit aus SVP und FDP haben“, sagte der SP-Vorsitzende Christian Levrat.

SVP sieht „klaren Wählerauftrag“

Die Vertreter von SVP, FDP und CVP wollen die Wahl nicht als Misstrauensvotum verstanden wissen. „Wir sind zum sechsten Mal in Folge die stärkste Partei, das ist ein klarer Wählerauftrag“, sagte SVP-Chef Albert Rösti. FDP-Chefin Petra Gössi meinte, die große Stärke der Schweiz seien Kontinuität und Stabilität.

Es ist üblich, dass sich ein starker Wählerzuwachs nicht gleich nach nur einer Wahl in der Regierung niederschlägt. So war es bei der SVP: Sie bekam 2003 einen zweiten Sitz in der Regierung, nachdem sie ihren Wähleranteil bei zwei Wahlen auf 26,7 Prozent fast verdoppelt hatte. Im Bundesrat sind seit 60 Jahren praktisch dieselben vier wählerstärksten Parteien vertreten. Die sieben Bundesräte teilen die Ministerien unter sich auf. Sie suchen über Parteigrenzen hinweg bei allen Politikgeschäften stets Kompromisse.

„Die ‚Zauberformel‘ gehört auf den Prüfstand“

Geht es nach der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“), gehöre die hinter der Zusammensetzung des Bundesrates stehende „Zauberformel“ nun sehr wohl auf den Prüfstand. Die „NZZ“ begründet das folgendermaßen: „Nicht nur, weil die Grünen so massiv zulegen. Auch die gleichzeitige Niederlage der beiden Polparteien SVP und SP ist einzigartig.“

Deutliches Plus auch für Grünliberale

Neben den Grünen waren auch die Grünliberalen (GLP), die Umweltschutz mit liberaler Wirtschaftspolitik verbinden, große Gewinner. Sie legten neun Sitze zu und kamen auf 16 Nationalratssitze. Beide grünen Parteien zusammen kämen auf 21 Prozent und würden zweitstärkste Kraft. Allerdings liegen sie außer beim Umweltschutz in ihren Positionen weit auseinander. Wahlberechtigt waren knapp 5,4 Millionen der 8,4 Millionen Einwohner. So wie bei früheren Wahlen gaben laut Medienberichten auch diesmal weniger als 50 Prozent ihre Stimme ab.