Parlamentspräsiden John Bercow im House of Commons in London
AP/House of Commons
Weitere Johnson-Schlappe

Kein Votum über Brexit-Deal am Montag

Das britische Unterhaus wird an diesem Montag nicht über das von Premierminister Boris Johnson und der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen abstimmen. Das teilte Parlamentspräsident John Bercow am Nachmittag in London mit und widerspricht damit einem Wunsch der Regierung. Die EU wollte in der Sache indes weiter abwarten.

„Über den Antrag wird heute nicht debattiert, da dies eine Wiederholung und ordnungswidrig wäre“, sagte Bercow im Unterhaus. Auch die Umstände hätten sich seit der historischen Sondersitzung am Samstag nicht geändert. Bercow bezog sich dabei neuerlich auf einen Präzedenzfall aus dem Jahr 1604. Auf jenen Fall verwies er bereits im Frühling, als er eine Abstimmung über den Brexit-Deal der ehemaligen Premierministerin Theresa May verhinderte.

Von Regierungsseite wurde Bercow daraufhin vorgeworfen, nach seinen eigenen Vorlieben in der Brexit-Frage entschieden zu haben. Die Regierung sei „enttäuscht“, dass Bercow einer Chance, den Willen des Volkes umzusetzen, im Wege steht, so ein Sprecher.

Brexit-Gesetze: Abstimmung am Donnerstag

Johnson pochte trotz seiner Niederlage im Unterhaus am Samstag, die ihn letztlich gegen seinen Wunsch dazu gezwungen hatte, formell einen Aufschub bei der EU zu beantragen, weiter auf einen Austritt Ende des Monats. Deswegen sollte so schnell wie möglich im Unterhaus über seinen Deal abgestimmt werden. Die Regierung, die im Unterhaus keine Mehrheit hat, äußerte bis zuletzt Zuversicht, dafür nun ausreichend Stimmen zu haben.

Die Regierung will nun am Donnerstag abschließend über die notwendigen Brexit-Gesetze abstimmen lassen. Die zweite Lesung der Withdrawal Agreement Bill solle am Dienstag beginnen, sagte der Unterhaus-Vorsitzende Jacob Rees-Mogg am Montag. Dem Entwurf müsste auch das Oberhaus zustimmen.

Ratifizierungsgesetz für Brexit-Fahrplan wesentlich

Einigen Beobachtern zufolge wäre am Montag ein neuerliches Votum im Gegensatz zum Letwin-Abänderungsantrag gestanden, dem am Wochenende eine Mehrheit im Unterhaus zustimmte. Der vom unabhängigen Abgeordneten Oliver Letwin, einem ehemaligen Tory, eingebrachte Antrag sieht vor, die Entscheidung über den Deal bis zur Verabschiedung des Ratifizierungsgesetzes aufzuschieben.

Besonders interessant werde es, schreibt der „Guardian“, aber erst, nachdem das Gesetz abgesegnet wurde. Denn anschließend haben die Abgeordneten die Möglichkeit, weitere Abänderungsanträge, die das Abkommen im Kern verändern würden, einzubringen. „Die parlamentarischen Manöver, die wir am Samstag erlebt haben, werden im Vergleich zum Ratifizierungsgesetz wie ein Spaziergang im Park erscheinen“, schrieb der Sky-News-Politikjournalist Lewis Goodall auf Twitter.

Änderungsanträge als Johnsons größte Hindernisse

Der Fokus der britischen Presse lag besonders auf drei möglichen Anträgen: einem Antrag über ein zweites Referendum, einem Antrag zu einer dauerhaften Zollunion mit der EU und einem Antrag über die Ausweitung der Übergangsphase. Vor allem die letzten beiden könnten im Unterhaus viel Unterstützung – etwa von der Labour-Partei, der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) und Tory-Rebellen – finden.

Eva Pöcksteiner aus London

ORF-Korrespondentin Eva Pöcksteiner spricht über die Entscheidung von Parlamentspräsident John Bercow.

Sollte einer der Anträge durchgehen, müsste Johnson entscheiden, ob er das akzeptiert. Dem Regierungssprecher zufolge lehne der Premier sowohl ein Referendum als auch eine dauerhafte Zollunion ab. Eine Neuwahl stehe im Raum. „Sobald ein Aufschub genehmigt wird, wird es für die Oppositionsparteien sehr schwer, eine Neuwahl zu blockieren“, schrieb BBC-Journalistin Laura Kuenssberg in einer Analyse. Johnson pochte in den vergangenen Monaten darauf. Labour legte sich bis vor Kurzem quer. Am Samstag sagte die Partei, dass Neuwahlen nun unvermeidlich seien.

Ein Austritt mit Abkommen Ende Oktober ist also nur dann wahrscheinlich, wenn ein Ratifizierungsgesetz alle Hürden nimmt. Ein „No Deal“-Szenario, mit dem die britische Regierung versucht, Druck auf das Parlament auszuüben, hängt davon ab, ob Brüssel einen weiteren Aufschub ablehnt. Am Montag baten sowohl der Regierungschef von Wales, Mark Drakeford, sowie die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon die EU um Zustimmung.

Aufschub bis Februar 2020 steht im Raum

Das Europaparlament will den Brexit-Vertrag erst ratifizieren, wenn dieser in London ratifiziert worden ist. Das kündigten Sprecher der großen Fraktionen am Montagnachmittag an, darunter die Europäische Volkspartei, Sozialdemokraten, Grüne und Linke. Damit wird ein Votum des EU-Parlaments diese Woche unwahrscheinlich. Eine Sondersitzung nächste Woche, noch vor dem Austrittsdatum 31. Oktober, sei aber denkbar, hieß es.

Laut einem Zeitungsbericht will die EU den Brexit bis Februar 2020 aufschieben, sollte der britische Premier diese Woche nicht erfolgreich sein. Das Datum würde aber nicht bindend sein, berichtete die „Sunday Times“ unter Berufung auf mit der Sache vertraute Diplomaten. So solle ein Ausstieg auch zum 1. November, 15. Dezember bzw. im Jänner möglich sein, sollte Johnsons Brexit-Deal bis dahin ratifiziert sein.

Johnson hatte vor wenigen Tagen nach langem Streit mit der EU einen geänderten Austrittsvertrag vereinbart, der sofort von den EU-Staats- und Regierungschefs gebilligt wurde. Neu geklärt wurde die Frage, wie die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland auch nach dem Brexit offen bleiben kann. Zudem vereinbarte Johnson mit Brüssel in einer politischen Erklärung, dass es auf längere Sicht nur eine lose Bindung seines Landes an die EU geben soll.

Gericht hält sich Entscheidung zu Johnson-Vorgehen offen

Ein Gericht im schottischen Edinburgh hielt sich unterdessen eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Johnsons Verhalten im Brexit-Tauziehen offen. Der britische Premier hatte am Samstag einen nicht unterzeichneten Brief nach Brüssel geschickt, mit dem er die EU – im Einklang mit der geltenden britischen Rechtslage – um einen weiteren Brexit-Aufschub bittet. In einem weiteren Brief hatte er aber erklärt, dass er einen Aufschub eigentlich nicht befürworte – das hatte Kritiker vor Gericht ziehen lassen, weil sie befürchten, Johnson torpediere die auf einem Gesetz fußende Bitte um einen Aufschub.

Die Richter in Edinburgh erklärten, sie wollten vor einer Entscheidung nun erst beobachten, wie sich die Regierung in London weiter verhalte und ob sie vollends im Einklang mit dem Gesetz handle. Im Zweifel könne es noch immer zu einer Rüge kommen. Allerdings hatte Tusk bereits über eine Sprecherin erklären lassen, er akzeptiere die von Johnson gewählte Form. Die Tatsache, dass der Brief nicht unterschrieben wurde, ändere nichts an der Vorgehensweise in Brüssel, hieß es.