Portrait d’une dame de la cour de Milan, dit à tort La belle Ferronnière
RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Michel Urtado
Leonardo im Louvre

Der Kampf um die Originale

Der Pariser Louvre feiert seinen größten Star: Noch nie wurde der vor 500 Jahren verstorbene Leonardo da Vinci so umfangreich präsentiert. Im Vorfeld der Blockbusterausstellung sorgten Querelen mit italienischen Nationalisten und Gerüchte um das 450 Millionen Dollar teure Christusbild eines saudischen Prinzen für Schlagzeilen. Von den 14 bis 17 Ölbildern, die heute als gesicherte Originale gelten, kann der Louvre nur neun zeigen.

Im Nationalmuseum in Krakau war diesen Sommer eine Ausstellung mit nur einem einzigen Bild zu sehen. Die Spots in einem abgedunkelten Saal richteten sich allein auf Leonardos Porträt „Dame mit dem Hermelin“. Dieses Meisterwerk, das im Zweiten Weltkrieg von den Nazis geraubt und 1945 retourniert wurde, befindet sich erst seit zwei Jahren in Staatsbesitz. 200 Jahre lang war es Eigentum der alten polnischen Adelsfamilie Czartoryski. 2016 erwarb Polen die Werke der Stiftung Czartoryski zu einem sehr günstigen Preis: Die 86.000 Kunstobjekte sowie 250.000 Handschriften und Bücher wechselten um 100 Millionen Euro in die öffentliche Hand, obwohl Schätzungen bei zwei Milliarden lagen.

Auf alle Fälle ein Schnäppchen gegen die 450 Millionen Dollar, die bei einer New Yorker Auktion 2017 für das Gemälde „Salvator Mundi“ („Erlöser der Welt“) berappt wurden. Dieses unter Kunsthistorikern umstrittene Christusbild soll heute dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman gehören. Für 2018 war eine Präsentation in der Louvre-Filiale Abu Dhabi angekündigt, aber das teuerste Bild aller Zeiten blieb verborgen. Im Juni hieß es sogar, das Gemälde würde eine Luxusjacht schmücken. Der Louvre gab schließlich bekannt, dass er ein Leihansuchen gestellt hätte. Aber die jetzige Schau zeigt den „Erlöser der Welt“ ebenso wenig wie die „Dame mit dem Hermelin“.

Gemälde Salvator Mundi
APA/AFP/Tolga Akmen
„Salvator Mundi“ gilt als teuerstes Gemälde aller Zeiten – im Louvre ist es nicht zu sehen

Konservatorische Bedenken

Freilich „braucht“ das bestbesuchte Museum der Welt diese Werke nicht. Es strömen ohnehin jährlich mehr als zehn Millionen Besucherinnen und Besucher herein, die das zarte Lächeln der „Mona Lisa“, das seit dem Bestseller „Der Da Vinci Code“ noch geheimnisvoller erscheint, im Original sehen wollen. Dennoch befindet sich das Museum in Konkurrenz mit Institutionen wie der National Gallery in London, die bei ihrer Leonardo-Schau 2011 gleich viele Gemälde wie jetzt in Paris auffahren konnte.

Allen sündteuren Klimatransportboxen zum Trotz werden konservatorische Bedenken gegen das Verleihen altmeisterlicher Werke ins Rennen geführt. Die Uffizien in Florenz schickten zwar 2007 ihr Tafelbild „Die Verkündigung“ nach Japan, aber nach Protesten steht es mittlerweile auf der Liste jener Sammlungsstücke, die nie mehr reisen dürfen. Auch Leonardos Frühwerk „Madonna mit der Nelke“ aus der Alten Pinakothek in München gilt als zu fragil für einen Ortswechsel.

Großzügige Queen Elizabeth II.

Viel Wirbel löste zuletzt die berühmte Federzeichnung „Der Vitruvianische Mensch“ aus. Entgegen den ausgehandelten Kulturabkommen verhängte ein italienisches Gericht Anfang Oktober ein Ausfuhrverbot für das Blatt, das im Depot der Galleria della Accademia in Venedig lagerte. Schon zu Jahresbeginn gab es Ansagen rechtspopulistischer Politiker, Italien ließe sich das Jubiläum „seines“ Leonardos nicht wegnehmen.

Tatsächlich starb der Renaissancekünstler 1519 im Alter von 67 Jahren nicht in seiner Heimat, sondern in Frankreich, wohin er auch vier seiner Hauptwerke mitgenommen hatte. Nun klagte der Kulturschutzverein Italia Nostra gegen die Leihgabe jener Proportionsstudie, die auch auf der italienischen Ein-Euro-Münze prangt. Die Nationalisten wurden aber abgewiesen und die lichtempfindliche Zeichnung zählt zu den Highlights der Pariser Jubiläumssause.

Leonardo da Vinci, Flut
Royal Collection Trust/Her Majesty Queen Elizabeth II
Leonardos Zeichnung „Flut“ ist eine Leihgabe von Queen Elizabeth II.

Die großzügigste Leihgeberin der Schau ist Queen Elizabeth II. Letzte Woche ging im Buckingham Palace in London eine Ausstellung mit 200 Grafiken des Künstlers aus der Royal Collection zu Ende. Die englische Königin besitzt unter anderem den „Codex Windsor“, eine in Windsor Castle aufbewahrte Sammlung von mehr als 600 Zeichnungen, die künstlerische Skizzen ebenso wie wissenschaftliche Studien enthält.

Der Louvre bekam aus London wunderschöne Blätter, etwa die „Studien für den Kopf der Leda“ und die Darstellung eines sintflutartigen Regengusses. Das Universalgenie hat Tausende Skizzen hinterlassen, darunter Studien zu Anatomie, Botanik, Mechanik und Waffentechnik. Leonardo zeichnete die Lage von Föten im Mutterleib und den Flügelschlag von Vögeln, er träumte von Helikoptern und entwarf Panzer für Kriegsfürsten. Seine Gedanken hielt er in Spiegelschrift fest. Ob das aus Gründen der Geheimhaltung geschah, oder weil es ihm als Linkshänder leichter fiel, darüber streiten Fachleute bis heute.

„Mona Lisa“ durch die VR-Brille

Die „Mona Lisa“ bleibt während der Schau, die 120 Gemälde, Zeichnungen, Notizbücher, Manuskripte, Skulpturen und Kunstobjekte enthält, an ihrem angestammten Platz. In den vergangenen Monaten wurde ihr Saal renoviert, was zu langen Wartezeiten beim Ausweichquartier von „La Joconde“ geführt hatte. Wer ein Ticket für die Leonardo-Schau erwirbt, kann auch dessen Hauptwerk besuchen. Aber damit nicht genug, beamt der Louvre sein Hauptwerk jetzt auch in den Cyberspace.

Beyond the Glass – XP captures
Courtesy Emissive and HTC Vive Arts
Die „Mona Lisa“ wird im Louvre in den Cyberspace geholt

Durch das Virtual-Reality-Projekt „Mona Lisa: Beyond the Glass“ kann das vom Publikum belagerte Oeuvre nun „betreten“ werden. Das Entwicklerstudio Emissive zeigt die Dargestellte mittels 3-D-Verfahren als lebendige Frau. Auch die Landschaft im Hintergrund des Gemäldes wird erfahrbar. Beim ersten derartigen Projekt des Louvre stehen allerdings nur elf VR-Brillen zur Verfügung.

Das Plakat der Ausstellung schmückt das Frauenbildnis „La Belle Ferronniere“. Um wen es sich bei der stolzen Schönheit mit dem juwelenbesetzten Stirnband handelt, ist nicht bekannt. Der Titel des Louvre-Werks legt nahe, dass Leonardo die Gattin oder Tochter eines Eisenhändlers porträtierte. Wiewohl sich ihr Blick auf einen Punkt jenseits des Betrachtenden richtet, wirkt er eindringlich. „Je mehr Leonardo vorankommt, desto stärker konzentriert er sich auf den Gesichtsausdruck, der dem Zuschauer eine Art psychologische Schwingung vermitteln soll“, sagte Louvre-Chefkurator Vincent Delieuvin in einem Beitrag des TV-Senders Arte. Vom Gesichtsausdruck käme die ganze Kraft des Bildes.

Der Liebreiz der „Zerzausten“

Diese Intensität vermittelt auch der unvollendete Frauenkopf „La Scapigliata“ (auf Deutsch „Die Zerzauste“), eine Leihgabe der Nationalgalerie von Parma. Leonardo hat die meisten seiner Bilder nie fertig gemalt, aber bei diesem Bildnis scheint das mit Absicht geschehen zu sein. Leonardo verwendete dafür nur dunkle Pigmente und Bleiweiß.

Léonard de Vinci, Tete de femme dite La Scapigliata
Ministero dei Beni e delle Attività culturali
„La Scapigliata“, „Die Zerzauste“

Auf der mit mehreren Schichten grundierten Holztafel taucht das Mädchen wie eine liebliche Erscheinung auf. Ihr fein ausgeführtes, meditatives Gesicht wird von wilden Locken gerahmt. So verkörpert „La Scapigliata“ die Harmonie von Innerlichkeit und Lebendigkeit, die Leonardo einmalig auszudrücken vermochte.