Bahnhofsuhr
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Trotz EU-Beschlüssen

Kein Ende der Zeitumstellung

Am Sonntag stellen die Europäerinnen und Europäer wieder einmal die Uhren um. Im Herbst bedeutet das, eine Stunde zurück – sofern es das Smartphone nicht sowieso automatisch erledigt. Doch das EU-Parlament hat bereits heuer im März für die Abschaffung des halbjährlichen Vor und Zurücks gestimmt. Wie oft also müssen wir nun noch an der Uhr drehen?

Geht es nach dem Verkehrsausschuss im Europaparlament (TRAN), soll der letzte Sonntag im März 2021 jener Tag sein, an dem zum letzten Mal die Uhr umgestellt wird – allerdings nur in jenen EU-Ländern, die sich für die dauerhafte Sommerzeit entscheiden. Mitgliedsstaaten, die es vorziehen, die Normalzeit beizubehalten, sollten laut EU-Parlamentsvorschlag die Uhr am letzten Sonntag im Oktober 2021 ein letztes Mal umstellen.

Dass jedes EU-Land selbst bestimmen darf, welche Zeit es wählt, dürfte die allergrößte Herausforderung werden. Als die Europaabgeordneten im März mit 410 zu 192 für die Abschaffung abgestimmt hatten, sprachen sich deshalb einige auch dafür aus, dass die EU-Länder ihre Änderungen untereinander abstimmen. Wenn sich ein Mitgliedsstaat entschieden habe, heißt es in dem Vorschlag des EU-Parlaments, sollte die Kommission anschließend die Entscheidung prüfen.

SPÖ und FPÖ sorgen sich um Biorhythmus

SPÖ-Europaabgeordneter Andreas Schieder empfindet in einem Statement an ORF.at die Zeitumstellung als „Pflichtübung“ und „leeres Ritual“. Der ursprünglich angedachte Energiespareffekt habe sich nicht eingestellt, stattdessen könne die Umstellung, so Schieder, ein Gesundheitsrisiko sein. Die SPÖ im EU-Parlament habe den Vorstoß, die Zeitumstellung abzuschaffen, von Beginn an unterstützt.

Die Zeitumstellung

Laut EU-Richtlinie zur Regelung der Sommerzeit werden die Uhren in Österreich jedes Jahr am letzten Sonntag im März um 2.00 Uhr (MEZ) auf 3.00 Uhr (MESZ) vorgestellt. Am letzten Sonntag im Oktober werden die Uhren von 3.00 Uhr (MESZ) auf 2.00 Uhr (MEZ) zurückgestellt.

Auch die FPÖ spricht sich schon seit Längerem für ein einheitliches Zeitmodell aus, „da unter anderem auch Mensch und Tier durch diese Umstellung deutlich in Mitleidenschaft gezogen werden“, sagte FPÖ-Europaabgeordneter Harald Vilimsky zu ORF.at.

Die Europaabgeordneten der ÖVP sind ebenfalls für ein Ende der Zeitumstellung. „Wir würden sie abschaffen“, sagte EU-Abgeordnete Karoline Edtstadler zu ORF.at in Straßburg. Am Zug sehe sie die Nationalstaaten. Edtstadler sprach sich dagegen aus, Modelle noch komplizierter zu gestalten.

Herausforderung für Infrastruktur und Logistik

Vermieden werden sollte, da sind sich Österreichs EU-Politikerinnen und -Politiker weitgehend einig, ein Zeitzonenchaos mit den Nachbarländern. Sie befürchten, dass das den Binnenmarkt beeinträchtigen könnte. Besonders im Infrastruktur- und Logistikbereich könnte es zu Schwierigkeiten kommen, sollten sich die Mitgliedsstaaten nicht einigen. „Es muss also eine Lösung gefunden werden, die keinen ‚Wildwuchs‘ entstehen lässt und auch alle glücklich macht“, heißt es dazu aus österreichischen EU-Kreisen in Straßburg.

NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon meinte gegenüber ORF.at, es sei ihr wichtig, dass es eine einheitliche Lösung für Europa gebe. „Wie diese aussieht, ist nebensächlich. Absolutes Worst-Case-Szenario wäre, dass jedes Land eine eigene Lösung findet und ein Chaos entsteht“, so Gamon. Auch Schieder von den Sozialdemokraten sieht das so: „Es braucht eine gemeinsame Lösung für eine einheitliche EU-Zeit mit allen EU-Staaten.“

Ein Frachtschiff beim Donaukraftwerk Ottensheim
ORF.at/Roland Winkler
Besonders im Transport- und Infrastrukturbereich bahnt sich Chaos an, sollte es zu keiner EU-weiten Einigung kommen

Die Grüne-EU-Abgeordnete Sarah Wiener sprach sich persönlich für eine Beibehaltung der Sommerzeit aus. Sie sei aber offen für Gegenvorschläge – etwa, sollte befunden werden, dass die Winterzeit besser für die Natur sei. Jedenfalls sollte das „Hin und Her“ abgeschafft werden, wünscht sich Wiener: „Ich möchte, dass wir einmal eine durchgängige Zeit finden.“

„Zeithorizont aus heutiger Sicht offen“

Die Entscheidung liegt nun beim Rat für Verkehr, Telekommunikation und Energie der Europäischen Union, in dem die zuständigen Ministerinnen und Minister aller Mitgliedsstaaten sitzen. Dieser Standpunkt muss dann in weiterer Folge mit dem Parlament abgestimmt werden.

„Der Zeithorizont ist daher aus heutiger Sicht offen“, bestätigte das österreichische Verbindungsbüro des EU-Parlaments ORF.at. Die FPÖ forderte Rat und Kommission unterdessen auf, dem Thema Zeitumstellung wieder einen höheren Stellenwert beizumessen. Bei der FPÖ vermisse man die entsprechende Motivation beim Suchen von Lösungsansätzen.

Über 99 Prozent nahmen nicht an Umfrage teil

Die EU vereinheitlichte erstmals 1980 die Sommerzeitregelungen, um ein harmonisiertes Konzept für die Zeitumstellung innerhalb des Binnenmarkts zu gewährleisten. Bis dahin wichen nämlich die nationalen Sommerzeitpraktiken und -pläne voneinander ab. Seither gab es aber immer wieder Debatten, die Zeitumstellung überhaupt abzuschaffen.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker preschte dann vergangenes Jahr vor, endgültig einen Schlussstrich unter den seit Jahren geführten Streit über den Sinn oder Unsinn des halbjährlichen Uhrendrehens zu ziehen. Dem zuvor ging eine Onlineumfrage unter EU-Bürgerinnen und -Bürgern.

Dabei stimmten 84 Prozent für eine Abschaffung der Zeitumstellung im Frühjahr und Herbst und für eine Beibehaltung der Sommerzeit. Doch hatten nur 4,6 Millionen Menschen an der Befragung teilgenommen, davon waren etwa drei Millionen aus Deutschland. In der EU leben aber mehr als 500 Millionen Menschen. Insgesamt hatten sich also über 99 Prozent nicht an der Onlineumfrage beteiligt. Ob die Befragung repräsentativ für die Meinung der Bevölkerung der Europäischen Union ist, ist deshalb fraglich.

Exempel für Bedeutung der EU?

Juncker-Kritikerinnen und -Kritiker in Straßburg werfen dem scheidenden EU-Kommissionspräsidenten deshalb mitunter Populismus vor. Juncker hatte beim Thema Zeitumstellung in der Tat häufig die nicht besonders diverse EU-Umfrage herangezogen und gesagt: „Die Bürger wollen das, wir machen das.“

Der Kommissionspräsident habe ein Thema gesucht, um vom drohenden Rechtsruck vor der EU-Wahl im Mai 2019 abzulenken, meinte ein EU-Beobachter gegenüber ORF.at in Straßburg: „Er hatte mit dieser Entscheidung vor, ein Exempel zu statuieren. Er wollte zeigen, wie wichtig die EU ist und dass es Grenzen der Subsidiarität gibt.“ Denn an dem Beispiel der Zeitumstellung sehe man deutlich, dass es nur gemeinsam gehe und nicht gegeneinander.