Menschen im Bardarash Flüchtlingslager in der Nähe von Mossul
AP/Hussein Malla
Amnesty-Bericht

Türkei deportiert Flüchtlinge nach Syrien

Amnesty International wirft der Türkei vor, Hunderte Flüchtlinge illegal nach Syrien abgeschoben zu haben. Schon vor der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien habe die Türkei mit den Abschiebungen in das Kriegsgebiet begonnen, heißt es in einem am Freitag veröffentlichten Bericht. Betroffene berichteten auch von Folter.

Schon vor dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien Anfang Oktober hätten die türkischen Behörden Flüchtlinge dazu gezwungen, nach Syrien zurückzukehren, heißt es in dem Bericht „Sent to a war zone: Turkey’s illegal deportations of Syrian refugees“ („In ein Kriegsgebiet geschickt: Deportation syrischer Flüchtlinge durch die Türkei“).

Die befragten Flüchtlinge gaben laut Amnesty an, dass sie von türkischen Polizisten geschlagen und bedroht worden seien. Sie hätten überdies Dokumente unterschreiben müssen, die eine angeblich freiwillige Rückkehr belegen sollten. „Die Behauptung der Türkei, dass sich die syrischen Flüchtlinge selbst dazu entschieden hätten, direkt in den Konflikt zurückzukehren, ist gefährlich und unehrlich“, kritisierte die Amnesty-Expertin Anna Shea. Vielmehr seien die Menschen „ausgetrickst und gezwungen worden zurückzugehen“.

Türkei: 315.000 Menschen freiwillig zurückgekehrt

Offizielle Statistiken zur Zahl der Abschiebungen liegen laut Amnesty nicht vor. Auf der Grundlage von Betroffenenaussagen geht die Organisation davon aus, dass „die Zahl der in den vergangenen Monaten Abgeschobenen in die Hunderte geht“. Die Türkei gibt laut Amnesty an, 315.000 Menschen seien freiwillig nach Syrien zurückgekehrt. Bei den meisten der unrechtmäßig Abgeschobenen handelte es sich laut Amnesty um erwachsene Männer.

Scharfe Kritik übte Amnesty auch an der am Dienstag zwischen Russland und der Türkei getroffenen Vereinbarung zur Beendigung des türkischen Militäreinsatzes in Nordsyrien. Darin vorgesehen ist auch die „freiwillige Rückkehr“ von syrischen Flüchtlingen. „Die Abschiebungen waren bisher alles andere als sicher und freiwillig“, so Shea. Die Türkei will nach eigenen Angaben rund zwei Millionen Flüchtlinge in einer „Sicherheitszone“ in Nordsyrien neu ansiedeln.

Appell auch an EU

Die Amnesty-Expertin forderte die türkischen Behörden dazu auf, die Abschiebungen einzustellen und die bereits Abgeschobenen in die Türkei zurückzuholen. Die EU müsse zudem die Aufnahme syrischer Flüchtlinge „drastisch erhöhen, anstatt ihre Energie darauf zu verwenden, möglichst viele Menschen davon abzuhalten, in ihren Ländern Asyl zu suchen“.

Brüchige Waffenruhe

Der Bürgerkrieg in Syrien tobt seit mehr als acht Jahren. Millionen sind auf der Flucht, Hunderttausende tot. Friedensbemühungen aber sind an internationaler Uneinigkeit gescheitert. Die Türkei hatte am 9. Oktober eine Militäroffensive gegen die kurdische YPG-Miliz im syrisch-türkischen Grenzgebiet begonnen. Die Türkei betrachtet die YPG als Ableger der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und damit als Terrororganisation. Mit den USA und mit Russland handelte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan später eine Waffenruhe zum Abzug der YPG aus Grenzgebieten aus.

Beobachtungsstelle

Die in Großbritannien ansässige regimekritische Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte verfügt über ein dichtes Informantennetz in Syrien, ihre Berichte sind aber zumeist nicht sofort überprüfbar.

Syriens Kurden wiederum warfen der Türkei einen Bruch der Waffenruhe vor. Die türkische Armee und ihre lokalen syrischen Verbündeten hätten drei Orte in der Nähe der Stadt al-Hassaka angegriffen, sagte der Sprecher der von der Kurdenmiliz YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Mustafa Bali, am Donnerstag über Twitter. Auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete von Kämpfen in dieser Region.

US-Militär bereitet Plan für Syrien vor

Das US-Militär bereitet einem einflussreichen Senator zufolge einen Plan für Syrien vor. Dieser solle verhindern, dass die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) dort wieder Fuß fasse, sagte der Republikaner Lindsey Graham am Donnerstag nach einem Gespräch mit den Stabschefs im Weißen Haus. Ziel sei auch, dass weder der IS noch der Iran Kontrolle über Syriens Ölvorräte erhielten.

Ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums erklärte, die USA wollten mit „zusätzlichen militärischen Mitteln“ und „in Koordination“ mit den kurdisch dominierten SDF ihre Position in der Region verstärken. Beim Kampf gegen den IS sei die Einnahme der Ölfelder im Osten Syriens einer der größten Erfolge gewesen, sagte der Pentagon-Vertreter. Es müsse sichergestellt werden, dass der IS auch künftig keinen Zugang zu Öl als Finanzierungsquelle für seine Aktivitäten gewinne.

Türkei hält an Umsiedlung fest

Die türkische Regierung hält unterdessen weiter an Plänen zur Umsiedlung von Millionen syrischen Flüchtlingen aus der Türkei in eine Pufferzone in Nordsyrien fest. „Wir werden gewährleisten, dass ein, zwei Millionen Flüchtlinge aus unserem Land in die gesicherten Regionen zurückkehren“, sagte Erdogan am Donnerstag in einer Rede vor Bezirksgouverneuren in Ankara. Dieses Projekt solle mit „der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft“ realisiert werden.

Richung EU sagte Erdogan: „Stimmen, die aus Europa laut werden und durch und durch nach Heuchelei riechen, haben nicht den geringsten Wert." Er wiederholte seine Drohung, in der Türkei lebende Flüchtlinge nach Europa durchzulassen. „Wenn ich sage, dass wir die Türen öffnen, werden sie panisch. Nur keine Panik! Wenn es so weit ist, dann können diese Türen auch geöffnet werden. (…) Na los, nehmt ihr auch Hunderttausende auf! Das wollen wir einmal sehen."

300 russische Militärpolizisten in Syrien eingetroffen

Indes verlegte Russland rund 300 Militärpolizisten aus seiner Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus nach Syrien. Die Einheiten sollen dabei helfen, die bewaffneten Kurden rund 30 Kilometer von der Grenze zur Türkei ins Landesinnere Syriens zurückzudrängen. Das teilte das russische Verteidigungsministerium der Agentur Interfax zufolge am Freitag in Moskau mit.

Zudem würden mehr als 20 Panzerfahrzeuge aus dem Süden Russlands nach Syrien verlegt. Die russischen Militärpatrouillen hätten die Aufgabe, die Sicherheit der Bevölkerung im Norden Syriens zu gewährleisten und für Ordnung zu sorgen, teilte das Ministerium weiter mit. Es handle sich um für Spezialeinsätze ausgebildete Truppen aus dem Nordkaukasus.