Außenansicht der Thüringer Staatskanzlei
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Linke siegt, AfD gestärkt

Thüringen vor Regierungspoker

Auf Thüringen kommt nach der Landtagswahl eine äußerst schwierige Regierungsbildung zu. Die Linkspartei von Ministerpräsident Bodo Ramelow erzielte am Sonntag zwar ein Rekordergebnis – allerdings verlor die rot-rot-grüne Regierungskoalition ihre Mehrheit.

Die CDU rutschte auf den dritten Platz hinter die deutlich erstarkte AfD. Das Ergebnis der Thüringen-Wahl beschäftigt am heutigen Montag die Bundesparteien in Berlin. Nach dem vorläufigen amtlichen Wahlergebnis erreichte die Linke mit 31 Prozent einen Rekordwert bei einer Landtagswahl überhaupt. Die AfD mit Björn Höcke landete mit 23,4 Prozent auf Platz zwei, vor der CDU von Spitzenkandidat Mike Mohring mit 21,8 Prozent. Die SPD erreichte 8,2 Prozent, während Grüne und FDP mit 5,2 beziehungsweise fünf Prozent knapp den Einzug in den Landtag schafften.

Auf die Linke entfallen demnach im neuen Landtag 29 Sitze. Die AfD bekommt 22 und die CDU 21 Mandate. Die SPD erhält acht Sitze, auf Grüne und FDP kommen jeweils fünf Mandate. Ministerpräsident Ramelow beanspruchte die Führung der künftigen Regierung: „Der Regierungsauftrag ist ganz eindeutig bei meiner Partei.“ Er zeigte sich bereit „zu Gesprächen mit allen demokratischen Parteien“.

Grafik zeigt vorläufiges Ergebnis der Landtagswahl in Thüringen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

CDU als entscheidender Faktor

Allerdings dürfte eine Regierungsbildung schwierig werden, sofern die CDU an ihrem Nein zu einem Bündnis mit der Linkspartei festhält. Und genau das untermauerte CDU-Generalsekretär Raymond Walk noch Montagfrüh. Wenig später ließ allerdings Mike Mohring aufhorchen. Er schloss im ARD-„Morgenmagazin“ eine Zusammenarbeit mit der Linken nicht mehr aus. Erstmals gebe es keine Mehrheit mehr für die „politische Mitte“, sagte Mohring. „Aber das heißt nicht, dass wir uns in die Ecke stellen können, sondern wir müssen Verantwortung übernehmen.“ Was das heiße, müsse man nun ausloten. „Mir sind stabile Verhältnisse wichtiger für das Land, als dass es nur um parteipolitische Interessen geht.“

Und sowohl Mohring als auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer forderten nach dem katastrophalen CDU-Ergebnis Konsequenzen auf Bundesparteiebene. Er habe die Sorge, „dass heute morgen hier alles weitergeht wie bisher“, sagte Kretschmer vor der CDU-Präsidiumssitzung in Berlin. Welche Schritte Kretschmer fordert, wollte er zunächst nicht sagen. Auch Mohring sprach davon, dass „Berlin alles überlagert hat“. Laut informellen Informationen hält der CDU-Bundesparteivorstand den Beschluss, der eine Zusammenarbeit mit der Linken untersagt, weiter aufrecht.

Spielraum beschränkt

Denkbare Koalitionen können nur unter Einbeziehung entweder der Linkspartei oder der AfD auf eine Mehrheit kommen. Koalitionen mit der AfD schlossen alle anderen Parteien aus. Rein rechnerisch wäre auch eine Viererkoalition von Rot-Rot-Grün mit der FDP möglich. Die Liberalen lehnen ein solches Bündnis bisher aber ab. Sie können sich nur eine punktuelle Zusammenarbeit in einzelnen Sachfragen vorstellen. Auch eine Minderheitsregierung ist nicht ausgeschlossen. Die SPD hält solche jedenfalls für möglich, wie sie am Montag betonte. Eine solche Variante hat in Deutschland allerdings keine Tradition.

Ramelow kündigte Montagfrüh an, sich vorerst alle Regierungs- und Koalitionsmöglichkeiten offen zu lassen. „Ich habe noch nicht genau verstanden, was die CDU im Moment präferiert“, sagte Ramelow. „Wir werden CDU, SPD, FDP, Grüne einladen (…), und dann werden wir sehen, ob es eine festere Koalition, eine absolute Koalition oder ein Tolerierungsmodell geben kann.“ Gespräche mit der AfD lehnt Ramelow ab.

 Astrid Rothe-Beinlich (Grüne), Wolfgang Tiefensee (SPD), Mike Mohring (CDU), Bodo Ramelow (Die Linke) und Bjoern Hoecke (AfD)
Reuters/Axel Schmidt
Thüringens Kandidaten: Astrid Rothe-Beinlich (Die Grünen), Wolfgang Tiefensee (SPD), Mike Mohring (CDU), Bodo Ramelow (Die Linke), MDR-Moderator Christian Müller (zweiter von rechts) und Bjoern Höcke (AfD)

Schwere Verluste für CDU

„Es gibt heute Abend keine einfachen Antworten“, sagte CDU-Spitzenkandidat Mohring. Seine Partei verlor im Vergleich zu 2014 ein Drittel der Stimmen. Die Tatsache, „dass es in der Mitte keine Mehrheiten mehr gibt, verlangt jetzt neue Antworten“.

AfD-Chef Alexander Gauland bot der CDU an, mit ihr zu koalieren, wenn Mohring „den Mumm“ dazu hätte. AfD-Spitzenkandidat Höcke sprach von einem „grandiosen Erfolg“. Seine Partei wolle nun „staatspolitische Verantwortung tragen“, sagte er im Sender Phoenix. „Jetzt wollen wir regieren.“

Zweitschlechtestes Ergebnis bei Landtagswahl für SPD

Politiker von Linkspartei, Grünen und SPD äußerten sich entsetzt über das Abschneiden der Rechtspopulisten unter ihrem radikalen Flügelmann Höcke. Entsetzt zeigte sich die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, über den Erfolg der AfD. „Dass eine Partei wie die sogenannte Alternative für Deutschland auf Landesebene ein solches Ergebnis einfahren kann, zeigt, dass in unserem politischen System etwas grundlegend aus den Fugen geraten ist“, erklärte Charlotte Knobloch, die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

Für die SPD in Thüringen war es das zweitschlechteste Resultat bei einer Landtagswahl überhaupt. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Volker Bouffier bekräftigte seine Ablehnung eines Bündnisses mit der Linkspartei. „Ich bleibe bei meiner Haltung: Keine Koalition mit den Linken“, sagte Hessens Ministerpräsident den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Katja Kipping und Bodo Ramelow (Die Linke)
Reuters/Ralph Orlowski
Ramelow freut sich über den Wahlsieg, aber eine neue Regierung zu bilden, dürfte schwierig werden.

FDP: Fünf Stimmen über Sperrklausel

Dass es bei einer Wahl auf jede einzelne Stimme ankommt, bewahrheitete sich bei der FDP im buchstäblichen Sinn: Exakt fünf Wahlstimmen bewahrten die FDP vor einer neuen Wahlschlappe. Mit insgesamt 55.422 Stimmen liegen die Liberalen genau fünf Stimmen über der Fünf-Prozent-Hürde – die fünf Stimmen sicherten damit den erstmaligen Einzug der FDP in einen der Landtage der neuen Bundesländer. Für die FDP heißt es aber noch Zittern bis zum endgültigen Wahlergebnis – dieses weicht in der Regel aber nur sehr geringfügig ab, etwa wenn es Fehler bei der Übermittlung der vorläufigen Auszählungsergebnisse in der Wahlnacht gab.

Grüne gegen Gleichsetzen von Linker und AfD

Dagegen rief der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, alle demokratischen Parteien auf, eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei nicht auszuschließen. Ministerpräsident Ramelow könne nicht mit der „rechtsextremen AfD“ gleichgesetzt werden, sagte Hofreiter den Funke-Zeitungen.

Trotz des Mehrheitsverlusts für Rot-Rot-Grün könnte Ramelow laut Landesverfassung vorerst geschäftsführend im Amt bleiben, solange kein Nachfolger gewählt wird. Eine Frist dafür gibt es nicht. In Berlin werden sich die Bundesparteien am Montag mit dem Ausgang der Landtagswahl befassen – danach lässt sich vielleicht etwas klarer einschätzen, wie die nächsten Schritte nach der Wahl aussehen werden.