Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
Reuters/Johanna Geron
Vom Erneuerer zum Blockierer

Macron gegen den Rest der EU

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich in den letzten Wochen in Brüssel nicht viele Freunde gemacht. Alleine gegen alle anderen versuchte er – mal mehr und mal weniger erfolgreich – seine Positionen zum Brexit, zur EU-Erweiterung und in der Kommission durchzuboxen. Macrons Image des konstruktiven Proeuropäers erhielt so einige Kratzer.

Dabei ist Macron eigentlich bekannt als der große Modernisierer – als einer, der das Gemeinsame in der Europäischen Union vor das Trennende stellt. Von Beginn an, als Macron 2017 Präsident von Frankreich wurde und die Rechtspopulistin Marine Le Pen in die Knie gezwungen hatte, war die proeuropäische Position klar: Selbst bei seiner Siegesfeier spielte es Beethovens „Ode an die Freude“ noch vor der „Marseillaise“.

Angeeckt hatte Macron zwar immer wieder einmal, jedoch genießt er in letzter Zeit zunehmend den Ruf, sich gegenüber den anderen Mitgliedsstaaten destruktiv und arrogant zu verhalten. Am deutlichsten waren jüngst die Äußerungen nahezu aller Staats- und Regierungschefs – bis auf jene Dänemarks und der Niederlande – zur gescheiterten EU-Erweiterung. Denn der französische Präsident war es, der nicht zulassen wollte, dass die lange geplanten Gespräche zum EU-Beitritt Albaniens und Nordmazedoniens beginnen konnten.

Keine Westbalkan-Erweiterung

„Europa funktioniert schon mit 27 Mitgliedern nicht gut. Wie können wir sagen, dass es mit mehr besser funktionieren wird,“ fragte Macron und rechnete Großbritannien vorsichtshalber schon einmal weg. Er argumentierte, Europa brauche „mehr Integration und mehr Klarheit in seinen Entscheidungen“. Er sprach von einem „politischen Fehler“, den es zu vermeiden gelte. Er fürchte zudem um die Stabilität in der Region.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
AP/Virginia Mayo
Macrons Veto gegen den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen Albaniens und Nordmazedoniens sorgte für Verärgerung

Die französische Journalistin und Europaexpertin Florence Autret vermutet aber, Macron sei nicht nur gegen eine Erweiterung auf dem Westbalkan, sondern generell gegen eine Erweiterung der Europäischen Union. „Er denkt, dass die EU zu groß ist. Man müsse wieder daran denken, was man hat und mehr mit den Nachbarn zusammenarbeiten“, versuchte sie Macrons Überlegungen im Gespräch mit ORF.at nachzuvollziehen. Als Beispiel nannte sie Norwegen, das wirtschaftlich eng mit der EU in Verbindung steht. „Er will die Tür nicht schließen, aber er sieht keinen Grund, das Haus zu vergrößern“, so Autret.

Von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk abwärts hagelte es deshalb scharfe Worte gegen den französischen Präsidenten. Sie alle scheiterten, Macron davon zu überzeugen, dass die EU ihre Versprechen halten und grünes Licht für die Beitrittsverhandlungen geben müsse. Mit dem Erweiterungsversuch auf dem Westbalkan wollte die EU auch den Einfluss Russlands und Chinas in der Region bekämpfen. Doch, so meinte Europaexpertin Autret, schütze eine EU-Mitgliedschaft auch nicht automatisch vor ausländischen Einflüssen, was etwa Italiens Russland-Verbindungen zeigen würden.

Brexit-Verlängerung – erst nein, nun ja

Ein Gros der EU-Vertreterinnen und -Vertreter sahen in Macrons Querstellen in der Erweiterungsfrage eine riesige Enttäuschung, doch nur wenige Tage darauf sollte es bereits zum nächsten versuchten Alleingang Frankreichs kommen, und zwar in Sachen Brexit. Macron wollte Großbritannien erst nur einen kurzen (dritten) Aufschub von zwei bis vier Wochen gewähren.

Nicht zum ersten Mal fürchtete der französische Präsident eine Lähmung der EU durch die endlose Brexit-Saga. „Ich wünschte, wir könnten das Ganze hinter uns bringen und nun über die Zukunft sprechen,“ sagte Macron nach dem letzten EU-Gipfel. Er beharrte darauf, dass es keine weiteren Verzögerungen geben dürfe. Sehr viel mehr dürfte laut EU-Expertin Autret tatsächlich nicht dahinterstecken, als dass Macron seine Europaagenden weiterbringen will: „Er denkt, dass die Briten gehen sollen. Andere wünschen sich ein zweites Referendum. Er aber hat es akzeptiert.“

Macron beteuerte allerdings, es gehe ihm nicht darum, eine Fristenverlängerung zu blockieren, sondern – wie auch schon beim Thema EU-Erweiterung – die Einheit der EU-27 zu wahren. Doch nachdem über eine Neuwahl in Großbritannien diskutiert wurde und diese nun am 12. Dezember stattfinden soll, gab Paris doch noch nach, was für London nun eine Brexit-Frist bis 31. Jänner bedeutet. Freilich ging das aber nicht ohne Bedingungen, die Frankreich gestellt hatte. So forderte Macron, dass das Vereinigte Königreich trotz Austrittsplänen einen EU-Kommissar bzw. eine EU-Kommissarin benennen müsse.

Macron gibt von der Leyen Schuld an Kommissionsdebakel

Apropos EU-Kommissarin: Hierbei zeigte sich das EU-Parlament alles andere als begeistert von Macrons Vorschlag. Bereits im Vorfeld hatte es herbe Kritik an der Kommissarsanwärterin für Industrie und Binnenmarkt, Sylvie Goulard, gegeben, die von den Abgeordneten dann auch eine Absage erteilt bekam. Der Grund: Gegen die Politikerin laufen Ermittlungen in einer Affäre um Scheinbeschäftigung. Das EU-Parlament muss allen neuen Kommissarinnen und Kommissaren zustimmen, bevor sie ihr Amt antreten können. Fallen sie durch, so muss ein neuer Kandidat bzw. eine neue Kandidatin gefunden werden.

Kommissarsanwärterin für Industrie und Binnenmarkt, Sylvie Goulard
AP/Olivier Matthys
Goulard ist Geschichte – sie wird nicht die nächste EU-Kommissarin für Industrie und Binnenmarkt

Macron machte die designierte EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen für das Debakel rund um Goulard verantwortlich. Sie sei es gewesen, die auf dieser Personalie bestanden habe, erklärte der Präsident. Für Frankreich soll den Job nun der frühere Finanzminister Thierry Breton auf Macrons Vorschlag hin erledigen – und das scheint schon fast wie Hohn. Breton gilt zwar als unumstrittener als Goulard, jedoch ist er Geschäftsmann und CEO etlicher Firmen. So hält er etwa Anteile am IT-Riesen Atos, die laut „Politico“ 34 Millionen Euro wert sein sollen.

„Es ist Provokation oder einfach eine Botschaft: Es muss eine stärkere europäische Industriepolitik geben, und zwar dringend“, so Autret. Macron wolle der EU damit sagen: „Hättet ihr vielleicht besser zweimal nachgedacht über Goulard, so wärt ihr am Ende besser ausgestiegen“, interpretierte die EU-Expertin. Wegen der Verzögerung bei der Bestellung der Kommission musste deren Amtsantritt übrigens um einen Monat auf den 1. Dezember verschoben werden. Abgelehnt wurden allerdings auch der Kandidat und die Kandidatin aus Ungarn und Rumänien.

„Er blockiert nicht, er verhandelt“

Als Blockierer sieht Autret Macron trotz der jüngsten Vorfälle nicht. Macron ist ihr zufolge immer noch ein Proeuropäer durch und durch, doch sei er kein Mann der Kompromisse. „Merkel macht Kompromisse. Macron sagt: ‚Ich weiß, was wir brauchen‘“, so Autret. „Ich würde aber nicht sagen, er blockiert – er verhandelt.“ Da Frankreich in den letzten Jahren relativ passiv gewesen sei, fühle Macron sich nun gezwungen, extra laut seine Meinung zu betonen.

Schließlich kämpfe er an vorderster Front vehement für ein Euro-Zonen-Budget, für eine europäische Armee und setze sich auch für eine gemeinschaftliche EU-Seenotrettung und faire Verteilung von Flüchtlingen ein. „Nur mit der Methode hat er ein Problem“, urteilte Autret darüber, dass Macron in letzter Zeit ständig mit der Vetokeule drohe. „Brüssel ist parlamentarischer. Das ist etwas, woran sich der französische Präsident, der zu Hause allmächtig ist, erst gewöhnen muss“, so die Expertin. „Er ist zu brutal.“