Jeremy Corbyn
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Großbritannien

Labour nun doch für Neuwahl

Die Chancen auf eine vorgezogene Neuwahl in Großbritannien sind Dienstagmittag deutlich gestiegen: Die Labour-Partei von Jeremy Corbyn will einen Neuwahlantrag von Premier Boris Johnson nun doch unterstützen. Damit steht einer Wahl im Dezember wohl nichts mehr im Weg. Doch alle Parteien, die sich nun hinter Johnsons Plan stellen, können die Wahl an Bedingungen knüpfen – für den Premier ist das ein großes Risiko.

Britische Medien berichteten darüber, dass Corbyn grünes Licht für den Neuwahlantrag gegeben hat: "Ich habe immer gesagt, dass wir bereit für eine Wahl sind und unsere Unterstützung davon abhängt, dass ein „No Deal"-Brexit vom Tisch ist. (…), für die nächsten drei Monate ist diese Bedingung nun gedeckt“, zitiert der „Guardian“ den Labour-Chef. Gegenüber der BBC bestätigte auch Labours Schattenjustizminister Richard Burgon, dass man eine vorgezogene Neuwahl unterstützen werde.

Labour kündigte wenig später „die größte Wahlkampagne aller Zeiten“ an. Man werde „total vereint, total entschlossen“ in diesen Wahlkampf gehen, so Corbyn. Unstimmigkeiten in seiner Partei sieht er betont gelassen: „Labour liebt eine Debatte. Die Partei liebt aber auch das Ende einer Debatte, wir gehen da jetzt raus, um zu gewinnen.“

Johnson scheiterte erst am Vortag mit einem Neuwahlantrag, der eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus gebraucht hätte. Ab Mittag wird nun stattdessen ein Gesetz vorgelegt, das nur eine einfache Mehrheit benötigt. Das Gesetz erlaubt jedoch Abänderungsanträge – und sämtliche Parteien, die sich jetzt hinter Johnson stellen, werden wohl Forderungen stellen.

Schon Terminfrage spaltet Parlamentarier

Allein die Frage, wann gewählt werden soll, sorgt für Diskussionen. Der Gesetzesantrag sieht eigentlich eine Wahl am 12. Dezember vor. Die Liberaldemokraten (Lib Dems) und die schottische SNP unterstützen einen solchen Vorschlag prinzipiell – jedoch nicht mit Wahltermin am 12. Dezember, wie von Johnson gefordert, sondern schon am 9. Dezember. Auch Labour soll mit dem 12. Dezember nicht glücklich sein – am Nachmittag wurde jedoch ankündigt, man unterstütze einen Neuwahlantrag „unabhängig vom Datum“. Der BBC zufolge erwägt die Regierung auch eine Wahl am 11. Dezember, um sich die Unterstützung der Parteien zu sichern.

Johnson machte zuvor bereits Zugeständnisse. So soll etwa das Brexit-Gesetz, das den Austritt aus der EU regelt – zum Unmut einiger Tory-Politiker –, vor der Wahl nicht noch einmal vorgelegt werden. Damit wolle man Bedenken der Lib Dems, Johnson könnte vor einer Neuwahl doch noch versuchen, das Brexit-Gesetz durchzupeitschen, beseitigen. Außerdem will er das Wahldatum dezidiert ins Gesetz schreiben lassen – ebenso aufgrund des anhaltenden Misstrauens der Opposition. Eine Kampagne, die die Bevölkerung auf ein „No Deal“-Szenario vorbereiten sollte, wurde pausiert.

Zieht Johnson Gesetz zurück?

Neben dem Datum drohen weitere Änderungen: Das könnte bei entsprechenden Anträgen bedeuten, dass beispielsweise schon 16-Jährige mitwählen dürfen oder dass EU-Bürgerinnen und -Bürger an der Wahl teilnehmen dürfen. Junge Briten gelten als sehr viel proeuropäischer als ihre Eltern und Großeltern.

Nachdem am Nachmittag im Unterhaus grünes Licht für Abänderungsanträge gegeben wurde – der nächste Rückschlag für den britischen Premier –, könnte Johnson dennoch die Reißleine ziehen. Ein Sprecher des Premiers sagte, dass man den Gesetzesantrag zurückziehen werde, wenn Abänderungsanträge wie das Wahlrecht für EU-Bürger oder 16-Jährige im Parlament Zustimmung finden.

Das könnte freilich auch eine Taktik sein, um all jene in der Opposition zu überzeugen, die von einer baldigen Neuwahl profitieren würden – denn die Abänderungsanträge könnten die Debatte in die Länge ziehen. Neben dem damit wackelnden Neuwahlantrag ist bisher aber auch noch gar nicht klar, ob und welche Abänderungsanträge am Abend zur Abstimmung gelangen.

EU gibt grünes Licht für Aufschub

Wenige Stunden vor der Abstimmung am Montag einigten sich die EU-Staaten auf einen Brexit-Aufschub bis Ende Jänner 2020. Die Entscheidung solle in einem schriftlichen Verfahren formalisiert werden, teilte EU-Ratschef Donald Tusk im Kurznachrichtendienst Twitter mit. Sollte die Ratifizierung des Austrittsabkommens vorher gelingen, sei der britische EU-Austritt auch vor Fristende möglich. Stichtag wäre dann jeweils der erste Tag des folgenden Monats. Mögliche Brexit-Daten wären somit der 1. Dezember, der 1. Jänner und der 1. Februar.

Johnson mit Appell an EU-Staaten

Johnson stimmte am Abend der Verlängerung der EU zu. Das ist auch im „Benn Act“, der Johnson schon zur Beantragung des Aufschubs verpflichtete, vorgesehen. In seinem Brief an Tusk schrieb Johnson, dass er keine andere Wahl hatte, als die Entscheidung der EU anzunehmen. Gleichzeitig rief er die Mitgliedsstaaten dazu auf, eine weitere Verlängerung über den 31. Jänner hinaus auszuschließen.

Johnson hatte kürzlich auf Druck des britischen Parlaments einen Antrag auf Verlängerung der Austrittsfrist bis Ende Jänner gestellt, obwohl er selbst den Brexit unbedingt am 31. Oktober durchziehen wollte. Er wolle „lieber tot im Graben liegen“, als eine weitere Brexit-Verschiebung zu beantragen, hatte er noch vor wenigen Wochen gesagt.

Als das Unterhaus eine Eilratifizierung des Austrittsvertrags ablehnte, war dieser Zeitplan aber praktisch nicht mehr zu halten. Der Rückschlag dürfte Johnson dennoch kaum bis gar nicht geschadet haben, wie der „Guardian“ in einer Kurzanalyse schrieb. Die britische Tageszeitung bezieht sich dabei auf jüngste Umfragen. Demzufolge liegen die Torys derzeit bei 35 Prozent, Labour bei 25 Prozent. Die Konservativen hätten somit seit Theresa Mays Rücktritt wieder Zugewinne verbucht.