Größter Massenprotest in Bagdad seit Sturz von Saddam

Zehntausende Irakerinnen und Iraker sind aus Protest gegen die politische Elite des Landes gestern erneut auf die Straßen Bagdads geströmt. Eine Frau kam der irakischen Menschenrechtsorganisation zufolge ums Leben, nachdem sie von einem Tränengaskanister am Kopf getroffen wurde. Die Demonstration ist die größte Antiregierungskundgebung in dem Golfstaat seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Saddam Hussein 2003.

Anti-Regierungs-Proteste in der irakischen Hauptstadt Baghdad
AP/Khalid Mohammed

Mindestens 155 Menschen wurden verletzt. Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse gegen die Demonstranten im Zentrum der Stadt ein. Bereits in der Nacht hatten Tausende Menschen im Zentrum der Hauptstadt ausgeharrt, Zehntausende weitere schlossen sich ihnen am Vormittag und nach den traditionellen Freitagsgebeten an.

Exekutive setzt Tränengaskanister als Waffe ein

Die Proteste begannen im Oktober. Vor allem in den vergangenen Tagen schlossen sich immer mehr Menschen aus unterschiedlichen Bevölkerungs- und Religionsgruppen den Demonstranten an. Während die Kundgebungen tagsüber meist friedlich verliefen und auch Familien und ältere Menschen auf die Straßen gingen, schlugen die Proteste nach Einbruch der Dunkelheit oft in Gewalt um. In der Nacht wurden bei Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften fünf Menschen getötet.

Demonstranten flüchten vor Tränengas in der irakischen Hauptstadt Baghdad
Reuters/Khalid Al Mousily

Amnesty International zufolge nutzten die Sicherheitskräfte neue Tränengaskanister, die Granaten nachempfunden wurden und zehn Mal schwerer sind als üblich. „Wir sind friedlich und doch schießen sie auf uns. Was sind wir, IS-Extremisten? Ich habe einen Mann sterben sehen. Ich habe einen Tränengaskanister ins Gesicht bekommen“, sagte der 21-jährige Barah.

Auch in anderen Landesteilen gingen Demonstranten trotz des harten Eingreifens der Sicherheitskräfte immer wieder auf die Straßen. Insgesamt wurden bislang 250 Menschen getötet.

Wut über wirtschaftliche Misere

Die Demonstranten beklagen die hohe Arbeitslosigkeit, Misswirtschaft und Korruption im Land. Sie fordern eine Ablösung der politischen Führungskräfte, die seit 2003 den Ton angeben, aus Sicht vieler Iraker aber lediglich Marionetten entweder der USA oder des Iran sind. Für Unmut sorgt vor allem, dass viele Iraker in Armut leben, kaum Zugang zu sauberem Trinkwasser, Elektrizität, Bildung oder medizinischer Versorgung haben, obwohl der OPEC-Staat über riesigen Ölreichtum verfügt.