Das Palais Ephrussi an der Wiener Ringstrasse
APA/Roland Schlager
Jüdisches Museum

Die Ephrussis sind zurück in Wien

Seit einem Jahr ist er als Leihgabe wieder in Wien: „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ – bekannt durch Edmund de Waals gleichnamigen Roman, der darin das Schicksal seiner Familie, der großbürgerlichen Ephrussis, nachzeichnet. Ebendies versucht die Ausstellung „Die Ephrussis. Eine Zeitreise“, die ab Mittwoch im Jüdischen Museum gezeigt wird.

Netsuke sind verzierte Knöpfe aus Elfenbein oder Holz, mit denen eine Tasche an einem Kimono befestigt werden kann. Ihrer eigentlichen Funktion beraubt, wurden die Schnitzereien aus Japan im Europa des späten 19. Jahrhunderts zum beliebten Sammelobjekt der Hautevolee. Damals gelangte auch der „Hase mit den Bernsteinaugen“ mit 263 anderen Netsuke in den Besitz der jüdischen Familie Ephrussi.

Die Geschichte des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstiegs der Ephrussis begann in der russischen Hafenstadt Odessa, weitete sich aber sukzessive auf ganz Europa aus. Bald waren die Ephrussis an Reichtum und Einfluss den Rothschilds ebenbürtig.

Der Hase mit den Bernsteinaugen
Jüdisches Museum Wien
Durch de Waal weltbekannt: „Der Hase mit den Bernsteinaugen“

Großes Netzwerk

Ein Zweig der Familie ließ sich in Paris nieder, wo Charles Ephrussi als Kunstsammler und Mäzen französische Impressionisten wie Edgar Degas, Edouard Manet und Auguste Renoir förderte. Er war es auch, der die Netsuke-Sammlung erworben hatte und sie später seinen Verwandten Viktor und Emmy, de Waals Urgroßeltern, zur Hochzeit schenkte. Außerdem inspirierte er Marcel Proust zu seinem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“.

Porträt von Ignaz Ephrussi
Jüdisches Museum Wien
Ignaz Ephrussi ließ das Palais an der Wiener Ringstraße bauen

Einen anderen Teil der Familie zog es nach Wien. Durch die Heirat von Ignaz Ephrussi mit Emilia Porges besiegelten die Ephrussis ihre Zugehörigkeit zu den alteingesessenen jüdischen Familien Wiens. 1869 erteilte Ignaz Ephrussi dem Lieblingsarchitekten des Wiener Großbürgertums, Theophil Hansen, den Auftrag, ein Palais am Franzensring 24, heute Universitätsring 14, zu errichten. 1873 wurde der Prunkbau vollendet.

„Mein Vater ist das einzige noch lebende Familienmitglied, das sich erinnert, in diesem Palais gespielt zu haben“, sagte Edmund de Waal am Dienstag in Wien, wohin er anlässlich der Ausstellung, wie gut 40 andere, über die ganze Welt verstreute Familienmitglieder, gekommen ist. Viele glückliche Jahre in seiner Heimat waren dem erwähnten, heute 90-jährigen Victor de Waal – er ist ebenfalls nach Wien gereist – allerdings nicht mehr vergönnt: Das Palais wurde bereits 1938 „arisiert“. Gedemütigt, verarmt und staatenlos flohen die Ephrussis in alle Himmelsrichtungen.

Netsuke gerettet

Nur ein Schatz der Familie konnte erhalten werden – die winzigen japanischen Netsuke. Zu verdanken war das Anna, einem Dienstmädchen der Ephrussis: Während die Nazis im Palais an der Ringstraße alle großen Dinge konfiszierten und katalogisierten, schaffte Anna die Figuren heimlich in der Schürzentasche in ihr Zimmer und versteckte sie in der Matratze. Nach dem Krieg gab sie die Sammlung an die Familie Ephrussi zurück, wo sie erst bei dem Bruder des 1945 im Exil verstorbenen Viktor, Ignaz, und später bei dessen Großneffen landete – Edmund de Waal.

Ausstellungshinweis

„Die Ephrussis. Eine Zeitreise“, bis 8. März, Jüdisches Museum Wien, sonntags bis freitags, 10.00 bis 18.00 Uhr.

157 Teile dieser „sehr großen Sammlung sehr kleiner Dinge“, wie sie de Waal bezeichnete, sind nun im Jüdischen Museum zu sehen – sie ziehen sich als roter Faden durch die verschiedenen Stationen der Schau. Die übrigen Netsuke wurden versteigert, um mit dem Erlös Flüchtlinge zu unterstützen. Weiteres Kernstück ist das Familienarchiv, das dem Jüdischen Museum im Vorjahr als Schenkung überlassen wurde.

Es beinhaltet vor allem Familienfotos, persönliche Dokumente, Tagebücher, Korrespondenzen, Geschenke, Schulfotos und Berichte von Theaterbesuchen. Das Archiv konnte noch vor dem Zugriff der Nationalsozialisten gerettet werden – wie, ist nicht ganz geklärt. Vermutlich aber gelang es Ignaz Ephrussi, das Archiv in einem großen Koffer 1939 von seinem Landsitz in Kövecses (slowakisch Strkovec) in der damaligen Tschechoslowakei nach England zu senden.

Autor Edmund de Waal
APA/Hans Punz
De Waal kam anlässlich der Ausstellungseröffnung nach Wien

Archiv als Anfang

„Dieses Archiv hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich Edmund de Waal für die Geschichte seiner Familie zu interessieren begann und es ihm gelingen sollte, diese zu recherchieren und zu beschreiben“, sagte Museumsdirektorin Danielle Spera einst bei der Schenkungsübergabe. De Waal formulierte es nach dem großen Erfolg seines Romans ähnlich: Bevor er zu recherchieren begann, wusste er nur, dass ein Teil seiner Familie jüdisch gewesen war – er selbst wuchs in einer anglikanischen Familie auf – und dass seine Großmutter und sein Großonkel in einem sehr wohlhabenden Haushalt in Wien groß wurden.

Dann begann die Suche – in Paris, in Wien, in Odessa und in vielen Büchern. „Es war eine große Reise, die viel verändert hat“, sagte de Waal – und: „Jetzt weiß ich nicht mehr, wo ich hingehöre.“ Dieses Gefühl begreifbar zu machen, zu zeigen, wie die großen Dinge mit den ganz kleinen zusammenhängen, ist Aufgabe und Intention der aktuellen Schau im Jüdischen Museum.