LNG-Terminal bei Venedig
Reuters/Stefano Rellandini
EU

Klimaschutz im Schatten der Erdöllobby

Die EU will das Klima retten, kooperiert aber auch eng mit den weltweit größten Erdölproduzenten und deren Lobbys. Die künftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich in ihrem „Green Deal“ zum Ziel gesetzt, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinenten zu machen. Gewinnen Erdöl- und Gaskonzerne jedoch weiter an Bedeutung, sei das ein Kampf gegen Windmühlen, kritisieren Umwelt-NGOs in Brüssel.

BP, Chevron, ExxonMobil, Shell und Total – sie alle haben auch Vertreterinnen und Vertreter im EU-Machtzentrum. Der NGO-Kampagne „Fossil Free Politics“ zufolge beschäftigen sie direkt und indirekt nahezu 200 Lobbyistinnen und Lobbyisten in Brüssel. Seit 2010 hätten die Ölriesen 251 Millionen Euro dafür ausgegeben. Unter dem scheidenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker hielten sie Beobachterinnen und Beobachtern zufolge mindestens 327 hochrangige Treffen ab.

Die Organisationen Corporate Europe Observatory, Food & Water Europe, Friends of the Earth Europe und Greenpeace EU erheben den Vorwurf, dass die Erdöllobby in Brüssel systematisch EU-Bemühungen zum Klimaschutz „verzögern, schwächen und sabotieren“ würde, da sie in entscheidenden Treffen säße. Auf Klimaveranstaltungen würden sich Erdöl- und Gaskonzerne außerdem Subventionen sichern, so der Vorwurf. Durch das Netzwerken in Brüssel sollen die Ölgiganten alleine letztes Jahr insgesamt 82 Milliarden US-Dollar (74 Mrd. Euro) Profit gemacht haben. Dieselben Firmen seien gleichzeitig für 7,4 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen zwischen 1988 und 2015 verantwortlich.

„Die Demokratie lebt vom Meinungsaustausch“

Abgestritten wird ein Zusammenwirken weder von der EU-Kommission noch von der Industrie. Eine Sprecherin von Shell erklärt gegenüber ORF.at, worum es ihrem Konzern dabei gehe – und zwar unter anderem um die Grundrechte in der EU. „Die Demokratie lebt vom Meinungsaustausch verschiedener Akteure“, erläutert sie die Lobbytätigkeit von Shell und verweist auf den Verhaltenskodex des Unternehmens. Darin heißt es unter anderem, Shell leiste keine finanziellen Zuwendungen an politische Parteien und beteilige sich auch nicht parteipolitisch.

Die designierte EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen
APA/AFP/Tobias Schwarz
Die Kommission unter von der Leyen hat sich dem „Green Deal“ verschrieben

Jedoch habe man „das Recht und die Pflicht, gegenüber Regierungen, unsere Position in Angelegenheiten, die uns, unsere Mitarbeiter, unsere Kunden, unsere Aktionäre oder das lokale Gemeinwesen betreffen, in einer Weise zu verdeutlichen, die unseren Werten und Unternehmensgrundsätzen entspricht“. Ähnlich argumentiert auch ExxonMobil: „Wir haben eine Verpflichtung unseren Kunden, Arbeitnehmern, Gesellschaften und Shareholdern gegenüber“, so ein Exxon-Sprecher zu ORF.at. Es gehe dabei um den Dialog, man halte sich an alle Vorgaben des EU-Transparenzregisters.

„Wenig Transparenz auf unteren Ebenen“

Umweltschutzorganisationen betonen, dass Lobbyistinnen und Lobbyisten nicht immer direkt von den Großkonzernen zum Netzwerken geschickt würden, sondern Prozesse häufig im Hintergrund ablaufen. So gebe es eindeutige Lobbyistinnen und Lobbyisten, die im Transparenzregister ausgewiesen seien, doch basiere dieses auf freiwilliger Basis. „Es gibt ganz viele Events, die von Kommission oder Parlament abgehalten und von der Öl- und Gaslobby mitorganisiert werden“, erläutert Frida Kieninger von der NGO Food & Water Europe, die der Kampagne „Fossil Free Politics“ angehört.

Zusätzlich aber würden weitere, den Konzernen zuordenbare Beraterinnen und Berater daran arbeiten, Interessen der Erdölriesen voranzutreiben. „Es geht darum, sich bei Klimaevents, bei irgendwelchen Meetings einzuschleusen und die Sicht, beispielsweise von Exxon, zu vertreten in puncto Klimawandel“, so Kieninger. Illegal sei das nicht, doch gerade auf den unteren Ebenen gebe es wenig Transparenz. Vonseiten der scheidenden Juncker-Kommission heißt es gegenüber ORF.at, man setze sich für mehr Transparenz in allen Bereichen ein.

ExxonMobil Niederlassung bei Brüssel
Reuters/Sebastien Pirlet
Austausch sei wichtig – und zwar mit allen Playern, sagt die EU-Kommission

Die EU-Kommission betont unterdessen, dass es Treffen mit Lobbyistinnen und Lobbyisten der Öl- und Gasindustrie gebe, diese aber „nicht unangemessen hoch“ seien. Auch sei es „eine gute Praxis“, wenn Politikerinnen und Politiker sich mit externen Akteurinnen und Akteuren – sowohl aus dem NGO- als auch aus dem Energiebereich – treffen würden, insbesondere dann, wenn sie von der EU-Politik unmittelbar betroffen seien. Und das ist bei der geplanten Neustrukturierung durch von der Leyens „Green Deal“ der Fall.

Von der Leyen: „Gas muss eine Rolle spielen“

Wenn auch der genaue Inhalt vom „Green Deal“ noch nicht bekannt ist, wird in Brüssel trotzdem schon fleißig darüber diskutiert und lobbyiert. Eingeläutet werden soll der Plan nämlich durch eine Übergangsphase, bei der verflüssigtes Erdgas und CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture Storage, CCS) vorgesehen sind. Das Ziel von CCS ist es, der Reduzierung von CO2-Emissionen in die Atmosphäre durch Einlagerung in unterirdischen Lagerstätten vorzubeugen. Von der Leyen hatte das im Missionsschreiben an ihre künftige Energiekommissarin Kadri Simson formuliert.

„Gas muss eine Rolle spielen im Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft, insbesondere durch CO2-Abscheidung und -Speicherung. Sie werden beurteilen, wie die Bezugsquellen zu wettbewerbsfähigen Preisen diversifiziert werden können, indem insbesondere das Potenzial von erschwinglichem Flüssigerdgas voll ausgeschöpft wird“, heißt es darin. Auch die WKÖ teilt ORF.at in Brüssel mit, dass von der Leyens Klimaziele, wenn sie mit energieintensiver Industrie vereinbar sein sollen, ohne Technologien wie verflüssigtes Erdgas, CCS und Wasserstoff wohl auf EU-Ebene nicht erreichbar sein werden.

„Green Deal“ nur „schönes grünes Mäntelchen“?

Flüssigerdgas, CCS und Wasserstoff werden wiederum von den Umwelt-NGOs kritisiert: Diese Technologien würden zwar Bereitschaft signalisieren, seien aber bei genauerer Betrachtung nicht „erneuerbar“, so Kieninger, und nennt als Beispiel Wasserstoff. „96 Prozent des gehandelten Wasserstoffs basiert auf fossilen Brennstoffen, und so wird verschleiert, was eigentlich dahinter steckt.“ Ähnlich prekär sieht sie CCS, was in Österreich aber generell verboten ist. In anderen EU-Ländern gibt es bei derartigen, kostspieligen Vorhaben, um die Klimakrise aufzuhalten, jedoch auch unzählige Bedenken. So kann es im Falle von Lecks zu schädlichen Wirkungen auf Grundwasser und Boden kommen.

Das Gelaende fuer die unterirdische Lagerung von CO2 in Barendrecht, Niederlande.
AP/Peter Dejong
Die unterirdische Lagerung von CO2 ist in den Niederlanden schon Realität

Für Kieninger ist das Zeichen genug, dass sich von der Leyen mit dem „Green Deal“ ein „schönes grünes Mäntelchen“ umhängen wolle, und interpretiert: „Das bedeutet, gefracktes Flüssigerdgas aus den USA, aus Katar mit einer katastrophalen Klimabilanz, noch schlimmer als Kohle.“ Ihr gebe das wenig Anlass auf Hoffnung, sagt die NGO-Vertreterin. „Es müsste einiges passieren, dass der Deal das so viel verwendete Wort ‚Green‘ verdient.“

EIB will Unterstützung für fossile Projekte streichen

Von anderer Seite gibt es Unterstützung für den von der Kommission geplanten Übergang von fossiler auf erneuerbare Energie. Die Europäische Investitionsbank (EIB) versprach Mitte November die finanzielle Unterstützung für fossile Brennstoffe ab 2021 zu streichen. Die von den NGOs kritisierten Methoden CCS, Wasserstoff und Biogas werden dabei aber neuerlich nicht ausgeschlossen.

„Wir sind offen für Technologie“, sagte EIB-Präsident Werner Hoyer zu ORF.at in Luxemburg, wo die EIB ihren Sitz hat. „Ich will diese Entwicklungen nicht ausschließen.“ Umwelt-NGOs wie Greenpeace fordern aber eine sofortige Abkehr, wenn auch der grundsätzliche Schritt der EIB begrüßt wurde. Da die EIB einer der angesehensten und größten Kreditgeber der Welt ist, könnte ihre politische Ausrichtung von anderen Geldhäusern widergespiegelt werden.

NGO-Vertreterin Kieninger befürchtet jedoch, es werde sich wenig ändern, solange Politikerinnen und Politiker mit der fossilen Brennstoffindustrie in engem Austausch stehen – zu klar sei das Interesse, das fossile Business aufrechtzuerhalten. „Das ist dieser Interessenkonflikt, der unauflösbar ist, solange diese Mächte mit am Tisch sitzen und diverse Channels haben, wie sie Entscheidungsträger beeinflussen können“, zeigt sich Kieninger überzeugt und nennt den Umgang zwischen WHO und Tabaklobby als Beispiel: „Es wäre inakzeptabel, wenn die Tabaklobby in einem Gesundheitsevent sitzen würde und gleichzeitig sitzt aber die fossile Brennstofflobby in wichtigen Gremien zum Klima.“