Wahlplakat mit dem PSOE-Spitzenkandidaten Pedro Sanchez
AP/Alvaro Barrientos
Spanien-Wahl

Zwischen Blockade und Katalonien-Krise

Bereits zum vierten Mal in vier Jahren sind die Spanierinnen und Spanier am Sonntag zur Parlamentswahl aufgerufen. Doch erneut scheint kein Ende der politischen Pattsituation in Sicht. Denn weder die Sozialisten noch die Konservativen dürften Fachleuten zufolge eine Mehrheit zustande bringen. Zulauf soll hingegen neuerlich die ultrarechte Vox-Partei bekommen. Sie gilt als größter Nutznießer der Katalonien-Krise, die sich zuletzt zuspitzte.

„Wenn es keine Riesenüberraschung gibt, werden wir nach so langer Zeit weiterhin blockiert und gelähmt bleiben“, schrieb Angel Fermoselle, ein Kolumnist der spanischen Digitalzeitung El Espanol. Tatsächlich dürfte sich das Gesamtbild im Madrider Parlament seit der Wahl im April Umfragen zufolge kaum entscheidend ändern.

Die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) des Ministerpräsidenten Pedro Sanchez dürfte ihren letzten Wahlsieg zwar wiederholen, mit bis zu 28 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit von 176 der 350 Sitze im Parlament aber erneut deutlich verfehlen. Die stärkste Oppositionskraft, die konservative Volkspartei (PP) unter Pablo Casado, kann nach einem von „El Pais“ erstellten Durchschnitt der wichtigsten Umfrageergebnisse mit dem zweiten Platz und gut 21 Prozent rechnen.

Pablo Casado, Pedro Sanchez, Santiago Abascal,  Pablo Iglesias und Albert Rivera
AP/Bernat Armangue
Spitzenkandidaten v. l. n. r.: Pablo Casado, Pedro Sanchez, Santiago Abascal, Pablo Iglesias und Albert Rivera

Sanchez beharrt auf Minderheitsregierung

In Spanien hat es nach dem Tod von Diktator Franco 1975 vor allem wegen des faktischen Zweiparteiensystems aus PP und PSOE, das 40 Jahre lang angehalten hat, nie eine Regierungskoalition gegeben. Weil sich die zwei großen Blöcke in den letzten Jahren auf immer mehr Parteien aufteilten, gestalteten sich auch Regierungsbildungen zunehmend schwierig.

Grafik zu Umfragen vor der Wahl in Spanien
Grafik: ORF.at; Quelle: El Pais

Der 47-jährige Sanchez, der nach einem Misstrauensvotum gegen seinen konservativen Vorgänger Mariano Rajoy seit Juni 2018 im Amt ist, forderte bis zuletzt von seinen Rivalen die Duldung einer sozialistischen Minderheitsregierung. Als ausgeschlossen gilt eine Große Koalition mit der PP genauso wie eine linksgerichtete Koalition zwischen PSOE und der Podemos-Partei von Pablo Iglesias. Auch Iglesias’ zahlreiche Versuche, Sanchez im Zuge der einzigen TV-Debatte mit allen Spitzenkandidaten am Montag auf einen Linkspakt zu verpflichten, liefen ins Leere.

Spanien droht weiter politisches Patt

Nach gescheiterten Regierungsverhandlungen wählt Spanien am Sonntag zum vierten Mal in vier Jahren ein neues Parlament. Das politische Patt wird sich aber vermutlich nicht auflösen.

Iglesias werde „von vielen Wählern die Hauptschuld für das Scheitern der Koalitionsgespräche mit den Sozialisten nach den Wahlen im April gegeben“, sagte der Wahlforscher Jose Pablo Ferrandiz zur APA. Podemos dürfte aller Voraussicht zahlreiche Wähler an die neue Linkspartei Mas Pais von Podemos-Mitgründer Inigo Errejon verlieren, die sich für eine linke, progressive Regierung in Position bringt. Als große Verlierer sollen in Ermangelung eindeutiger Positionen die konservativ-liberalen Ciudadanos von Albert Rivera hervorgehen.

Rechte profitieren von Katalonien-Krise

Gerade aufgrund der komplizierten politischen Situation rund um die Katalonien-Krise würden die Spanier genau wissen wollen, woran sie sind, so Ferrandiz. Der Konflikt mit Kataloniens separatistischer Unabhängigkeitsbewegung spiele gerade unter dem Eindruck der schweren Ausschreitungen nach der Verurteilung von neun Separatistenführern wegen der Durchführung des illegalen Unabhängigkeitsreferendums 2017 eine wichtige Rolle, so Ferrandiz. „Selten war das Gefühl, die nationale Einheit stehe auf dem Spiel, so groß wie derzeit.“

Demonstration der Separatisten in Spanien
Reuters/Enrique Calvo
In Katalonien spitzte sich der Unabhängigkeitskonflikt in den vergangenen Monaten gefährlich und gewalttätig zu

Am meisten davon profitieren dürfte die Vox-Partei unter der Führung von Santiago Abascal – Umfragen zufolge könnte sie die Zahl ihrer Mandate von 24 auf 49 mehr als verdoppeln und damit drittstärkste Kraft hinter PSOE und PP werden. „Ihr nationalistischer Diskurs und die Forderungen nach einem harten Vorgehen in Katalonien kommen bei vielen potenziellen Wechselwählern derzeit gut an“, sagte auch Politologe Pablo Simon im Gespräch mit der APA. Vox schaffte überhaupt erst im April den Sprung ins Parlament.

Sanchez will Referenden verbieten lassen

Sanchez stellte bei einer TV-Debatte Anfang der Woche überdies in Aussicht, Referenden über die Unabhängigkeit von Spanien „ein für allemal zu verbieten“. Vox-Chef Abascal ging das nicht weit genug. Er forderte, den katalanischen Regionalpräsidenten Quim Torra „in Handschellen“ abzuführen und vor Gericht zu stellen. Auch nach Ansicht von PP-Chef Casado könne Torra keinen Tag länger im Amt bleiben, falls sich „die Gewalt in den Straßen von Barcelona“ fortsetzen sollte.

Der Katalonien-Streit eskalierte, nachdem der Oberste Gerichtshof in Madrid Mitte Oktober Haftstrafen von bis zu 13 Jahren gegen führende Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung verhängte. Seither gab es in der Region nicht nur wiederholt Massenproteste, sondern zunehmend auch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften.

In der abtrünnigen Region sollen am Sonntag neben rund 8.000 Beamten der Regionalpolizei bis zu 4.500 Einsatzkräfte der Nationalpolizei und der Zivilgarde für Sicherheit und Ordnung sorgen. Die Behörden befürchten Chaos. Doch in der viertgrößten Volkswirtschaft der Europäischen Union sorgen auch schlechte Wirtschaftsdaten für Alarmstimmung.

Expertin über drei Optionen, die keiner in Erwägung zieht

Nach Ansicht der Politologin Veronica Fumanal werde es nach der Wahl jedenfalls nur drei Optionen geben, „die aber von keiner Partei in Erwägung gezogen werden“: Man müsse entweder Abkommen mit den katalanischen und baskischen Separatisten schließen, mit dem politischen Rivalen kooperieren oder aber eine dritte Neuwahl in Serie in Kauf nehmen.

Die Wählerinnen und Wähler haben das zähe und scheinbar ausweglose politische Geplänkel offensichtlich satt: Die Zahl der Spanier, die eine Briefwahl beantragt haben, ging nach Angaben der Post im Vergleich zu April um 30 Prozent auf 900.000 zurück. Und nach einer Umfrage der Zeitung „La Razon“ wird die Wahlbeteiligung, die zuletzt noch bei stolzen 72 Prozent lag, um rund fünf Prozentpunkte zurückgehen.

Jose Ignacio Torreblanca vom European Council on Foreign Relations erwartete indes bereits, dass auch die kommende Regierung auf keinen Fall die vorgesehene Zeit von vier Jahren im Amt bleiben wird. Es wäre dann die fünfte Wahl seit Ende 2015.