Überwachungskamera
ORF.at/Roland Winkler
Vor Start in Österreich

Umstrittene Gesichtserkennung rückt näher

Die Ankündigung im April ist einigermaßen überraschend gekommen: Bis zum Dezember, hieß es damals, wird das Bundeskriminalamt (BK) Gesichtserkennung als neue Beweismethode zum Einsatz bringen. Ob der Starttermin für die umstrittene Technik auch hält, ist aber ungewiss.

Derzeit sei das System jedenfalls noch nicht operativ, sagte BK-Sprecher Vincenz Kriegs-Au gegenüber ORF.at. Ob sich das im Laufe der kommenden drei Wochen ändern werde, könne er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Klar sei dagegen die geplante Funktionsweise: Begeht jemand eine Straftat, etwa einen Tankstellen- oder Bankraub, kann die Polizei aus den Bildern der Überwachungskameras Fotos generieren lassen. Diese werden dann mit der Referenzdatenbank der Polizei abgeglichen. Darin befinden sich Bilder von Personen, die bereits einmal erkennungsdienstlich erfasst wurden.

Der Einsatz der Software ist dem Innenministerium zufolge durch das Sicherheitspolizeigesetz (SPG) und die Strafprozessordnung (StPO) legitimiert und erfolgt bei allen gerichtlich strafbaren Vorsatztaten, „wenn von dem oder den unbekannten Täter/n qualitativ geeignete Lichtbilder aus Überwachungskameras oder anderen Geräten (z. B. Aufnahmen mit Mobiltelefonen) vorhanden sind, durch Abgleich dieser mit den Lichtbildern der Referenzdatenbank“, hieß es im Juni in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage von NEOS an seinen Vorgänger Herbert Kickl (FPÖ) durch Innenminister Wolfgang Peschorn.

450.000 Euro Anschaffungsgebühr

Der Erwerb der Gesichtserkennungssoftware brachte Kosten von 450.000 Euro mit sich – dazu kommen nicht näher bezifferte, laufende Ausgaben für die Wartung. Vier Bieter hatten sich im Vorfeld an der Ausschreibung beteiligt, den Zuschlag erhielt die Firma Atos IT Solutions and Services GmbH mit dem Subunternehmen Cognitec Systems GmbH. Laut Anfragebeantwortung werden die Bilder ausschließlich mit der Referenzdatenbank der Polizei gegengecheckt und derzeit nicht an europäische Strafbehörden weitergegeben.

Auch darüber hinaus ist man seitens des Innenressorts bemüht, Bedenken gegen das neue System auszuräumen: „Der Suchvorgang erfolgt nicht automatisch, sondern muss durch einen Beamten bzw. eine Beamtin ausgelöst werden“, heißt es in dem Statement. Gegenüber ORF.at hielt BK-Sprecher Kriegs-Au fest: „Der Einsatz des Gesichtsfelderkennungssystems erfolgt ausschließlich nach Begehung einer gerichtlich strafbaren, vorsätzlichen Straftat. (…) Eine Echtzeitüberwachung durch Onlinezugriffe auf Videokameras im öffentlichen oder halböffentlichen Bereich ist nicht geplant und mit der gekauften Software auch nicht möglich.“

Polizeibus bei Demonstration in Wien
ORF.at/Roland Winkler
Eine Echtzeitüberwachung steht in Österreich derzeit nicht zur Diskussion

Nur ein „Ermittlungsansatz“

Als eindeutiges Beweismittel sollen die Treffer der Software nicht dienen, so Kriegs-Au, eher als „Ermittlungsansatz“ – sprich zur Abklärung, etwa wo sich die verdächtige Person zum Tatzeitpunkt aufgehalten hat. Eine bestimmte Schwere dieser Tat ist laut Anfragebeantwortung aber nicht vorgesehen: „Der Einsatz bzw. Abgleich ist bei allen gerichtlich strafbaren Vorsatztaten zulässig, um diese Straftaten durch Identifizierung des unbekannten Täters oder der unbekannten Täter zu klären, und dadurch auch künftige Straftaten zu verhindern.“

Beim Einsatz der Software orientiere man sich „an Sicherheitsbehörden anderer EU-Mitgliedsstaaten, wie beispielsweise die Niederlande, Frankreich oder auch Deutschland bzw. einzelner Bundesländer Deutschlands.“ Vergleiche mit China, wo Gesichtserkennungssysteme beispielsweise auch zur Bestrafung von telefonierenden Autofahrerinnen und Autofahrern oder Fußgängerinnen und Fußgängern, die bei Rot über die Ampel gehen, zum Einsatz kommen, wies Kriegs-Au bereits bei Bekanntwerden der Pläne zurück. „So etwas kommt in Österreich nicht“, denn: „Dafür gibt es gar keine gesetzliche Grundlage, und die Polizei hat auch gar keine Kameras dafür.“

China als Vorreiter – und als Abschreckung

In China gibt es – dem System entsprechend – kaum Debatten über Gesichtserkennungssysteme, immer mehr zentrale Datenbanken entstehen, auf die auch private Firmen zugreifen dürfen. So werden etwa im geplanten Freizeitpark der Universal Studios in Peking die Besucherinnen und Besucher den Eintrittspreis, Essen und Getränke auf dem Gelände sowie Gepäckfächer künftig per Gesichtskennung zahlen können. Im Freizeitpark werden überall Kameras angebracht, die mit der Plattform des chinesischen Internetkonzerns Alibaba für digitales Bezahlen verbunden sind.

Demonstration von Gesichtserkennung bei Ausstellung in China
Reuters/China Daily
In China gehört Gesichtserkennung zum Alltag

Selbst auf Pandabären dehnt China die Gesichtserkennung aus: Wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua im Frühjahr meldete, soll eine neue App Wildhütern dabei helfen, einzelne Bären eindeutig zu identifizieren. Unterstützt wird sie von einer Datenbank, die 120.000 Bilder und 10.000 Videoaufnahmen von Riesenpandas gespeichert hat. Eine weitaus fragwürdigere Anwendung betrifft die muslimische Minderheit der Uiguren in China: Medienberichten zufolge werden diese nicht nur in ihrer Heimatprovinz Xinjiang, sondern in ganz China mittels Gesichtserkennung überwacht. Ein spezielles Programm soll Uiguren dabei aufgrund ihres Aussehens herausfiltern.

Bedenken wachsen

In Frankreich sorgten jüngst Pläne zur Gesichtserkennung an Schulen für Aufsehen: In Nizza und Marseille, so der Plan der konservativen Regionalregierung, sollte es mit Kameras ausgestattete Eingangsportale geben, die sich nur dann öffnen, wenn das Gesicht einer Schülerin oder eines Schülers elektronisch erkannt wird. Doch die Pariser Datenschutzbehörde schob den Plänen einen Riegel vor – sie nannte eine Gesichtserkennung bei Schülern und Lehrern „unnötig und unverhältnismäßig“. Herkömmliche Ausweise würden für Kontrollen völlig ausreichen.

Auch in den USA wachsen die Bedenken: Im Mai 2019 beschloss die Stadt San Francisco, ihrer Polizei und den städtischen Behörden den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware zu verbieten, wie „Spektrum“ (Onlineausgabe) berichtete. Die kalifornische Stadt Oakland und die Stadt Somerville an der Ostküste, in der Nähe von Boston, zogen nach. Der Staat Kalifornien hat außerdem ein Gesetz beschlossen, das die Benutzung entsprechender Apps auf den Bodycams von Polizisten vorläufig verbietet.

„Gesichtserkennung ist ein schwerer Eingriff“

Wenig Wunder, dass auch Datenschützern alarmiert sind. In einem Beitrag der NGO Epicenter.works hieß es: „Gesichtserkennung an sich ist aus unserer Sicht ein schwerer Eingriff, denn hier werden nicht nur Daten gesammelt, sondern auch biometrische Daten analysiert und ausgewertet. Zwar betont die Polizei, dass es – im Gegensatz zu China – in Österreich keine Pläne gibt, Gesichtserkennung als Echtzeit-Tool einzusetzen, aber aus der Vergangenheit wissen wir, dass solche Eingriffe bzw. Befugnisse meist nach und nach ausgeweitet werden.“ Wie das BK damit umgeht, wird sich weisen – ab Dezember oder erst im kommenden Jahr.