Oliver Varhelyi
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Kommissionshearing

EU-Parlament lässt Ungarn zappeln

Die Anhörungen der designierten EU-Kommissare und -Kommissarinnen vor dem Europaparlament sind am Donnerstag in eine weitere Runde gegangen. Der ungarische Kandidat Oliver Varhelyi erhielt dabei vorerst nicht den Segen der Abgeordneten. Auch der Zeitplan der Kommission wackelt erneut, weil London keinen Kandidaten schicken will – eine Haltung, die nun ein EU-Verfahren nach sich zieht.

Nötig ist das Frage-Antwort-Spiel zwischen den EU-Kommissionskandidaten und den zugehörigen EU-Parlamentsausschüssen, damit die künftige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr Team endlich fixieren kann. Den Beginn machte am Donnerstag Varhelyi, der aber nicht einmal eine einfache Mehrheit im EU-Parlament erhielt. Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke im Ausschuss wollen ihn deshalb bitten, zusätzliche Fragen schriftlich zu beantworten. Damit wurde nicht vor nächster Woche gerechnet.

Varhelyi ist als EU-Erweiterungskommissar nominiert. Eigentlich hätte sich darum Laszlo Trocsanyi, der vorherige ungarische Kandidat, kümmern sollen, doch er wurde vom EU-Parlament abgelehnt. Auch die Rumänin Adina-Ioana Valean und der Franzose Thierry Breton, die am Donnerstag zur Anhörung antraten, waren nicht die erste Wahl – weder die der jeweiligen Staaten noch die der künftigen Kommissionspräsidentin selbst. Doch Valean und Breton erhielten schließlich grünes Licht.

Breton, der Großunternehmer

Breton wird den Bereich Binnenmarkt und Industriepolitik übernehmen. Der 64-Jährige leitete bisher das IT-Unternehmen Atos. Davor war er unter anderem Chef von France Telecom, von 2005 bis 2007 auch französischer Wirtschafts- und Finanzminister. Am Dienstag kam Breton mit zwölf gegen elf Stimmen nur knapp durch die Prüfung auf Interessenkonflikte im Rechtsausschuss des EU-Parlaments. Insbesondere Linke und Sozialdemokraten kritisieren seine enge Verflechtung mit der Industrie, die aus ihrer Sicht in seinem Ressort Probleme bereitet. Breton bestätigte im Hearing, er habe alle Anteile an Atos verkauft, was seine Integrität beweisen soll.

Thierry Breton
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Breton sagt, er habe seine Firmenanteile verkauft

Die EU-Nachrichtenplattform Politico berechnete noch vor ein paar Wochen, er besäße Anteile im Wert von 34 Millionen Euro. Breton zeigte „ein Zertifikat“ her, um zu beweisen, dass er seine Unternehmensanteile „auf dem Markt“ verkauft haben soll. „Ich habe keine Interessen mehr an den Unternehmen, die ich geführt habe. Null. Kein Interesse“, fügte er hinzu. Bei möglichen Interessenkonflikten versprach er „radikales“ Vorgehen. Er versprach dabei unter anderem, keine Vertreter von Unternehmen alleine zu empfangen, die er früher geleitet habe. „Mein Kompass wird das allgemeine europäische Interesse sein“, bekräftigte Breton. Bei jeglichen finanziellen Angelegenheiten in Bezug auf seine bisherigen Unternehmen werde er sich heraushalten.

Ursprünglich war die frühere Verteidigungsministerin Sylvie Goulard als französische Kandidatin für die neue EU-Kommission vorgesehen. Sie fiel jedoch bei der Abstimmung in den zuständigen EU-Parlamentsausschüssen wegen laufender Ermittlungen zu einer Affäre um Scheinbeschäftigung durch.

Valean, die EU-Erfahrene

Die Rumänin Valean sprach am Donnerstag vorm Verkehrsausschuss im Parlament. Sie ist bisherige Europaabgeordnete und wird nun den Bereich Verkehr in der neuen Kommission übernehmen. Die frühere Mathematiklehrerin war von 2004 bis 2006 zunächst Abgeordnete im Parlament in Bukarest und gehört seit der Aufnahme Rumäniens in die EU im Jahr 2007 dem Europaparlament an. Von 2014 bis 2017 war die Liberalkonservative eine der Vizepräsidentinnen der EU-Volksvertretung. Derzeit leitet die 51-Jährige den Ausschuss für Industrie und Forschung.

Sie wolle die Zahl der Verkehrstoten in der EU halbieren, sagte Valean bei ihrer Anhörung. Die EU habe zwar das sicherste Verkehrssystem der Welt, 25.000 Tote pro Jahr seien jedoch zu viel, so die Rumänin. Sie kündigte ihren Einsatz für die Reduktion bis 2030 auf Basis der Daten des kommenden Jahres an. Weiters sprach sie den von der künftigen EU-Kommission angekündigten „Green Deal“ an, der die EU bis 2050 in die Klimaneutralität führen soll.

Ioana Valean
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Auch Valean gilt aus EU-erprobt

Dieser ist laut der EU-Kommissarskandidatin nur mit dem Verkehr „im Herzen“ möglich. Valean will den „Umweltfußabdruck“ von Mobilität und Verkehrsaktivitäten reduzieren und sieht private Investitionen als gefragt an. Valean sprach sich unter anderem dafür aus, unnötige CO2-Emissionen zu reduzieren und nannte überflüssige ungünstig geführte Flüge am „gemeinsamen Himmel der EU“ als Beispiel. Des Weiteren will sie die urbane Mobilität verbessern und sich für preislich erschwingliche Alternativen zu privaten Autos einsetzen.

Valean ersetzt die ursprüngliche rumänische Kandidatin Rovana Plumb. Auch Plumb überstand schon die Hürde der Prüfung von Interessenkonflikten im Rechtsausschuss des EU-Parlaments nicht. Grund waren Unklarheiten bei der Herkunft von Krediten der Sozialdemokratin von fast einer Million Euro. Valean passierte dagegen problemlos die Prüfung vorab im Rechtsausschuss.

Varhelyi, der Orban-Vertraute

Wackelkandidat bleibt der Ungar Varhelyi. Gegenüber dem als Vertrauten von Ministerpräsident Viktor Orban geltenden Kandidaten gibt es etwa seitens der österreichischen EU-Delegationen Vorbehalte hinsichtlich seiner Integrität. Der Vorsitzende des Außenausschusses des EU-Parlaments David McAllister stellte allerdings gemeinsame Ziele mit Varhelyi in Hinblick auf ein „breites Spektrum an Fragen“, insbesondere zum Westbalkan und der Türkei, fest.

Oliver Varhelyi
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Varhelyi gilt als enger Vertrauter Orbans

Zudem habe es ein „klares Bekenntnis zur Kooperation mit dem Europaparlament“ seitens Varhelyis gegeben, so McAllister. Der designierte EU-Erweiterungskommissar sprach sich zudem für einen neuen Anlauf der Beitrittsgespräche mit den Westbalkan-Staaten Albanien und Nordmazedonien aus.

Der 47-jährige Diplomat vertritt bisher als „ständiger Vertreter“ die Interessen seines Landes bei der EU und gilt als Brüssel-Insider. Er war zwischen 2011 und 2015 schon stellvertretender EU-Botschafter und von 2008 bis 2011 Abteilungsleiter in der EU-Kommission für gewerbliche Eigentumsrechte. Zuvor arbeitete der Jurist im ungarischen Justizministerium in der Abteilung für Europarecht.

Verfahren gegen Großbritannien

Obwohl Großbritannien eigentlich müsste – schließlich ist der Brexit ja noch Zukunftsmusik – weigert sich das Land, einen geeigneten Kommissionskandidaten nach Brüssel zu schicken. Zumindest vor der britischen Parlamentswahl am 12. Dezember soll das nicht geschehen. Und somit könnte das Zeitfenster für von der Leyen, die eigentlich schon am 1. November mitsamt ihrer Kommission das Amt antreten hätte sollen, immer schmäler. Auch der darauf folgende Termin am 1. Dezember ist noch fraglich.

Von der Leyen hatte den britischen Premierminister Boris Johnson in den vergangenen Tagen zweimal angeschrieben und gedrängt, einen Kandidaten für die EU-Kommission zu benennen. Der neue Brexit-Termin ist der 31. Jänner und liegt somit nach dem geplanten Amtsantritt der EU-Kommission. Die britische Regierung teilte von der Leyen schriftlich mit, dass eine Nominierung nicht möglich sei. Grund sind den Angaben zufolge Konventionen in Großbritannien, die den Handlungsspielraum einer Regierung kurz vor einer Parlamentswahl einschränken.

Die Kommission eröffnet nun ein Verfahren gegen Großbritannien. Das Land verstoße gegen seine vertraglichen Verpflichtungen, wenn es keinen Kandidaten nennt, hieß es in einer Mitteilung. London solle darauf bis zum 22. November antworten.