Chinesischer Soldat blickt durch eine Vorhangspalte
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„Absolut keine Gnade“

Brisantes Leak aus Chinas Parteizentrale

Im Konflikt mit der muslimischen Minderheit der Uiguren hat die chinesische Regierung nun offenbar Erklärungsbedarf. Regierungsdokumente, die am Samstag veröffentlicht wurden, zeigen laut „New York Times“, wie schonungslos die chinesische Führung gegen die Minderheit vorging. Den Beamten wurde befohlen, „absolut keine Gnade“ zu zeigen.

Die „New York Times“, der die mehr als 400 Seiten zugespielt wurden, spricht vom „bedeutendsten Leak aus der Kommunistischen Partei seit Dekaden“. Das US-Medium hat laut eigenen Angaben die Dokumente von einem Vertrauensmann erhalten und ausgewertet. In den Papieren wird geschildert, mit welchen Methoden Sicherheitskräfte und Regierungsbeamte gegen die Minderheit vorgehen sollten und wie interne Kritik an der Operation von Anfang an unterdrückt worden sei.

Es gibt nach Schätzungen etwa zehn Millionen Uiguren in China. Sie sind ethnisch mit den Türken verwandt. In der chinesischen Region Xinjiang gab es jahrelang blutige Zwischenfälle. Uiguren und viele andere Minderheiten fühlen sich von den herrschenden Han-Chinesen unterdrückt und ausgebeutet. Die Regierung in Peking wirft den Uiguren Separatismus vor und hält unbestätigten Schätzungen zufolge eine Million Mitglieder in Internierungslagern fest. China spricht von „Bildungszentren“ für den Kampf gegen islamistische Radikalisierung.

Der chinesische Präsident Xi Jinping mit Blick nach oben
APA/AFP/Greg Baker
Die chinesische Führung unter Präsident Xi reagierte nicht auf die Enthüllungen

„Krieg gegen den Terror“ als Vorbild

In den 403 Seiten der internen Regierungsdokumente befinden sich laut „New York Times“ zuvor unveröffentlichte Reden von Präsident Xi, in denen er ab April 2014 den Grundstein für die Politik gegen die Uiguren legte. Die Entscheidung zur Verschärfung des Vorgehens sei nach einem tödlichen Angriff einer militanten Gruppe an einem Bahnhof im März selbigen Jahres gefallen. Dabei starben 31 Menschen.

Xi habe vor Beamten und Parteikollegen einen umfassenden „Kampf gegen Terrorismus, Infiltration und Separatismus“ unter Einsatz der „Organe der Diktatur“ angekündigt. Dabei sagte der chinesische Staatschef auch: „Wir müssen so hart sein wie sie und dürfen absolut keine Gnade zeigen.“

Polizisten am Tatort nach dem Anschlag an einem Bahnhof in Kunming im März 2014
APA/AFP
2014 wurden mehr als 30 Chinesen getötet: Das sei der Startschuss für die repressive Politik gegen die Uiguren gewesen

Terroranschläge im Ausland und der Abzug US-amerikanischer Truppen aus Afghanistan konkretisierten die Ängste der chinesischen Führung und halfen, das Vorgehen gegen die Uiguren zu schärfen, heißt es im „New York Times“-Bericht. Beamte hätten argumentiert, dass etwa die Terrorangriffe in Großbritannien deshalb stattgefunden haben, weil die „Menschenrechte über die Sicherheit“ gestellt wurden. Xi forderte, einige Aspekte von Amerikas „Krieg gegen den Terror“ nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA nachzuahmen.

Zahl der Internierungslager gestiegen

Die Zahl der Internierungslager, die die chinesische Regierung erst kürzlich offiziell bestätigt hatte, stieg ab August 2016 rasch an. Als ein wesentlicher Grund wird Xinjiangs derzeitiger Parteisekretär Chen Quanguo genannt. Er war 2016 aus Tibet versetzt worden und rechtfertigte die Expansion der Inhaftierungslager mit der Rede von Xi. Öffentlich hatte Xi die Beamten davor gewarnt, Uiguren zu diskriminieren, im Hintergrund arbeitete allerdings Chen daran, die Lager auszuweiten.

Projektion auf einem Screen von dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Kashgar
APA/AFP/Greg Baker
Nach den Attacken hielt Xi mehrere inoffizielle Reden, in denen er den Kampf gegen Extremismus betonte

Aber nicht nur Reden von Xi finden sich in den geleakten Dokumente. Von den 403 Seiten ist die knapp die Hälfte mit Xis Reden – und Reden von anderen Führern – bedruckt. Auf 150 Seiten wird zudem geschildert, wie die uigurische Bevölkerung überwacht und kontrolliert werden soll. Darunter finden sich auch Gesprächsanleitungen, wie Beamten mit Familien sprechen sollten, deren Angehörige inhaftiert wurden. So sollten sie etwa sagen, dass die Inhaftierten von einem „Virus“ infiziert worden seien und nun geheilt werden müssten.

Die Menschen in den Lagern wurden laut Bericht der „New York Times“ angewiesen, für die Hilfe der Kommunistischen Partei dankbar zu sein. Schließlich würden sie eine kostenlose Erziehung, Unterbringung und Verpflegung erhalten. Es sei eine „hervorragende Grundlage für ein glückliches Leben für Ihre Familie“, hieß es etwa. Sollten die Inhaftierten mit dieser Erklärung nicht beruhigt werden können, wurde ihnen gedroht, dass sich die Situation ihrer Familie verschlechtern könnte, sollten sie sich weiterhin beschweren.

Unwillige Beamte entfernt

Das Vorgehen der chinesischen Führung soll allerdings auf Zweifel und Widerstand lokaler Beamter gestoßen sein. Sie befürchteten, dass das die ethnischen Spannungen verschärfen und das Wirtschaftswachstum unterdrücken würde. Chen reagierte daraufhin mit einer Säuberungswelle gegen unwillige Beamte, die im Verdacht standen, ihm im Weg zu stehen. Ein prominentes Beispiel ist KP-Kader Wang Yongzhi, der die Freilassung von mehr als 7.000 Inhaftierten befahl. Wang wurde des Amtes enthoben, eingesperrt und verurteilt.

Das Leck aus dem Inneren der chinesischen Regierung – also auch aus dem Inneren der Kommunistischen Partei – deutet laut „New York Times“ darauf hin, dass es innerhalb der Partei auch heute noch Unzufriedenheit über das Vorgehen gibt. Die Dokumente wurden von einem anonymen Mitglied des politischen Establishments in China an das US-Medium gespielt. Die Quelle soll die Hoffnung zum Ausdruck gebracht haben, dass das Leak die Führung in China daran hindern würde, der Verantwortung zu entgehen.

Die in Washington ansässige Gruppe East Turkistan National Awakening Movement (ETNAM) erklärte kürzlich, mehr als 450 Orte zur Internierung von Uiguren lokalisiert zu haben. Darunter befinden sich rund 200 weitere mutmaßliche Gefängnisse sowie rund 70 mutmaßliche Arbeitslager, hieß es vergangene Woche. Die Regierung in Peking wies die Darstellung umgehend zurück.