Demonstrant mit Gasmaske vor der besetzten Universität in Hongkong
AP/Vincent Yu
Aktivisten verschanzt

Nervenschlacht um Hongkonger Uni

In Hongkong haben sich auch am Dienstag rund 100 Aktivisten und Aktivistinnen der Protestbewegung in einer Universität verschanzt. Sie blieben von der Polizei eingekesselt. Bereits am Montag war es rund um die Universität zu heftigen Zusammenstößen gekommen. Die Sorge vor einem Eingreifen Chinas wächst – auch, weil Peking den Ton verschärft.

Die Volksrepublik bekräftigte am Dienstag ihren Anspruch auf die alleinige Entscheidungsgewalt über Hongkongs Verfassung. Der chinesische Volkskongress sei die einzige Institution, die Entscheidungen über die Verfassung Hongkongs treffen könne, hieß es aus Peking. Hintergrund ist ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von Hongkong, der am Dienstag das Vermummungsverbot gekippt hatte. Das Sprachrohr der Kommunistischen Partei Chinas, die „People’s Daily“, warnte zudem am Montag, es gebe „keinerlei Raum für Kompromisse“.

Auch die pekingfreundliche Regierungschefin Carrie Lam äußerte am Dienstag eine Warnung und forderte ein Ende der Barrikade. Wenn die Regierungsgegner „auf friedliche Weise herauskommen“, müsse es auch keine Gewalt geben, sagte Lam am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Sie habe die Polizei angewiesen, menschlich mit der Lage umzugehen. Sollte sich die Situation jedoch ändern, müssten die Beamten „notwendige Maßnahmen“ ergreifen, sagte Lam und drohte damit ein härteres Vorgehen an.

Kinder rennen über die mit Ziegelsteinen und Müll bedeckte Straße nahe der Polytechnischen Universität
APA/AFP/Nicolas Asfouri
Rund um die Uni boten sich Bilder der Verwüstung

Dreitägige Blockade

Die Hochschule ist die letzte von fünf Universitäten, die Demonstranten und Demonstrantinnen besetzt halten und als Basis nutzen. Die Blockade hält mittlerweile seit über 36 Stunden an. Nach Angaben von Lam haben inzwischen 600 Personen den Campus verlassen, ein Drittel von ihnen sei unter 18 Jahre alt gewesen. Laut „South China Morning Post“ sollen viele Personen unterkühlt und verletzt gewesen sein.

Auch unter den Verbliebenen machte sich Verzweiflung breit. Einige sagten, sie hätten genau drei Möglichkeiten: sich der Polizei ergeben, in Krankenwagen abtransportiert werden oder fliehen. Wie schon in den vergangenen Tagen versuchten auch in der Nacht Dutzende Regierungsgegner, vom Campus zu gelangen, ohne verhaftet zu werden. Unter anderem hätten die Demonstrierenden versucht, sich abzuseilen oder durch die Kanalisation zu fliehen.

Spektakuläre Fluchtaktion in Hongkong

Videos zeigen, wie sich Aktivisten und Aktivistinnen von einer Autobahnbrücke abseilen und von wartenden Motorradfahrern fortgebracht werden. (Videoquelle: APTN/AFP)

Mehrere Versuche verliefen erfolglos. „Wir überlegen die ganze Zeit, wie wir entkommen können, aber jedes Mal, wenn wir eine Stelle auswählen, sehen wir viele Polizisten in der Nähe“, sagte ein 22-Jähriger: „Aber wenn wir aufgeben, sind wir erledigt.“

Schwere Ausschreitungen

Die Demonstrierenden hatten sich am Wochenende in der Universität auf der Halbinsel Kowloon verschanzt. Mit Pfeil und Bogen, Molotowcocktails und Steinschleudern versuchten sie Polizisten abzuwehren. In der Nacht auf Montag legten sie Feuer am Haupteingang, um ein Eindringen der Sicherheitskräfte zu verhindern.

Schließlich versuchten Demonstranten, die Polizeiabsperrungen rund um die Universität zu durchbrechen und zu fliehen, wurden jedoch zunächst mit Tränengas zurückgedrängt. Die Einsatzkräfte nahmen Dutzende Menschen fest, teilweise schlugen sie mit Schlagstöcken auf die auf dem Boden liegenden Demonstranten ein. Laut unbestätigten Berichten sollen 1.000 Personen verhaftet worden sein.

Am Dienstag versammelten sich Verwandte einiger der immer noch in der Hochschule Verschanzten zu einer Mahnwache vor der Universität. Sie forderten die Regierung dazu auf, den Vorwurf des Aufruhrs gegen die Demonstranten fallen zu lassen. Es sei nicht fair, jeden einfach als „Aufrührer“ einzustufen. Eine Verurteilung wegen Aufruhrs kann in Hongkong zehn Jahre Haft nach sich ziehen.

Die Uni selbst soll ein Bild der Verwüstung bieten: Hörsäle und Seminarräume wurden beschädigt, eine Bibliothek überflutet. Laut Regierungschefin Lam sollen in einer Universität auch im großen Stil Brandsätze hergestellt worden sein. 8.000 Stück seien beschlagnahmt worden. Das Material dafür stamme auch aus den Labors der Universität, so Lam.

Sitzblockade von Angehörige der Studenten, die sich innerhalb des Universitätsgebäudes befinden, mit Protestschildern
APA/AFP/Nicolas Asfouri
Familienmitglieder von verbarrikadierten Aktivistinnen und Aktivisten versammelten sich vor der Uni

Kaum noch österreichische Studierende in Hongkong

Wie das Außenministerium mitteilte, befinden sich wohl nur noch wenige der etwa 70 österreichischen Studenten in der chinesischen Sonderverwaltungszone. „Die meisten dürften Hongkong verlassen haben“, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Peter Guschelbauer, am Dienstag auf Anfrage der APA. Der Generalkonsul in Hongkong sei mit den Studierenden in Kontakt und berate sie.

Die Studierenden dürften entweder nach Österreich zurückgeflogen sein oder in der Region reisen, weil sie derzeit ihr Studium nicht fortsetzen können. Bedarf an einer Evakuierungsaktion gebe es keinen, weil der Flughafen von Hongkong offen ist und Rückflugmöglichkeiten bestehen. Das Außenministerium erwähnt in seinen Reisehinweisen für Hongkong außerdem ein erhöhtes Sicherheitsrisiko und empfiehlt, „sich von Demonstrationen und Straßenkämpfen fernzuhalten und den Anordnungen der Sicherheitskräfte unbedingt Folge zu leisten“.

Hongkong überlegt Verschiebung der Wahl

Hongkongs Regierung erwägt mittlerweile eine Verschiebung der für Sonntag geplanten Kommunalwahl. Die Ereignisse des Wochenendes hätten die Chancen verringert, die Wahlen für die Bezirksräte abzuhalten, sagte der Sekretär für Verfassungs- und Festlandangelegenheiten, Patrick Nip, nach Angaben des Rundfunks RTHK. Man werde den Schritt nur machen, wenn es „absolut notwendig“ sei.

Demonstranten eingehüllt in blauen Decken verlassen das Universitätsgebäude
Reuters/Thomas Peter
600 Menschen verließen die Uni am Montag

Im Hinblick auf die Wahl gab es bereits Kontroversen, nachdem der Wortführer der Demokratiebewegung, Joshua Wong, Ende Oktober als Kandidat disqualifiziert worden war. Als Grund hatten die Behörden angeführt, dass der 22 Jahre alte Führer der oppositionellen Demosisto-Partei für die „Selbstbestimmung“ Hongkongs eintrete und indirekt die Unabhängigkeit der chinesischen Sonderverwaltungsregion unterstütze.

Die seit sechs Monaten andauernden Proteste gegen die prochinesische Regierung erreichen seit der vergangenen Woche ein neues Ausmaß. Die Aktivisten weiteten ihre Aktionen mit Blockaden an verschiedenen Stellen aus, um die Kapazitäten der Polizei auf die Probe zu stellen. Schulen blieben geschlossen, der öffentliche Nahverkehr kam fast völlig zum Erliegen und Hauptstraßen wurden blockiert.