Am Freitag hatte die Budget- und Planungsorganisation verkündet, dass Autofahrer künftig für die ersten 60 Liter pro Monat 15.000 Rial (0,11 Euro) zahlen müssen. Für jeden weiteren Liter seien 30.000 Rial (0,22 Euro) fällig – also dreimal mehr als bisher.
Bei den Protesten am Wochenende waren zahlreiche Tankstellen angezündet, Banken verwüstet und Geschäfte geplündert worden. Die Polizei riegelte mit Panzerwagen und Wasserwerfern die wichtigsten Plätze ab. Zu Protesten kam es nicht nur in der Hauptstadt, sondern im ganzen Land.
Offiziell neun Tote, laut Amnesty mehr als 100
Nach Angaben iranischer Medien kamen seit Freitag neun Menschen ums Leben. Es handle sich um vier Demonstranten, drei Mitglieder der Revolutionsgarden und zwei Polizisten, hieß es in den Berichten der staatlich kontrollierten und damit fast amtlichen Medien vom Dienstag. Ein Mitglied der Revolutionsgarden und zwei Angehörige der Basidsch-Miliz seien westlich der Hauptstadt Teheran von Unbekannten erstochen worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur ISNA. Die drei Mitglieder der Sicherheitskräfte sollen in einen „Hinterhalt“ geraten und mit Messern und Macheten getötet worden sein.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach allerdings am Dienstag von mindestens 106 toten Demonstranten in 21 Städten. Verifiziertes Videomaterial, Aussagen von Augenzeugen und Informationen von Aktivisten außerhalb des Iran offenbarten ein entsetzliches Muster gesetzeswidriger Tötungen durch iranische Sicherheitskräfte, so Amnesty. Die Berichte wurden im Iran offiziell nicht bestätigt.
Internetverbindung gekappt
Zuvor hatte es bereits in Sozialen Netzwerken Berichte gegeben, dass die Zahl der Opfer und Festgenommenen wesentlich höher liege als offiziell angegeben. Diese ließ sich aber kaum überprüfen, weil das Internet den vierten Tag in Folge weitgehend abgeschaltet war. Zwar hatte die Regierung am Montag von einer leichten Beruhigung der Lage gesprochen, aber die andauernde Sperrung des Internets wurde als Hinweis darauf gedeutet, dass es noch Unruhen und Proteste geben könnte.
Lage recht unklar
Daher war auch am Dienstag unklar, wie die Lage im Land ist – trotz gegenteiliger Aussagen der Führung: „Im Land ist die Ruhe wieder hergestellt“, sagte Justizsprecher Gholamhossein Esmaili am Dienstag. Er warnte, die Regierung werde hart gegen alle vorgehen, die die Sicherheit gefährdeten. Er rief die Bevölkerung auf, Unruhestifter den Behörden zu melden.
Die Verteuerung von Benzin hat eine spezielle Bedeutung: Rationierungen hat es im Iran auch in den vergangenen Jahren mehrmals gegeben, auch Benzinpreiserhöhungen. Die Folge waren Kritik und Proteste. Unruhen wie diesmal blieben aber bisher aus. Doch nun ist die Lage eine andere. Wegen der US-Sanktionen und des Ölembargos sind die Staatseinnahmen eingebrochen und das Budgetdefizit stark gewachsen. Die Führung muss ihre – vor allem unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad – stark ausgeweiteten Subventionierung und Hilfszahlungen überdenken.
Richtige Maßnahme, schlechter Zeitpunkt?
Viele Ökonomen forderten daher schon lange eine Reform der Benzinsubventionen und der Direktzahlungen an Bedürftige. Zuletzt profitierten 78 der 83 Millionen Iranerinnen und Iraner davon. Künftig sollen nur noch die wirklich Bedürftigen die Hilfen erhalten, verlautete die Regierung.
Auch wenn viele Experten die Reformen als überfällig betrachten, stieß ihre Umsetzung auf Kritik. Eine Erhöhung der Benzinpreise sei eine schlechte Idee angesichts von Sanktionen, hoher Inflation und Arbeitslosigkeit, kritisierte der Reformpolitiker Mostafa Tadschadeh.
Unruhen im Iran
Gewaltsame Proteste gibt es im Iran, der durch die US-Wirtschaftssanktionen immer mehr unter Druck gerät.
Wegen des Verfalls der Währung haben sich Importwaren extrem verteuert, die Inflation ist auf 40 Prozent gestiegen. Nachdem sich fast alle westlichen Firmen aus dem Iran zurückgezogen haben, steckt das Land in der Rezession. Nach einem Rückgang der Wirtschaft um 4,8 Prozent im Jahr 2018 erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) für dieses Jahr ein weiteres Minus von 9,5 Prozent.
Weitere Verteuerungen erwartet
Der Benzinpreis gilt im Iran als die „Mutter aller Inflationen“, weil nach jeder Preiserhöhung alles teurer wurde – vor allem auch Lebensmittel, die per Lkw quer durchs Land transportiert werden. Die Regierung von Präsident Hassan Rouhani wollte die Benzinpreise seit längerer Zeit erhöhen, hatte es aber aus Angst vor einer Verschärfung der Inflation – und Protesten – immer wieder verschoben.
Die Maßnahme soll auch dem Benzinschmuggel einen Riegel vorschieben. Schätzungen zufolge werden täglich zehn bis 20 Millionen Liter illegal außer Landes gebracht und dort teurer verkauft.
Teure militärische Operationen im Ausland
Viele Iranerinnen und Iraner wollen nicht hinnehmen, dass in einem ölreichen Land, das der viertgrößte Ölproduzent der Welt ist, Benzin rationiert und immer teurer wird. Der Führung wird zudem vorgeworfen, dass das Land seit Jahren Unmengen an Geld für militärische Operationen in Syrien, im Jemen und im Libanon ausgibt. Zuletzt hieß es laut „New York Times“ und der Investigativplattform The Intercept auch, bei den Protesten im Irak hätte Teheran seine Finger im Spiel.
Umgekehrt sehen einige Beobachter die Proteste der vergangenen Wochen eben im Irak und im Libanon auch als eine Art regionalen Flächenbrand auf den Iran überschwappen. Von einer wachsenden Kluft zwischen Bevölkerung und der herrschenden Elite in der gesamten Region ist etwa die Rede.
Brennende Chamenei-Poster als Tabubruch
Doch die Prognosen, wie es im Iran weitergeht, sind schwierig. Einerseits wird darauf verwiesen, dass es in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder zu teils heftigen Protesten und Unruhen aufgrund der wirtschaftlichen Situation gekommen ist, ohne dass das politische System große Veränderungen hinnehmen musste. Die zuletzt größten Proteste mit rund 25 Todesopfern gab es rund um den Jahreswechsel 2017/2018.
Andere Kommentatoren verweisen allerdings darauf, dass mit den Kürzungen bei den Zuschüssen – die bald nicht nur Benzin, sondern auch Nahrungsmittel und Strom betreffen könnten – ein Herzstück der iranischen Gesellschaft getroffen werde. Das Nachrichtenportal Politico führt auch an, dass in mehreren Städten und Ortschaften großformatige Porträts von Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei angezündet worden seien, was einen Tabubruch darstelle.
Wahlen im nächsten Jahr
Allerdings sind die Proteste bisher nicht politisch kanalisiert: Es gibt kein Lager, das sich auf die Seite der Demonstranten stellt. Am ehesten kritisierten noch die Ultrakonservativen die Maßnahmen der reformorientierten Regierung Rouhani. Der Präsident selbst sprach vergangene Woche von einer der größten Herausforderungen für das Land seit der Revolution 1979. Und sollten sich die Proteste auch verlaufen, droht Rouhani spätestens am 1. März nächsten Jahres Ungemach: Denn dann findet im Land die Parlamentswahl statt.