Mann zeigt bei Nacht auf die Milchstraße
Getty Images/Carlos Fernandez
Astrologie-Hype

Junge greifen wieder nach den Sternen

Die Sterne stehen bei vielen jungen Menschen wieder hoch im Kurs. Mittels Memes und Sternzeichen-Emojis füllt „Astro-Content“ nicht nur Instagram, auch Podcasts und mit personalisierten Sterndeutungen werbende Apps boomen. Der Hype sei ein Produkt persönlicher Krisen und einer „Situation des Wandels“ in der Gesellschaft, erklärt Psychologe Andreas Hergovich im ORF.at-Gespräch. Dahinter steht eine Milliardenindustrie.

„Die Astrologie genießt derzeit eine so breite kulturelle Akzeptanz, wie es seit den 70er Jahren nicht mehr der Fall war“, schreibt das Magazin „The New Yorker“. „Astrologie ist ein Meme“, stellt „The Atlantic“ fest. Und: In den vergangenen Jahren habe die Astrologie ihr „psychedelisches New-Age-Stigma gegen moderne, instagramtaugliche Hexenvibes getauscht“, heißt es in der „New York Times“. Mit den Sozialen Netzwerken hat sie den idealen Nährboden gefunden.

Heute enthalten Instagram-Profile nicht selten Löwen-, Krebs- und Skorpion-Emojis – quasi als Abbild des eigenen Charakterprofils. Memes, die Sternzeichen unterschiedliche Katzenrassen und Seriencharaktere zuordnen, sind Kult. Dass sich Menschen in ihren 20ern und 30ern über einen „rückläufigen Merkur“ – den Sündenbock des Weltalls – beklagen, gehört in instagramaffinen Kreisen ebenso zum guten Ton.

Jung, weiblich, Astrofan

Dass es sich bei dem Astrohype nicht nur um ein medial gefeiertes Phänomen handelt, zeigt eine Umfrage des renommierten Pew Research Center. 30 Prozent der US-Bürgerinnen und -Bürger hätten 2017 angegeben, ihr Horoskop zu lesen. „Neue Spiritualität ist die neue Norm“, konstatierte 2017 auch das Trendvorhersageunternehmen WGSN in einem Bericht über Millennials und Spiritualität. Die Tatsache, dass die Astrologie jeder wissenschaftlich belegbaren Grundlage entbehrt, ist dabei kaum Thema.

Vielmehr sprießen Astro-Apps wie Co-Star, Pattern und Sanctuary geradezu aus dem Boden. Binnen zwei Jahren konnten diese mittels personalisierter Zukunftsdeutungen sowie live und on Demand buchbarer Einheiten mit Astrologen mehrere Millionen Menschen für sich gewinnen. Ein Beispiel: Co-Star, das 2017 ins Leben gerufen wurde, wurde seither mehr als sechs Millionen Mal heruntergeladen, berichtete der „New Yorker“. 80 Prozent der Nutzer sind weiblich – der Durchschnitt ist 24 Jahre alt.

Per KI und Poesie zum Horoskop

Um mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) kuriose Weisheiten wie „Das Leben ist eine vage Spurensuche auf der Oberfläche eines Mysteriums“ oder „Die überzeugendsten Antworten sind solche, die Fragen zunichte machen“ zu produzieren, engagiert Co-Star einen Astrologen, einen Redakteur sowie zwei Lyriker. „Wir lesen ständig mehrere Bücher über Astrologie, wir analysieren, wie Menschen in Sozialen Netzwerken, auf unterschiedlichen Blogs, auf der Straße und so weiter sprechen“, sagte die Gründerin der App, Banu Guler, gegenüber Verge.

Handy mit der App Co-Star
Co-Star
Die App Co-Star wirbt mit personalisierten Horoskopen – und ist damit erfolgreich

Im Frühjahr erhielt die App wegen des großen Interesses eine Finanzspritze in der Höhe von sechs Millionen US-Dollar. Der US-Markt für mystische Dienste ist einem Bericht von IBISWorld zufolge inzwischen insgesamt 2,2 Milliarden Dollar schwer. In Österreich gilt die Astrologie zudem als anerkanntes Gewerbe – fast 500 Astrologinnen und Astrologen sind hierzulande tätig.

„Illusion der Kontrolle“

Doch woher rührt die plötzliche Neuentdeckung der Sterndeutung? „Die Beliebtheit der Astrologie wird oft als Resultat des Niedergangs organisierter Religionen und mit der vermehrten wirtschaftlichen Unsicherheit sowie als Teil einer generellen Hinwendung zu New-Age-Bewegungen erklärt“, heißt es im „New Yorker“. „Das Interesse an der Astrologie kommt in Wellen – so einen Hype gibt es immer wieder“, sagt Psychologe Hergovich („Die Psychologie der Astrologie“) von der Universität Wien gegenüber ORF.at.

„Menschen haben immer ein Bedürfnis nach einem kohärenten Weltbild, ein Bedürfnis, ihr Leben zu kontrollieren – vor allem wenn sie mit Krisensituationen konfrontiert sind“, so der Experte. „Man spricht dabei auch von einer Illusion der Kontrolle“, so Hergovich, „da kann die Astrologie scheinbar helfen, indem sie Ratschläge gibt, wie man sich verhalten soll, indem sie einem bestimmte Daten sagt, indem sie einen Anker gibt für das eigene Verhalten.“ Und: Sie findet Antworten auf Fragen, die die Wissenschaft nicht beantworten kann, beispielsweise zum Sinn des Lebens.

Wenngleich man sich in Österreich oder Europa momentan nicht in einer Krise befindet, so erleben junge Menschen dennoch „eine Situation des Wandels, der Digitalisierung und der Beschleunigung in der Gesellschaft“, die zu einer Verunsicherung – und in weiterer Folge einem Interesse an der Astrologie führt. Grundsätzlich, so Hergovich, seien junge Menschen empfänglicher für jedwede Glaubensinhalte.

Psychologie im astrologischen Gewand

Vor allem für jene der psychologischen Astrologie – diese Spielart der Sterndeuterei gilt heutzutage als besonders massentauglich. Deren Vertreter glauben in Anlehnung an tiefenpsychologische Konzepte von Carl Gustav Jung, dass die Planetenkonstellation am Geburtstag seelische Anlagen, Denk- und Verhaltensmuster abbildet. „Anders als bei einer Therapie, wo ein Kunde Monate oder Jahre damit verbringt, den Ursprung eines Symptoms ausfindig zu machen, verspricht die Astrologie, Antworten viel schneller zu finden“, so der „New Yorker“.

Auch Präsidenten wie Theodore Roosevelt oder Ronald Reagan sowie Charles de Gaulle und Francois Mitterrand sollen sich für Sterndeutungen interessiert haben. Den Philosophen Theodor W. Adorno veranlasste der Hype 1957 gar zu dem Aufsatz „The Stars Down to Earth“, in dem er die Astrologie-Kolumne der „Los Angeles Times“ kritisierte. Sein Schluss: Die Astrologie habe viel mit totalitären Staaten gemeinsam. Beide behaupteten, für alles „Antworten zu kennen, beide reduzieren das Komplexe auf einfache und mechanische Folgerungen“ und würden dabei „rein gar nichts erklären“.

Die westliche Astrologie ist natürlich kein Phänomen dieses oder des vergangenen Jahrhunderts. Ihren Ursprung hat sie im antiken Mesopotamien. Von dort aus verbreitete sie sich über Ägypten, Griechenland, das römische Reich und die islamische Welt. Schon damals diente sie als eine Art Entscheidungshilfe in puncto Kriegsführung und Landwirtschaft.

Astrologin: „Glauben nicht daran“

„Man sollte aber immer zwischen Leuten unterscheiden, die Horoskope zum Spaß lesen, und jenen, die da vollkommen reinkippen“, so Hergovich. So gibt es Leute, die Hunderte Euro für persönliche Web-Lesungen ausgeben bis hin zu solchen, die aus Jux und Tollerei ab und an Zukunftsdeutungen für ihr Sternzeichen lesen.

Dass die Astrologie in digitalen Sphären mehr zur Belustigung als als ernstzunehmende, tiefenpsychologische Therapie dient, zeigt auch eine Aussage der „Vice“-Astrologin Annabel Gat gegenüber „Atlantic“: „Wir nehmen Astrologie sehr ernst, aber wir glauben auch nicht unbedingt daran.“ Es sei ein „Mittel zur Selbstreflexion, es ist keine Religion oder Wissenschaft. Es ist nur eine Art und Weise, wie man die Welt betrachten und über Dinge nachdenken kann.“